Kommentar zur „Diversity Checklist“: Einfältige Vielfalt

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Foto: Lucas Sankey via Unsplash

Die Hamburger Filmförderung will mit verpflichtenden Fragebögen mehr Diversität in der Branche erreichen. An der Methode gibt es Kritik – zu Recht

Kommentar: Ulrich Thiele

Der Türke als Gangster, die Schwarzafrikane­rin als Putzhilfe, und der afro­-deutsche Schauspieler darf höchstens den Sidekick des weißen Hauptkommissars spie­len – die Filmbranche bedient zahlreiche Stereotype, das ist kein Geheimnis. Die Filmförde­rung Hamburg Schleswig-­Hol­stein (FFHSH) führt deswegen eine „Diversity Checklist“ ein. Ab sofort sind Antragstel­ler dazu verpflichtet, in einem Fragebogen Auskunft über die Diversität ihres gesamten Projektes zu geben. Ziel sei es unter anderem, Filmemacher für die kritische Überprüfung von Stereotypen zu sensibilisieren. Dazu gehören drei Bögen für die Kategorien Entwicklung, Pro­duktion und Verleih. Ich beziehe mich an dieser Stelle ausschließ­lich auf die Kategorie Produktion, in der auf die inhaltliche Ebene eingegangen wird.

Die Motive sind ehrenwert, die Mittel sind es nicht

„Mehr Vielfalt filmen und Geschichten erzählen, die sonst ungehört bleiben: Wir wollen unsere vielfältige, multikultu­relle Gesellschaft modern und in all ihren Facetten auf der Lein­wand sehen“, verkündet Ge­schäftsführer Helge Albers. In dem Fragebogen heißt es: „Wir denken, dass die Filmbranche Vorbild sein kann, um Vorur­teile gegenüber marginalisier­ten Gruppen in unserer Gesell­schaft abzubauen und ein selbst­verständliches Miteinander zu befördern.“

Die Motive sind ehrenwert, die Mittel sind es nicht. Meine Kritik ist nicht neu, und Albers hat sie offenbar bereits erwartet und versucht, sie zu entkräften. Natürlich werde es auch Filme ohne diversen Cast geben: Zum Beispiel bei historischen Stoffen. „Diversität zu fördern, bedeutet nicht, Kreativen strenge Vorga­ben zu machen“, sagte er im Interview mit der Zeit.

Das ist ein durchschaubares Manöver. Zu behaupten, nicht pädagogisch eingreifen, kei­ne Vorgaben machen, keinen Druck ausüben zu wollen – aber genau dies zu tun. Zumindest unterschwellig. Die Checkliste erinnert in ihrer Methodik an Eltern, die ihre Kinder vorder­gründig ohne strenge Regeln erziehen, sie dafür aber umso subtiler mit den Mitteln des schlechten Gewissens auf Li­nie bringen. Denn der Unter­ton wird seine Wirkung nicht verfehlen – die berühmte Schere im Kopf. Und der besagt klar: Filme mit simpler „Vielfalt ist gut“­-Message sind uns genehm, wenn du davon abweichen willst, dann kannst du das tun, aber rechtfertige dich gefälligst! Man unterschätze nicht die psychologische Wirkung, die in der Einführung einer Rechtfer­tigungsforderung liegt.

Kunstfreiheit?

Natürlich wird es ab sofort nicht ausschließlich „politisch korrekte“ Filme geben, natür­lich wird es auch ästhetisch radikale Filmkunst aus verschie­densten Perspektiven geben, die über Eindeutigkeiten und Mini­malkonsens hinausgehen. Doch diese Kunst wird es nicht we­gen, sondern trotz der Check­liste geben.

Dass die FFHSH die Wir­kung erzielen könnte, die Kunst­freiheit einzuschränken, hat sie sogar schon eingeräumt. Die Pressesprecherin der Filmför­derung wird in einem Artikel auf jetzt.de in Bezug auf die „Propaganda“­-Kritik folgendermaßen zitiert: „Wir starten damit jetzt erst mal. Nach spätestens einem Jahr werden wir die Ergebnisse evaluieren.“ Weiter heißt es im Artikel: „Dann solle sich zeigen, inwiefern sich die Diver­sity Checklist auf die Entschei­dung der zuständigen Gremien und womöglich negativ auf die Kunstfreiheit auswirke.“

Kurz: Man nimmt die mögliche Einschneidung der Kunstfreiheit bewusst in Kauf. Was treibt die FFHSH dazu? Vorauseilender Gehorsam? Oder die Angst, im Kampf um die Deutungshoheit Boden an die Rechtspopulisten zu verlieren? Langfristig scha­det die Instrumentalisierung der Kunst der offenen Gesell­schaft. Denn diese lebt auch von radikaler Kunst, die Narrenfrei­heit genießt, die ambivalent ist, die Möglichkeiten auslotet, die verstört und Gewohnheiten und Gewissheiten in Frage stellt.

Man kann es ganz einfach zusammenfassen: Stereotype durch Vielschichtigkeit bre­chen, unterschiedliche Perspektiven aus verschiedensten Mili­eus zeigen, weiße Machtstruk­turen hinterfragen – ja, all das ist wichtig und bereichert die Kunst. Und gesellschaftliche Debatten treiben dies bereits voran. Dafür braucht es keine staatlichen Vorgaben, die sich „Vielfalt“ auf die Fahne schrei­ben, aber gewollt oder unge­wollt darauf zielen, Filme weltanschaulich auf Linie zu brin­gen.


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2020. Das Magazin ist seit dem 30. Juli 2020 im Handel und  auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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