Optimismus und Verfall. Der neue Roman von Heinz Strunk beschreibt wieder mal eine einsame, irgendwie degenerierte aber dennoch liebenswürdige Hamburger Seele, die inmitten unseres flirrenden hansestädtischen Treibens unterzugehen droht
Strunks neues Werk ist ein humoristischer Roadtrip der Trostlosigkeit – eine Erzählung mit viel Bewegung auf der Straße und im Inneren, die bei uns Lesern wehmütige Empathie provoziert: Mit Bernie stellt der Autor seinem titelgebenden Protagonisten einen vom Schicksal gebeutelten Kompagnon zur Seite, mit dem Letzterer aus der Tristesse der Single-Einsamkeit auszubrechen versucht. Es folgen ein bis zum Fremdschämen auserzähltes Date mit Manuela, diverse „Fachliteratur“ und schließlich die Idee, sich in Polen professionell unter die Arme greifen zu lassen.
Entgegen aller gesellschaftlichen Vorzeichen geben die beiden Altsingles ihre Suche nach dem späten Eheglück nicht auf. Und das, obwohl der Titelheld als Luxus-Tiefgaragen-Pförtner seine bettlägerige Mutter zu versorgen hat, deren Beziehung sich in einem Satz zusammenfassen lässt:
„Ich verabschiede mich per Handschlag von Mutter und hänge … noch den Besteckkasten an den Ventilator, damit sie nicht so alleine ist. Das fröhliche Klappern ist für sie wie Besuch, hat sie mal gesagt.“
Und auch „Bernd im Stuhle“, wie Jürgen seinen Leidensgenossen nennt, hätte allen Grund aufzugeben. Aber nix da …
Geschildert wie ein autobiografisches Selbstgeständnis mit den Augen der Titelfigur, ist die Story auch eine charmante Persiflage auf den neuen Romantic-Hipster-Hype, der die alten Werte von Familie und Beziehung entgegen aller sozialen Modalitäten der Postmoderne unbedingt reanimieren will. Amüsant wird das Ganze vor allem durch das Nichtgesagte – typisch Strunk zwar, aber immer wieder wirkungsvoll, denn letztlich begreift man erst durch die forcierte Reflexion auf das Gelesene, mit wem man es eigentlich zu tun hat.
Auch den elendigen Gender-Sprech nimmt Strunk aufs Korn, wenn er souverän betont, dass es keine „weiblichen Pförtner, also Pförtnerinnen“ gibt (ich mag so was … ist es doch ein Fingerzeig auf postmodernen Sprachzwang) – wie auch immer, Jürgen zumindest bedauert diesen Sachverhalt, „denn wie man herausgefunden hat, nehmen zwei Drittel aller Liebesbeziehungen auf der Arbeit ihren Anfang“. Und so nimmt dann die Suche nach dem Liebesglück auf Abwegen ihren Lauf.
Kurz: Strunks neuester Wurf ist ein Liebes-Lehrbuch mit redundanten Erklärungen, ein Beziehungsratgeber mit obsoleten Unterweisungen, ein Outlaw-Tagebuch mit wirklich amüsanten Bekenntnissen. Man stellt sich schon jetzt eine grandiose Verfilmung vor, die zweier Hände bedarf, um sich selbst in den schlimmsten der köstlichen Fremdschäm-Momenten die Sicht zu versperren.
Jenny V. Wirschky / Foto: (C) Dennis Dirksen
Heinz Strunk: „Jürgen“, Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro
Stichwort Verfilmung. Den Soundtrack zum Buch gibt es schon. Sanky Panky Boy ist die erste Singleauskopplung.
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