„Krass“: Ost-West-Missverständnisse aufarbeiten

Krass „Ost“ lautet das Schwerpunktthema des diesjährigen „Kultur Crash Festivals“ auf Kampnagel, besser bekannt unter „Krass“. Der schlichte Titel täuscht, denn das Programm ist ambitioniert
Bilder des Schreckens: Theaterkomposition „Traum(a): Synchronisierung der Kriege“ von Branko Šimić (©Armin Smailović)

Eingeladen wurden „innovative Theaterprojekte und Performances, die den Zeitgeist und die aktuelle gesellschaftliche Lage widerspiegeln und möglichst darüber hinaus eine neue Perspektive öffnen“. So Branko Šimić, Kurator seit der ersten Festival-Ausgabe 2012. Der Regisseur Jahrgang 1968 hat in Sarajewo Schauspiel und später in Hamburg Regie studiert. Seine Inszenierungen wurden am Thalia Theater, bei den Wiener Festwochen, am Schauspielhaus Dresden sowie dem Nationaltheater Sarajewo gezeigt.

In Vorbereitung des aktuellen Hamburger „Krass“-Festivals bereiste Šimić Festivals „vom Balkan bis Albanien“ und stellte erfreut fest, dass er Produktionen sehen konnte, „die nach etwas Neuem suchen, politische Entwicklungen kritisch betrachten und in der Form offen sind. Es ist eine authentische Szene entstanden.“ Andererseits gibt es eine Ost-West-Abwanderung: „Viele osteuropäische Künstler:innen sind gezwungen, im Westen zu produzieren. Dabei übernehmen sie produktionstechnisch westliche Normen, bleiben aber inhaltlich im Osten. Diese Berührung zwischen Ost und West ist ebenfalls sehr inspirierend.“ Für das „Krass“-Festival 2024 wurde unter einem besonderen Aspekt ausgewählt: „Das größte Problem Osteuropas ist der Nationalismus, der aus dem Kommunismus entstanden ist. Mit ein paar Ausnahmen sind alle osteuropäischen Regierungen geprägt von Kommunisten, die über Nacht ihre Ideologie gewechselt haben. Das ist aus meiner Sicht noch gar nicht oder nicht richtig kommuniziert worden!“

Ein „Crash“ der Kulturen ist Programm

Mit dem Füllen dieser Lücke beginnt das diesjährige Festival. Auf dem Programm stehen Inszenierungen, Installationen, Konzerte, Filme, Lesungen und Gespräche, „um den Blick zu schärfen und das Ost-West-Missverständnis aufzuarbeiten“, wie Šimić den Idealfall in Bezug auf die Publikumsrezeption benennt. Wie in jedem Jahr zeigt der Regisseur auch 2024 eine eigene Arbeit: „Traum(a): Synchronisierung der Kriege“ ist eine mediale Theaterkomposition, die sich auf dokumentarisches Material stützt, wie beispielsweise auf Fotos von der Front aus der Ukraine. Des Weiteren wurden eingeladen: Selma Selman, Marina Davydova, Nicoleta Esinencu, Blerta und Jeton Neziraj, Aleksandar Hemon, Adnan und Nina Softić, Jasmila Zbanić, Ivo Dimchev, Alen Šimić, Armin Smailović – mit Wurzeln in Bulgarien, Moldau, Serbien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina. „Fast alle arbeiten und leben inzwischen im Westen, manche freiwillig, andere sind Geflüchtete und politisch Vertriebene. Ihre Erfahrungen sind einmalig und machen das diesjährige ,Krass‘-Festival zu einem sehr komplexen, spannenden und persönlichen Format der Perspektiven“, verspricht Šimić.

Ein „Crash“ der Kulturen ist beim „Krass“-Festival Programm. Es braucht das Aufeinander-Prallen unterschiedlicher Positionen und die dadurch ausgelöste Erschütterung, die eingefahrene Handlungs- und Denkmuster sprengt. „Wie immer, ist die Artikulation von abstrakten und unsichtbaren Phänomenen unser Anliegen. Wir haben Projekte ausgesucht, die alternative Narrative bieten, und eröffnen einen Diskurs, der eine neue Perspektive aufmacht, in der wir uns endlich einmal verstehen können.“ Seine Aufgabe als Kurator geht Branko Šimić auch in der 14. Ausgabe des Festivals mit großer Übersicht an: „Da ich primär Regisseur bin, habe ich das ,Krass‘-Festival von Anfang an immer als eine große, lange Inszenierung gedacht. Eine in sich funktionierende Komposition.“

Das „Krass“-Festival findeet 2024 vom 6. bis 21. April auf Kampnagel statt. Tickets für die einzelnen Produktionen gibt es auf kampnagel.de

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 04/2024 erschienen.

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