Kultur in Hamburg: Live ist hart

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Planungssicherheit nur mit Publikum: Live-Kulturbranche (©unsplash/Melissa)

Planungssicherheit in der Live-Kulturbranche gibt es nur mit Publikum. Besonders kleine- und mittelgroße Künstler:innen haben es zur Zeit schwer, denn gerade der Vorverkauf lahmt und dadurch ist Hamburgs Kulturlandschaft im Dauerstress

Text: Markus Gölzer

Was ist es eigentlich, dieses Live-Gefühl? Für viele beginnt es schon weit vor Beginn der Show. Sie stehen sich Stunden vor offiziellem Einlass die Beine in den Bauch, um die besten Plätze vor der Bühne zu sichern. Können es nicht mehr abwarten, mit Gleichgesinnten zu feiern, freuen sich auf neue Freundschaften, die exakt so lange halten wie die Veranstaltung dauert und umso intensiver sind. Andere empfinden LiveEvents als willkommenen Kurzurlaub. Nach der dritten Bierdusche auch mal von sich selbst. Für die Sängerin Ina Tramp und ihren Mann und Bandkollegen Chris Haertel ist jedes Live-Konzert einmalig. Und einmalig begeisternd.

„Magie trifft es eigentlich“

Chris Haertel: „Für mich ist es – auch wenn es nur Musik ist, die reproduziert wird – etwas, das nur in dem Moment stattfindet. Selbst wenn die Songs schon tausendmal gespielt wurden, passiert das, was da passiert, nur ein einziges Mal. Magie ist ein abgeschmacktes Wort, aber das trifft es eigentlich.“ Ina Tramp ergänzt: „Für mich ist das Live-Gefühl Begeisterung. Das ist das Schönste, wenn ich die Freude in den Augen des Publikums sehe. Danach unterhalte ich mich gerne mit den Leuten.“

„Das Problem ist, dass sich Leute nicht festlegen.“
Chris Haertel

Grund zur Freude gab es während der letzten beiden Jahre wenig für die Live-Szene. Als Ina Tramp im Juni 2020 ihre erste EP „Human Robots“ rausbrachte, rollte gerade die erste Corona-Welle durchs Land und über die Kulturlandschaft. Bei Veröffentlichung ihrer Debüt-LP „Human Culture“ im November 2022 war Corona immer noch da – Krieg und hohe Kosten kamen dazu. Eine mental sehr belastende Situation für die Newcomerin und ihre Band, die von August bis November auf Tour waren und die Verunsicherung des Publikums hautnah erlebten.

„Dem Publikum ist nicht klar, wie wichtig der Vorverkauf ist“

Chris Haertel: „Die letzte Show stand tatsächlich auf Messers Schneide, weil der Vorverkauf nicht lief. Das Problem ist, dass sich Leute nicht festlegen. Ich versteh’ das auch. Ich kauf ’ auch keine Karten für ein Konzert in zwei Wochen, wo ich nicht weiß, ob ich da flachliege. Das ist für die Szene megaschwer, weil die überhaupt keine Planungssicherheit mehr haben. Ich glaube, dass es dem Publikum gar nicht so klar ist, wie wichtig der Vorverkauf für die Planung der Veranstalter ist.“ Dabei schien der Konzertsommer 2022 gut anzulaufen. Von Corona-Maßnahmen war nichts mehr zu spüren, Großveranstaltungen verkauften sich bestens.

Leider hielt die Entwicklung nicht, was die Bilder von überfüllten Mega-Festivals versprachen. Der Ticketverkauf läuft schleppend, reihenweise müssen Konzerte abgesagt werden. Die Gründe sind vielfältig. 2022 wurden viele Konzerte nachgeholt, die in den beiden letzten Jahren nicht stattfinden konnten. Was zu einem Überangebot führte, in dem Events einfach untergingen. Persönlich oft gehörter Satz: „Was? DJ Krush war in der Stadt?“.

„Die 70er-, 80er-Jahrgänge haben das Ausgehen verlernt“

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Mit der MS Stubnitz hat „Off the Radar“ im Mai 2022 eine neue Heimat gefunden (©Brokebutlive/ Nico Vogelsaenger)

Viele Menschen sind noch verunsichert, wie Riikka Beust glaubt. Riikka, vormalig Betreiberin des legendären Hotels „Kogge“ auf St. Pauli, führt mit Fabian Dihm die Cafébar Futur III und ist Mitveranstalterin von „Off The Radar“. Das DIY-Festival hat den Anspruch, Gelder für humanitäre Zwecke zu generieren. „Wir haben bei Side-Events auf der MS Stubnitz gemerkt, dass es nach wie vor sehr schwierig ist, die Menschen zu aktivieren. Viele haben sich daran gewöhnt, weniger auszugehen, sich ihr privates Nest gebaut.“

Corona scheint vor allem bei über 30-Jährigen den Alterungsprozess beschleunigt zu haben. Vertriebsreferent Mulugeta Nerayo von der Hamburger Staatsoper ist nach Feierabend in der Clubszene als DJ Mune Ra bekannt. Er sieht Klassikveranstaltungen dank langjähriger Kundenbindungen im Abonnent:innenbereich weniger gefährdet als Clubevents. „Ich habe so das Gefühl, dass die 70er-, 80er-Jahrgänge durch Corona das Ausgehen etwas verlernt haben. Ich glaube, das passiert mit den Jahren schleichend, und durch Corona ist es abrupt passiert.“ Dabei verstärkt Corona nicht nur die eigenen Verfallsprozesse, sondern auch länger bestehende der Hamburger Kulturlandschaft.

„Die Gefährdung der Kulturlandschaft hat nicht erst durch Corona angefangen, sondern durch Gentrifizierung, durch Wegbruch verschiedenster Strukturen.“
Riikka Beust, von der Cafébar Futur III und Mitveranstalterin des DIY-Festivals „Off The Radar“ 

Riikka Beust: „Die Gefährdung der Kulturlandschaft hat nicht erst durch Corona angefangen, sondern durch Gentrifizierung, durch Wegbruch verschiedenster Strukturen. Wenn eben günstige Unterbringung wegbricht, wie zum Beispiel der ‚Kogge‘ (lacht etwas bitter). Diese Strukturen sind die ganze Zeit gefährdet und schwierigen Ausgangslagen ausgesetzt gewesen.“

„Investoren ist es egal“

Investoren, denen das Schicksal von Kulturschaffenden völlig egal ist, sind ein großes Thema in Hamburg. Der Freiraum für Musizierende und Organisierende wird enger, sei es durch Gentrifizierung oder wie bei Chris Haertel durch schieres Unglück. Er lagerte nach einem Wasserschaden wertvolles Equipment in Räumlichkeiten in Barmbek-Süd, bis eine Explosion im letzten Jahr das Haus zerstörte. Chris Haertel ist bis heute auf der Suche nach einem neuen Studio – und das als etablierter Musiker. Kann man da Neueinsteiger:innen noch empfehlen, es in der Musik- oder Veranstaltungsbranche zu versuchen? Ina Tramps Antwort ist ein klares „Ja“. Sie wollte schon immer eine Band, findet den Umgang der Menschen miteinander im Zusammenspiel toll. Gerade, wenn auf der Bühne etwas schiefgeht und das Publikum nichts davon merkt.

„Hey Leute, kommt vorbei!“

In schwierigen Zeiten hilft es Newcomern, die Leute persönlich anzusprechen: „Am Anfang unserer Tournee zur Albumveröffentlichung war es nicht einfach. Ticketvorverkauf lief schlecht. Der Veranstalter meinte, dass wir es vielleicht absagen müssten. Ich habe dann persönlich Kontakt zu Leuten aufgenommen, bei denen ich wusste, dass sie kommen wollen und hab sie gebeten, ihre Karten im Vorverkauf zu kaufen. Wir haben eine InstagramStory dazu gemacht, haben sie über WhatsApp angeschrieben. ‚Hey Leute, kommt vorbei.‘ Dann war so weit alles gut.“

„Es wird sicher nie so sein, dass Live-Kultur nur noch im Netz stattfindet.“
Chris Haertel

Vielleicht ist es gar keine schlechte Zeit, sich auszuprobieren. „Wenn man auf die Nase fällt, kann man immer noch sagen, es war die Situation“, lacht Riikka Beust. Und doch gibt es auch positive Entwicklungen. Dank Fördergeldern hatten die Veranstalter Planungssicherheit, experimentelle Bands bekamen ihre Chance auf der Bühne. Es gab verstärkten solidarischen Zusammenschluss unter den Veranstaltern, die Bedeutung des Clubkombinats (Verband der Hamburger Clubbetreiber, Party- und Kulturereignisschaffender) wurde deutlich. Fabian Dihm, der außer dem Futur III kleine Untergrundpartys und Konzerte, meist in sozialen Zentren, veranstaltet: „Auch wenn die erhofften Effekte wie ein ausgehungertes Publikum ausgeblieben sind: Man hat gemerkt, was das Clubkombinat ausmacht, dass die schon so lange an der Politik dran sind und es so relativ unkomplizierte Hilfen gab.“ Allein: Die Hilfen laufen 2022 aus, ob sie weiter bewilligt werden, weiß wohl nicht mal die Politik selbst.

„Kultur lebt vom Miteinander“

Bei allen Schwierigkeiten herrscht Optimismus vor. Mulugeta Nerayo: „Die Menschen sind ja noch da. Man muss sie nur irgendwie kriegen. Es wird sicher nie so sein, dass Live-Kultur nur noch im Netz stattfindet. Kultur lebt vom Miteinander.“ Für Chris Haertel macht Hoffnung, dass die Veranstalter unverdrossen hart weiterkämpfen: „Das würden sie nicht tun, wenn sie nicht zuversichtlich wären, dass sie eine Lösung finden und irgendwie durchkommen. Ich bin mir nicht sicher, ob das ohne nachhaltige Förderprogramme gehen wird. Es wird aber weitergehen, weil wir uns es gar nicht leisten können, auf Kultur zu verzichten.“

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