Knife: Gedanken nach einem Mordversuch von Salman Rushdie
Denkt man an den vielfach ausgezeichneten indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie, denkt man vor allem an zwei Dinge: Erstens an den Skandal, den er 1988 durch die Veröffentlichung seines Buches „Die satanischen Verse“ losgetreten hat, was dazu führte, das ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde. Und zweitens an das dadurch zustande gekommene Attentat, das 2022 während einer Lesung auf ihn verübt wurde, und das Rushdie glücklicherweise überlebt hat. Doch eine solche Nahtoderfahrung wird man nie wieder los, und so hat Rushdie das Beste getan, was man als Schriftsteller seines Kalibers in so einer Situation tun kann: Er hat die Geschichte dieses Attentats mit „Knife: Gedanken nach einem Mordversuch“ aufgeschrieben, große Literatur daraus gemacht und auf diese Weise etwas Schreckliches in etwas Gutes verwandelt. Rushdie schreibt über Angst und Dankbarkeit, aber auch darüber, wie wichtig es ist, den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung nicht aufzugeben. Mutig, erschütternd und ergreifend.
Salman Rushdie: Knife: Gedanken nach einem Mordversuch, Penguin, 256 Seiten, 25 Euro
Schlaglicht: Die jungen Seelen der Teenager
Rita Bullwinkel, eigentlich wohnhaft in San Francisco, ist US-Amerikanerin. Normalerweise lehrt sie am California College of the Arts, doch derzeit weilt sie in Deutschland, weil sie in diesem Sommersemester den Lehrstuhl der Picador Professorship an der Uni Leipzig innehat. Und wie es der Zufall so will, ist soeben auch ein Buch von ihr veröffentlicht worden – und ein ganz grandioses noch dazu. Der Name des Romans: „Schlaglicht“. Der spielt bei einem Frauenboxturnier in Reno und dreht sich um acht Teilnehmerinnen im Teenageralter und ihre körperlichen und emotionalen Kämpfe, ihre Träume, Ängste und Sehnsüchte, die sie allesamt mit in den Ring bringen.
Runde um Runde werden die Kämpferinnen von Bullwinkel bis in die tiefsten und dunkelste Ecken ihrer noch jungen Seelen hinein beleuchtet, und das geht ordentlich unter die Haut. Mit „Schlaglicht“ avanciert die Schriftstellerin aus San Francisco zu einer der spannendsten neuen Stimmen der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur, die man unbedingt im Auge behalten sollte.
Rita Bullwinkel: Schlaglicht, Aufbau, 256 Seiten, 24 Euro
James: „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ in neuem Gewand
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass der US-amerikanische Schriftsteller Percival Everett zu den ganz Großen seiner Zunft gehört. Und mit „James“ erfindet der 67-jährige Autor Mark Twains Literaturklassiker „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ noch einmal neu – und damit gelingt ihm eins der besten Bücher des bisherigen Jahres.
Bei Twain war der Sklave Jim, der Huck den Mississippi hinunter begleitet, ein dummer, einfältiger Mann, doch in „James“, in dem Everett die Geschichte aus Jims Perspektive erzählt, wird deutlich, dass Jim den Dummen stets nur spielt. Denn ihm ist klar: Wenn die Weißen wüssten, wie intelligent er in Wirklichkeit ist, wäre das sein Verhängnis. Als Jim von seinen Besitzern (wie furchtbar das schon beim Aufschreiben klingt) nach New Orleans verkauft werden soll, flieht er stattdessen mit Huck gen Norden in die Freiheit – und gerät zusammen mit Huck immer wieder in die Bredouille. „James“ ist ein wahnsinnig toller Roman, der einen Klassiker der US-Literatur noch mal ganz neu erzählt, ihn modernisiert – und dadurch ein weiteres Mal unsterblich macht.
Percival Everett: James, Hanser, 336 Seiten, 26 Euro
Diese Kritiken sind zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.