Fotografin Lee Miller: Mit eigenem Blick

Sie war waghalsig, entschlossen – und Avant­garde: Im Bucerius Kunst Forum am Rathausmarkt ist jetzt das erstaunliche Werk der Fotografin Lee Miller zu sehen
Picasso and Lee Miller in seinem Atelier, Paris, 1944 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)
Picasso and Lee Miller in seinem Atelier, Paris, 1944 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)

Das berühmteste Bild, das man von der Fotografin Lee Miller (1907–1977) kennt, ist nicht von ihr. Entstanden ist es am 30. April 1945 in der Badewanne von Adolf Hitler am Münchner Prinzregentenplatz. Zusammen mit einer Gruppe GIs und mit ihrem Fotografenkollegen David E. Scherman ist sie an diesem geschichtsträchtigen Tag durch die Stadt gezogen, um nach den Privatwohnungen von Adolf Hitler und von Eva Braun Ausschau zu halten. Ein alter Mann zeigte ihnen das prächtige Haus, in dem Hitler im zweiten Stock wohnte. Lee Miller machte ein paar Fotos und dann ging sie ins Bad, zog ihre Soldatenkluft und ihre dreckigen Armeestiefel aus, platzierte ein Bild Hitlers am Wannenrand und eine Frauenbüste im antiken Stil auf der Kommode und legte sich nackt in die Wanne hinein.

Es ist eines der ungewöhnlichsten Bilder zum Sieg über Nazi-Deutschland. In ganz eigenem Stil zeigt es die Banalität des Bösen – und den Triumph. Und das in einem Szenario mit den Kacheln und der Dusche, das in den Konzentrationslagern für die Ermordung von Millionen stand. Und das hatte Lee Miller gerade mit eigenen Augen gesehen. Zwei Wochen zuvor war sie mit ihrer Fotokamera bei der Befreiung des KZs Buchenwald dabei, einen Tag bevor sie nach München kam bei der Befreiung des KZ Dachau. Die Legende sagt, dass noch der Lehm von dort an ihren Sohlen klebte, als sie Hitlers Wohnung betrat. Und, dass es genau zu der Zeit war, als Hitler und Eva Braun in Berlin Selbstmord begingen.

Max Ernst und Picasso? Gute Freunde!

Nackte nach vorne gebeugt, Paris, 1930 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)
Nackte nach vorne gebeugt, Paris, 1930 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)

Das Foto ist ikonisch. Und man kann sicher sein, dass es die Idee von Lee Miller war. Später an diesem Tag posierte sie auch noch im Bett von Eva Braun. Doch gleichzeitig führte es sie wieder dorthin, wo sie eigentlich nicht mehr sein wollte: vor die Kamera. Lange genug hatte sie dort gestanden. Als gefeiertes Model im New York der 1920er-Jahre und entdeckt von Condé Nast selbst, der sie festhielt, als sie fast vor ein Auto stolperte und sie schließlich auf das Cover der „Vogue“ brachte.

19 Jahre alt war Lee Miller da, Nasts Geliebte und das jüngste Model, dass bis dato auf dem Titel des Modemagazins zu sehen war. Als ihr das nicht mehr reichte, ging sie nach Paris, fing Man Ray auf dem Weg in seinen Sommerurlaub nach Biarritz ab. Und obwohl er ihr sagte, dass er weder je eine Assistentin hatte noch eine bräuchte, buchte sie sich ein Ticket für seinen Zug, wurde seine Partnerin und Liebhaberin und tauchte in das Paris der Surrealisten ein. Sie war eng mit Max Ernst und mit Picasso befreundet, fotografierte Frauenköpfe unter Käseglocken, servierte amputierte Brüste auf weißem Geschirr und mit Besteck dazu, experimentierte mit Schatten, mit Überbelichtung und eigensinnigen Perspektiven.

Vom Vater in den Krieg

Hat die Zusammenarbeit mit Man Ray Lee Millers künstlerischen Stil geprägt, hatte sie die Grundlagen der Fotografie bereits früh von ihrem Vater Theodore Miller gelernt. Die Beziehung zu ihm ist ein zweifelhaftes Kapitel in ihrer Biografie. Von ihrer Kindheit an fotografiere er Lee Miller immer wieder nackt und in erotischen Posen. Noch mit 30 Jahren posierte sie für ihn, und hielten sie sich in derselben Stadt auf, buchten sie im Hotel ein Doppelzimmer. Immer wieder versuchte sie sich zu lösen, immer wieder kehrte sie zurück. Lange arbeitete sie als Modefotografin, machte 1941 aber einen radikalen Schnitt und überredete Condé Nast, sie für die Vogue als Kriegsreporterin nach Europa zu schicken. An der Seite US-amerikanischer Soldaten erlebt sie die Offensive in Frankreich, Bombenangriffe und Napalmabwürfe, fotografiert Schwerverletzte und Schwestern in Feldlazaretten, Trümmerberge und hungernde Kinder – und war schließlich kurz nach deren Befreiung in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau.

Sie wählt ihre Ausschnitte genau, komponiert ihre Bilder, aber geht gleichzeitig so nah ran, dass ihre Fotografien eine erschütternde Unmittelbarkeit haben. Und ist dabei immer Zeugin der Anklage. Wenn sie die Asche in den Öfen in Buchenwald zeigt oder die Leichen derer, die so schwach waren, dass sie ihre Befreiung nicht überlebten. Sie hält ihre Kamera auf den Bürgermeister von Leipzig, der sich und seine Familie umbrachte, zeigt wie seine Tochter wie eingeschlafen auf dem Sofa zusammengesackt ist, wie ein blutig geschlagener KZ-Wächter ungläubig in ihre Kamera schaut und ein Wehrmachtsoffizier tot im Wasser treibt. Ganz so wie Ophelia.

Lee Millers Arbeit hinterließ super, auch bei ihr selbst

Lee Miller: o.T., Paris, 1931 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)
Lee Miller: o.T., Paris, 1931 (©Lee Miller Archives, East Sussex, England)

„Du musst glauben, was du auf den Bildern siehst“, hatte sie damals die Fotoredakteurinnen der „Vogue“ angefleht, als sie ihnen die Bilder aus den KZs schickte, die so Ungeheuerliches zeigten. Dennoch wird angesichts ihres Werks immer wieder gefragt, ob man heute noch so fotografieren dürfte? Grauen und Poesie so zusammenbringen? Es war ein künstlerischer Blick, der ihre Arbeit geprägt hat und das Grauen gleichzeitig so kompromisslos eingefangen hat, wie es nur wenigen gelang.

Und das hat Spuren hinterlassen. Sie soll an Posttraumatischen Belastungsstörungen gelitten habe – und legte irgendwann ihre Kamera weg. Da lebte sie mit ihrem Mann, dem Künstler Roland Penrose, in ihrem Farley Farm House in Sussex, wurde Mutter und leidenschaftliche Gourmetköchin. Picasso kam zu Besuch, Max Ernst, Henry Moore. Über ihre Arbeit schwieg sie und ihr Werk hatte sie auf dem Dachboden verstaut. Und zwar so gut, dass ihre Schwägerin und ihr Sohn, der noch nicht einmal wusste, dass seine Mutter Fotografin gewesen war, es erst zehn Jahre nach ihrem Tod 1977 fanden – und es zurück in die Welt brachten. Das Haus mit seinem Skulpturengarten ist heute ein Museum, demnächst wird der Hollywoodfilm „Lee“ mit Kate Winslet in der Hauptrolle erscheinen und Lee Miller wird in zahlreichen Ausstellungen gefeiert. Als Fotografin, Künstlerin und Feministin. Wie jetzt auch im Bucerius Kunst Forum, das zu seinem 20-jährigen Jubiläum 150 ihrer Arbeiten zeigt.

„Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ ist noch bis zum 24. September 2023 im Bucerius Kunst Forum zu sehen

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 07/2023 erschienen.

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