Grönemeyer
Im Zuge der Veröffentlichung von Angela Merkels „Freiheit“ sind sämtliche andere Biografien vollkommen untergegangen. Aber dass auf der Autobiografie der langjährigen Bundeskanzlerin eine derart hohe Aufmerksamkeit lag, ist ja auch irgendwie nachvollziehbar. Das soll jedoch nicht heißen, dass es nicht auch andere Lebensgeschichten gäbe, bei denen es sich durchaus lohnt, sich ihnen mal literarisch zu nähern – wie der spannenden Auseinandersetzung mit Herbert Grönemeyer von Michael Lentz. Der Autor ist seit Langem schon mit Grönemeyer befreundet und hat deshalb einen außergewöhnlich direkten Zugang zu einem der erfolgreichsten und ungewöhnlichsten Stars, die wir in Deutschland haben. Denn Grönemeyer schafft das Kunststück, sehr speziell und anders, gleichsam aber so allseits verständlich und Mainstream zu sein, dass sich unglaublich viele Menschen hierzulande auf ihn einigen können – und der klar Kante gegen die AfD und andere rechtsextreme Kräfte zeigt. Ein sehr lesenswertes Buch über einen der spannendsten Künstler unseres Landes.
Michael Lentz: Grönemeyer, S. Fischer, 384 Seiten, 28 Euro
Intermezzo
Gerade einmal 33 Jahre alt ist die irische Schriftstellerin Sally Rooney, und dennoch gilt sie bereits als eine der prägendsten und wichtigsten literarischen Stimmen ihres Landes – und ihrer Generation. Aber kein Wunder: Ihren ersten Roman vollendete sie bereits als 15-Jährige und hat seither nicht damit aufgehört, sich mit der menschlichen Psyche zu beschäftigen und daraus Geschichten zu formen – so wie die in „Intermezzo“. Darin geht es um die beiden Brüder Peter und Ivan, die sich als Kinder sehr nahe standen, sich im Laufe der Jahre aber immer weiter voneinander entfernt haben. Peter ist ein desillusionierter Menschenrechtsanwalt, der mit einer jungen Studentin zusammen ist, aber immer noch an seiner ersten Liebe hängt. Ivan ist ein in sich gekehrter Schachspieler, der sich in eine ältere Frau verliebt, doch mit dem Altersunterschied zu kämpfen hat. Der Lebensschmerz und die Sinnsuche bringt die beiden Brüder wieder näher zusammen. Oder?
Sally Rooney: Intermezzo, Claassen, 496 Seiten, 24 Euro
Doppelgänger
Naomi Klein ist eine Frau, die sich nicht davor scheut, den Mund aufzumachen; die Stellung bezieht; die eine klare Meinung hat. Dieser Umstand hat die kanadische Journalistin nicht nur zu einer politischen Aktivistin gemacht, sondern auch zu einer Bestsellerautorin. Zu ihren bisher bekanntesten Werken gehören „No Logo“, „Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ und „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“, und nun kommt mit „Doppelgänger“ ein weiteres spannendes Werk dazu, das von „The Times“ bis „The Observer“ zum besten Buch des Jahres gewählt wurde. Die titelgebende Doppelgängerin ist eine Frau, die ebenfalls Naomi Klein heißt, aber eine rechte Verschwörungstheoretikerin ist, und mit der die „echte“ Naomi Klein häufig verwechselt wird. In der Analyse ihrer beider Leben zeichnet Klein nun ein spannendes Gemälde unserer aus den Fugen geratenen Gegenwart, in der zunehmend sämtliche Grenzen verschwimmen und man Angst haben muss, inmitten all der Krisen nicht unterzugehen.
Naomi Klein: Doppelgänger – eine Analyse unserer gestörten Gegenwart, S. Fischer, 496 Seiten, 29 Euro
Diese Kritiken sind zuerst in SZENE HAMBURG 01/2025 erschienen.