Die Hamburger Filmförderung will mit verpflichtenden Fragebögen mehr Diversität in der Branche erreichen. An der Methode gibt es Kritik – zu Recht
Kommentar: Ulrich Thiele
Der Türke als Gangster, die Schwarzafrikanerin als Putzhilfe, und der afro-deutsche Schauspieler darf höchstens den Sidekick des weißen Hauptkommissars spielen – die Filmbranche bedient zahlreiche Stereotype, das ist kein Geheimnis. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) führt deswegen eine „Diversity Checklist“ ein. Ab sofort sind Antragsteller dazu verpflichtet, in einem Fragebogen Auskunft über die Diversität ihres gesamten Projektes zu geben. Ziel sei es unter anderem, Filmemacher für die kritische Überprüfung von Stereotypen zu sensibilisieren. Dazu gehören drei Bögen für die Kategorien Entwicklung, Produktion und Verleih. Ich beziehe mich an dieser Stelle ausschließlich auf die Kategorie Produktion, in der auf die inhaltliche Ebene eingegangen wird.
Die Motive sind ehrenwert, die Mittel sind es nicht
„Mehr Vielfalt filmen und Geschichten erzählen, die sonst ungehört bleiben: Wir wollen unsere vielfältige, multikulturelle Gesellschaft modern und in all ihren Facetten auf der Leinwand sehen“, verkündet Geschäftsführer Helge Albers. In dem Fragebogen heißt es: „Wir denken, dass die Filmbranche Vorbild sein kann, um Vorurteile gegenüber marginalisierten Gruppen in unserer Gesellschaft abzubauen und ein selbstverständliches Miteinander zu befördern.“
Die Motive sind ehrenwert, die Mittel sind es nicht. Meine Kritik ist nicht neu, und Albers hat sie offenbar bereits erwartet und versucht, sie zu entkräften. Natürlich werde es auch Filme ohne diversen Cast geben: Zum Beispiel bei historischen Stoffen. „Diversität zu fördern, bedeutet nicht, Kreativen strenge Vorgaben zu machen“, sagte er im Interview mit der Zeit.
Das ist ein durchschaubares Manöver. Zu behaupten, nicht pädagogisch eingreifen, keine Vorgaben machen, keinen Druck ausüben zu wollen – aber genau dies zu tun. Zumindest unterschwellig. Die Checkliste erinnert in ihrer Methodik an Eltern, die ihre Kinder vordergründig ohne strenge Regeln erziehen, sie dafür aber umso subtiler mit den Mitteln des schlechten Gewissens auf Linie bringen. Denn der Unterton wird seine Wirkung nicht verfehlen – die berühmte Schere im Kopf. Und der besagt klar: Filme mit simpler „Vielfalt ist gut“-Message sind uns genehm, wenn du davon abweichen willst, dann kannst du das tun, aber rechtfertige dich gefälligst! Man unterschätze nicht die psychologische Wirkung, die in der Einführung einer Rechtfertigungsforderung liegt.
Kunstfreiheit?
Natürlich wird es ab sofort nicht ausschließlich „politisch korrekte“ Filme geben, natürlich wird es auch ästhetisch radikale Filmkunst aus verschiedensten Perspektiven geben, die über Eindeutigkeiten und Minimalkonsens hinausgehen. Doch diese Kunst wird es nicht wegen, sondern trotz der Checkliste geben.
Dass die FFHSH die Wirkung erzielen könnte, die Kunstfreiheit einzuschränken, hat sie sogar schon eingeräumt. Die Pressesprecherin der Filmförderung wird in einem Artikel auf jetzt.de in Bezug auf die „Propaganda“-Kritik folgendermaßen zitiert: „Wir starten damit jetzt erst mal. Nach spätestens einem Jahr werden wir die Ergebnisse evaluieren.“ Weiter heißt es im Artikel: „Dann solle sich zeigen, inwiefern sich die Diversity Checklist auf die Entscheidung der zuständigen Gremien und womöglich negativ auf die Kunstfreiheit auswirke.“
Kurz: Man nimmt die mögliche Einschneidung der Kunstfreiheit bewusst in Kauf. Was treibt die FFHSH dazu? Vorauseilender Gehorsam? Oder die Angst, im Kampf um die Deutungshoheit Boden an die Rechtspopulisten zu verlieren? Langfristig schadet die Instrumentalisierung der Kunst der offenen Gesellschaft. Denn diese lebt auch von radikaler Kunst, die Narrenfreiheit genießt, die ambivalent ist, die Möglichkeiten auslotet, die verstört und Gewohnheiten und Gewissheiten in Frage stellt.
Man kann es ganz einfach zusammenfassen: Stereotype durch Vielschichtigkeit brechen, unterschiedliche Perspektiven aus verschiedensten Milieus zeigen, weiße Machtstrukturen hinterfragen – ja, all das ist wichtig und bereichert die Kunst. Und gesellschaftliche Debatten treiben dies bereits voran. Dafür braucht es keine staatlichen Vorgaben, die sich „Vielfalt“ auf die Fahne schreiben, aber gewollt oder ungewollt darauf zielen, Filme weltanschaulich auf Linie zu bringen.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2020. Das Magazin ist seit dem 30. Juli 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!