Queer-feministische Perspektiven: Widerstand kann auch zärtlich sein

Wir erleben aktuell, wie rechte Positionen wieder erstarken. Das bedeutet Gott sei Dank aber auch, dass der Widerstand lauter wird und sich in seinen unterschiedlichsten Facetten zeigt. Micha Krause vom queeren Indiepunk-Kollektiv KRAUS erzählt SZENE HAMBURG im Interview, wie dieser Widerstand aus queer-feministischer Perspektive aussehen kann
Micha Krause vom queeren Indipunk-Kollektiv KRAUS
Micha Krause vom queeren Indipunk-Kollektiv KRAUS (©Sheila Dolman) 

SZENE HAMBURG: Micha, muss sich die Gesellschaft vor der rechten Welle fürchten oder sind wir wehrhaft genug? 

Micha Krause: Aktuell wissen wir nicht, ob uns eine rechtsradikale Regierung droht, aber was uns in jedem Fall droht, ist die Übernahme rechter Narrative. Das Gefährliche ist, dass diese so „einsickern“. Ich denke, davor müssen wir uns schon fürchten. Man ist selber manchmal nicht davor gefeit, einzelne Aspekte als richtig anzusehen und zu relativieren. Wenn einem das bewusst wird, muss man sich immer wieder der Argumente dagegen bewusst werden und permanent bemüht sein, wach zu bleiben. 

In eurem Song „Zu radikal für Telegram“ fragt ihr »glaubst du es gibt zu wenig Hatespeech oder warum postest du jeden Tag so Sachen?« Woher kommt der Hass und gibt es einen Weg, ihn zu beenden?

Der Hass kann vor allem aus der Erziehung, stereotypem Denken oder durch ein von bestimmten Ideologien geprägtes soziales Umfeld entstehen. Erschwerend hinzu kommt, dass sich in sozialen Netzwerken besonders das gut klickt, was besonders radikal ist. Ein Gegengewicht zum Hass lässt sich nur in Verbundenheit formen. Alle sollen beginnen, das zu tun, was sie können! Wir versuchen, eine superzarte Bubble aufzumachen, die eben zärtlich und nah, aber gleichzeitig widerständig ist. Und wir hoffen, immer mehr Leute mitzunehmen.

2024 habt ihr das SUPERZART*Festival ins Leben gerufen. Was kann man sich darunter vorstellen?

SUPERZART* ist ein intersektionales queer-feministisches Festival für sexuelle Utopie mit den fünf Sparten Musik, Talk, Performance, Vorträgen und Workshops. Es gab beispielsweise einen Workshop von Pro Familia zum Thema Konsens oder von dem queer-feministischen Hamburger Sexshopkollektiv Fuck Yeah zu Sex und Sprache. Wir bemühen uns, dass wir die Leute so mitnehmen, dass sie mit einem anderen Bewusstsein rausgehen als sie reingekommen sind.

Jeder Art von Kunst wohnt eine Kritik inne. Kunst ist immer der Moment, der etwas verändert.

Micha Krause 

Ihr sprecht beim SUPERZART* Festival von einem Verbunden-bleiben in einer gemeinsamen Utopie. Bewegt ihr euch permanent in dieser Bubble oder kommt ihr an den Rand und über diesen hinaus? 

Einer der wenigen positiven Aspekte während der Corona-Zeit war, dass wir die Möglichkeit hatten, viel Neues auszuprobieren. Ich habe mich mit der Musikerin Nikola Rost zusammengesetzt und überlegt, wie man einen Song über Sex und Liebe schreibt, ohne geschlechtsspezifische Stereotype zu bedienen. Auf den fertig produzierten Song ist dann eine Sexualtherapeutin aufmerksam geworden und fand, man sollte daraus ein größeres Projekt machen. Daraus entstanden ist unser Projekt Sex ist auch (k)eine Lösung. Der Prozess war so interessant, dass wir das Ganze auf die Bühne bringen wollten. Es war klar, dass so was nur auf einer queer-feministischen Basis realisiert werden kann. Also entstand nach und nach das Festival-Team aus Menschen, die Ahnung und Bock haben.  

Als Veranstaltungsort konnten wir das Schauspielhaus gewinnen, welches nicht per se für queer-feministische Inhalte bekannt ist. Wir sahen also unsere Chance, über unseren Dunstkreis hinaus Leute anzusprechen. Das war streckenweise herausfordernd. Durch verschiedene Veranstaltungsformate, die zum Diskurs einladen, ging unser Plan aber definitiv auf und wir haben von dem diversen Publikum sehr positives Feedback erhalten! Wir hoffen im nächsten Jahr auf eine dritte Ausgabe, die größer wird als in diesem und letzten Jahr. 

KRAUS und House of Brownies im Video zum Song „BONNIE IM KLEID“ (© Jendrik Wichels) 

Ein Gegengewicht zum Hass lässt sich nur in Verbundenheit formen. Alle sollen beginnen, das zu tun, was sie können!

Micha Krause

Erreicht ihr mit eurer Kunst diejenigen, die ihr kritisieren wollt?

Jeder Art von Kunst wohnt eine Kritik inne. Kunst ist immer der Moment, der etwas verändert. Wenn Flüchtlingsschiffe zurück ins Mittelmeer gedrängt werden oder wenn Obdachlosigkeit aus Innenstädten verbannt wird, wenn Krankenhauspersonal schlecht bezahlt wird: All so was ist immer ein Druck von oben nach unten, der eigentlich sagt „wir wollen euch nicht, ist uns egal“. Dieses Phänomen haben wir in dem Song Erschlagt die Armen! auf die Spitze getrieben. Das Nicht-hinsehen-wollen, dieses toxische Verhalten, sich nicht um das Leid der anderen kümmern zu wollen, sondern nur um sich selbst, ist ja in uns allen. Dieses eigene, ekelige Gefühl wird in dem Song Erschlagt die Armen! verbalisiert. Wir haben den Song jüngst auf einem Festival gespielt und dem Publikum gesagt, dass es jetzt echt ekelig wird, wir uns aber wünschen, dass alle gemeinsam dieses unangenehme Gefühl aushalten und dass es danach eine ebenso unangenehme Stille statt Applaus gibt. Das hat ziemlich gut geklappt. An den Song und das Gefühl wird man sich erinnern. Da ist der Moment!

Euer neues Album heißt Terror durch Freundlichkeit. Was kann man sich darunter vorstellen?

Es gibt innerhalb der linken, queer-feministischen Szene den Ausruf „Smash the patriarchy“. Der ist notwendig und gut, denn die Wut muss da sein, man muss laut sein dürfen. Gleichzeitig ist dieses gewaltsame Draufhauen selbst aber auch wieder ein patriarchales Mittel. Da geht es wieder um Hierarchien, um oben und unten und um Macht. In unseren privaten Beziehungen wollen wir etwas anderes leben. Da geht es um Verbindung, Nähe, Zärtlichkeit. Wir sind der Meinung, dass das eigentlich der Queer-Feminismus ist. Die innere Stärke zu haben, zu sagen, wofür man steht. Das muss nicht zwingend gewaltvoll nach außen kommuniziert werden. Daher kam uns die Idee, unser Album Terror durch Freundlichkeit zu nennen.

Wie macht man ein Video zu Nacktheit und Sexualität ohne Sexualisierung und Male Gaze? 

Wir haben zum aktuellen Album drei Videos gemacht, unter anderem für unseren Song Zu radikal für Telegram, in dem es um Hatespeech geht. Konträr zum Inhalt wollten wir Liebe, Zärtlichkeit und Nähe dagegensetzen. Unsere erste Idee war ein Video zu drehen, in dem sich Leute küssen. Lara Wichels, Mitglied der Glittorisgang, im Vorstand von Pinkstinks sowie Schauspielerin und Regisseurin, hat sich angeboten, für das Video die Regie zu übernehmen. Zudem sind wir mit dem Vuvlaa-Kollektiv aus Berlin in Verbindung getreten. Nach zwei unglaublich gewinnbringenden Drehtagen in freier und safer Atmosphäre mussten wir dann aber feststellen, dass ein Großteil des Male Gaze durch den Schnitt passiert. Wir hatten einige superschöne Szenen, die vor Ort ganz anders gewirkt haben, auf der Kamera aber voyeuristisch rüberkamen. Ein anderes Beispiel: Bei Instagram müssen weibliche Brustwarzen gepixelt werden, männliche nicht. Das ist sexistisch. Weil wir unsere Inhalte aber auch auf Instagram distribuieren wollen, pixeln wir also alle Brustwarzen und umgehen so den Sexismus. Wir hoffen, dass wir den Male Gaze so verringern und irgendwann ganz ausschalten können.  

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