„Es macht Spaß, mein Unvermögen zu zeigen“

Macbeth Theater richard foto monika_rittershaus-klein
Macbeth mit Kristof Van Boven in der Hauptrolle und inszeniert von Karin Henkels eröffnet die Spielzeit 2022/23 im Deutschen Schauspielhaus (Foto: Monika Rittershaus)

In Karin Henkels Inszenierung zur Saisoneröffnung am Deutschen Schauspielhaus spielt Kristof Van Boven als frisch gebackenes Ensemblemitglied Shakespeares blutrünstigen Königsmörder Macbeth. Im Interview wirkt der Belgier eher schüchtern

Interview: Sören Ingwersen

SZENE HAMBURG: Kristof, zur Eröffnung des diesjährigen Zürcher Theater Spektakels bist du in „Waterworks“ der Choreografin Meg Stuart zu sehen. Den Pressefotos nach zu urteilen eine ziemlich nasse Angelegenheit …

Kristof Van Boven: Mit Meg arbeite ich schon seit 20 Jahren zusammen. Verrückterweise spielen wir diesmal an der Saffa-Insel im Zürichsee im Wasser. Das Publikum sitzt dabei auf zwei Schwimmelementen.

Choreograf:innen arbeiten ja primär mit den Ausdrucksformen des Körpers und Tanzes …

Ich würde mich niemals als Tänzer bezeichnen. Aber es stimmt: Mein Spiel ist eher körperlich. Es beginnt nicht erst mit der Sprache, sondern sobald mein erster Finger oder Zeh auf der Bühne zu sehen ist.

Du hast aber eine klassische Schauspielschule besucht …

Weil gute Freunde von mir gesagt haben, ich solle das mal ausprobieren. Ich war nie derjenige, der auf dem Tisch stand und die Familie unterhalten hat. Ich habe dann in Arnheim in den Niederlanden vorgesprochen, um das für mich abzuhaken, und mich danach gar nicht mehr darum gekümmert. Plötzlich klingelte das Telefon, und man sagte mir, ich könne im August mit dem Unterricht beginnen. Während der Ausbildung habe ich dann ein Jahr lang geschwiegen, weil ich meine eigene Stimme nicht hören wollte. Ich wollte zwischen dem Text und seinen möglichen Betrachtungsweisen nicht im Weg stehen.

Ein Nein, das wie ein Ja klingt

Und das haben die Lehrer durchgehen lassen?

Manche waren sehr böse mit mir, aber andere, die den Unterricht eher körperlich angingen, fanden das genau richtig und fühlten sich durch mein Schweigen positiv herausgefordert. Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich nicht von der Schule geschmissen wurde.

Und wie hast du schließlich zur Sprache gefunden?

Irgendwann forderte mich eine Lehrerin vor der ganzen Gruppe auf, „ja“ zu sagen. Doch jedes Mal, wenn ich „ja“ sagte, klang es wie „nein“. Dann forderte sie mich auf „nein“ zu sagen, und es klang wie „ja“. Durch die Liebe und Zuwendung dieser Frau habe ich nach und nach kapiert, dass es nicht schlimm ist, wenn die Wörter durch mich hindurchgehen.

Das ist doch eine von vielen Theaterkonventionen. Muss man die überhaupt hinterfragen?

Ich war einmal bei meinem Bruder zu Besuch, der Botschafter in Sambia in Afrika ist. Dort ist es uns nicht gelungen zu erklären, was ich beruflich mache. Dass viele Menschen zusammen im Dunkeln sitzen, um zuzuschauen, wie ich vorgebe, ein mittelalterlicher König zu sein, erschien ihnen völlig absurd. Von daher bin ich wahnsinnig dankbar, dass die Menschen in unseren Breitengraden bereit sind, sich auf das Ritual des Theaters einzulassen und Vorgänge auf der Bühne zu verfolgen, die nicht immer leicht zu verdauen sind.

„Dann verwandelt sich meine Angst in Freude“

Richard the Kid & the King (c) Monika Rittershaus-klein
Frisch im Ensemble und gleich die Hauptrolle als Macbeth zur Spielzeiteröffnung: Kristof Van Boven (Foto: Monika Rittershaus)

Hast du auf der Bühne Zeit, dir Gedanken über die Gedanken des Publikums zu machen?

Ja, alles läuft wie beim Billard über Bande. Ich war auch immer bis zum Kotzen nervös, habe mir das aber abtrainiert, weil es sehr ungesund war. Es hat sehr geholfen, überall auf der Welt zu spielen und Menschen zu begegnen – auch ohne Sprache. Dadurch gewöhnt sich der Körper daran, dass er nicht in Gefahr ist. Ich mache in meiner Garderobe auch immer das Fenster auf und schaue mir die Menschen draußen an, die absolut nichts mit dem Theater zu tun haben. Dann verwandelt sich meine Angst in Freude, dass ich diesen Beruf ausüben darf.

Du hast viele Theaterpreise gewonnen …

Auch sie haben mir geholfen, nicht nur so zu tun, als sei ich Schauspieler, sondern es wirklich zu sein. Denn auch nach der Ausbildung habe ich oft gedacht, dass ich für diesen Beruf nicht geeignet bin. Das Unvermögen oder das Gefühl, dass etwas nicht geht, ist für mich immer ein Motor. Auch in jedem guten dramatischen Text zieht die Figur in voller Fahrt eine Handbremse. Dadurch stiftet sie einen Konflikt mit sich selbst oder anderen, aus dem sie sich dann wieder herauszulügen versucht.

Schauspieler: Etwas „Vernünftiges“ machen

Zur Saisoneröffnung am Schauspielhaus spielst du den Macbeth, dem die Hexen zu Beginn prophezeien, dass er König von Schottland wird. Welchen Stellenwert haben das Stück und die Rolle für dich?

Die Engländer nennen das Stück bis heute „the scottish play“. Der Aberglaube verbietet es, den Titel „Macbeth“ wörtlich zu nennen. Man fürchtet den Teufel, der in diesem außer Kontrolle geratenen Jedermann steckt. Wenn man so einem Jedermann eine Prophezeiung ins Ohr tröpfelt – auch wenn sie noch so undenkbar, abscheulich und dumm ist –, setzt das etwas in Gang. Für den prophezeiten Königstitel schlachtet er dann sogar König Duncan ab, den er übrigens für einen absolut perfekten Herrscher hält.

Er will die Macht um jeden Preis?

Bei Vorstellungen habe ich einmal Angela Merkel und auch den König von Belgien getroffen. Solche Menschen haben immer jemanden dabei, der ihnen etwas ins Ohr flüstert, von dem sie dann so tun, als hätten sie es schon immer gewusst. Sie spielen das Spiel von Souveränität, sind dabei sehr sympathisch und nett, aber in ihren Augen sieht man: Wenn du Macht hast, dann hast du die gewollt und geplant. Macbeth hingegen hat überhaupt keinen Plan, der über seine Krönung hinausgeht. Mit ihr kreiert er nur sein nächstes Trauma.

Die Magie der Weissagung wendet sich gegen ihn …

Die Prophezeiung verstehe ich nicht als Magie. Sie ist das, was die Eltern und Großeltern von einem verlangen. Ich war früher Jockey. Meine Eltern haben mich da herausgezogen, weil sie einerseits Angst um mich hatten, aber auch wollten, dass ich etwas „Vernünftiges“ mache. Mit diesem „Hexenspruch“ im Rücken bin ich dann Schauspieler geworden. Und die Pferde habe ich immer noch.

„In Deutschland reden die Schauspieler auf der Bühne manchmal nicht wie Menschen“

Bist du deinen Eltern rückblickend dankbar?

Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich innerhalb meines Berufs immer wieder alles neu denken und den Texten so nahe kommen kann, wie jetzt mit Regisseurin Karin Henkel. Wenn ich aber wieder auf den Hof komme und den Geruch dort atme, denke ich jedes Mal, ich hätte mir den ganzen Umweg sparen können. Aber dann hätte ich alles verpasst, ich würde reden, wie man auf einem Hof redet, und mir würden wahrscheinlich auch ein paar Zähne fehlen.

Wie unterscheidet sich die Sprache des Reiterhofs von der des Schauspielers?

In Deutschland reden die Schauspieler auf der Bühne manchmal wie Schauspieler und nicht wie Menschen. In Holland gab es Ende der 1960er-Jahre die „Aktion Tomate“. Da haben die Leute Tomaten auf die Bühne geworfen, wenn die Schauspieler nicht wie Menschen gesprochen haben. Irgendwann haben sie dann Netze vor die Bühne gespannt.

„Es fragt sich nur, woher das Böse kommt“

Noch einmal zurück zu Macbeth. Ferdinand von Schirach sagt: Es gibt keine bösen Menschen, nur böse Taten. Würdest du dem zustimmen?

Ich glaube, dass es auch sehr böse Menschen gibt. Es fragt sich nur, woher das Böse kommt. Das hat viel damit zu tun, dass in deinem Leben zur falschen Zeit das Falsche passiert: ein traumatisches Erlebnis, ein Unfall, eine Ungerechtigkeit oder emotionale Verletzung. Diese ganze Paul-McCartney-Generation, die jetzt gerade wegstirbt, wurde von den Eltern, die den Krieg noch miterlebt hatten, so verwöhnt, dass dort eine große Gleichgültigkeit entstanden ist. Diese Gleichgültigkeit macht mir Angst.

Bestimmt lässt eure Aufführung niemanden gleichgültig, wenn du mit der Figur des Macbeth gegen dein eigenes Unvermögen anspielst, wie du vorhin gesagt hast …

Macbeth sagt auf der Bühne: „Es ist noch gar nichts passiert, und ich zittere schon am ganzen Körper.“ Wenn ich dann denke: Der kleine Belgier, Eröffnungsvorstellung, Vergleich mit anderen Shakespeare-Abenden – also ich zittere auch schon am ganzen Körper. Es ist krass, wenn so viele Leute da sitzen. Warum tue ich mir das an? Weil es ein geiler Abend wird. Weil es Spaß macht, dieses Unvermögen zu zeigen.

„Macbeth“ am Deutschen Schauspielhaus, 5. Oktober 2022 (Premiere), weitere Termine: 13. Oktober und mehr

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf