Frontmann Sebastian Madsen sah sich plötzlich mit Ängsten konfrontiert – und erzählt im Gespräch zum neuen Madsen-Album „Lichtjahre“ (VÖ 15.6.18), wie er sie überwinden konnte.
SZENE HAMBURG: Sebastian, hast du die diesjährige ECHO-Prozedur verfolgt?
Sebastian Madsen: Ja, zuerst die Show im Fernsehen, und dann war ich noch auf der Aftershow-Party. Allerdings nicht lange – die Stimmung war echt schlecht.
Grund dafür war der Eklat um Farid Bang und Kollegah. Hast du mit Branchenkollegen darüber sprechen können?
Auf der Party war das noch etwas schwer, die Leute waren wie paralysiert. Viele waren sich auch nicht sicher, was sie über die Geschehnisse denken sollten und fragten sich wahrscheinlich: Dürfen die das? Ich hingegen habe mich gefragt: Warum unterstützt denn da keiner Campino…
…der als einziger anwesender Künstler schon auf der Bühne das Werk der Rapper kritisiert hatte. Hättest du es genauso gemacht?
Ja. Ich hatte sofort eine klare Haltung zu all dem und fand es sehr mutig, was Campino gemacht hat, gerade in seiner Position als alter Punk, der vielen Jugendlichen wahrscheinlich wie ein Oberlehrer vorkommt.
„Alle in der Band haben eine politische Haltung“
Was politische Statements angeht, haltet ihr euch mit Madsen grundsätzlich nicht zurück, geht etwa gegen Nazis und Atomkraft offensiv vor. In euren Liedern hingegen geht es eher um das Innenleben des Individuums, politische Parolen werden ausgespart. Gab es denn etwas, das ihr auf eurem neuen Album „Lichtjahre“ textlich unbedingt behandeln wolltet?
Erst mal stimmt es, dass es sich bei Madsen songtextlich vor allem um das Du und das Ich dreht. Das liegt aber nicht daran, dass ich keine Lust hätte, etwas Politisches zu schreiben, heutzutage gibt es in dieser Hinsicht ja viel zu bereden. Aber ich kann das einfach nicht so gut. Feine Sahne Fisch Filet können das, haben da einen sehr direkten Bezug und sind zu Recht eine der derzeit wichtigsten Bands. Bei mir aber kommt Politisches immer komisch rüber, so liedermachermäßig.
Woran liegt das?
Vielleicht daran, dass ich Popmusik so sehr liebe. Ich und alle anderen in der Band haben eine klare politische Haltung, mögen auch grundsätzlich so eine Aufbruchstimmung. Aber textlich fühle ich mich in einem persönlichen Bereich eben wohler.
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Wo fing dieser Bereich für „Lichtjahre“ an, wo hörte er auf ?
Er begann mit einer persönlichen Krise. Inwiefern? Bei mir kamen zum ersten Mal in meinem Leben Angststörungen und Panikattacken auf. Das war noch in der Zeit vom „Kompass“-Album (erschienen 2015). Ich weiß auch nicht, ob das alles einherging mit einer allgemeinen Erschöpfung – es war schließlich schon unser sechstes Album.
Wie haben sich Angst und Panik geäußert?
Ich hatte das Gefühl, nicht auf die Bühne gehen zu können. Es hat mich total überfordert, Konzerte zu spielen.
„Wir haben alle Zelte abgebrochen“
Und wie hast du und wie habt ihr als Band darauf reagiert?
Wir haben erst mal alle Zelte abgebrochen und einige Monate gefühlt gar nichts gemacht. Das ging soweit, dass ich im Bett lag und nicht mehr aufstehen konnte. Furchtbar. Irgendwann habe ich aber wieder Kontaktgesucht, vor allem zu anderen Musikern, und ich habe gemerkt, dass es ungefähr jedem zweiten schon so ging wie mir. Ich war also kein Außerirdischer, sondern hatte ein Problem, was in der Gesellschaft total angekommen war und ist. Ich habe mir dann sehr viele hilfreiche Tipps geholt.
Was waren das für Tipps?
Unter anderem wurde mir zum Sport machen geraten, also zu Bewegung allgemein. Fiel mir nicht immer leicht, aberes half. Außerdem bin ich mit meiner Freundin in den Urlaub gefahren, was mir gut tat – auch wenn ich plötzlich sogar Angst vorm Fliegen hatte. Und der Tipp, der am meisten geholfen hat und gleichzeitig am unangenehmsten in der Umsetzung war, war der, dass man in Phasen, in denen man viel zu tun hat, vielleicht nicht jeden Abend Bier trinken, sondern rausgehen und Sachen machen sollte, also Dinge anpacken sollte. Dazu zählte auch der Bühnengang. Und jedes Mal, wenn ich mit mir zu kämpfen hatte, raus und auf die Bühne zu gehen und es doch gemacht habe, es also geschafft habe, kam so ein Gefühl auf, gewonnen zu haben – gegen mich selbst.
Sicher auch nicht leicht, sich in den schwierigeren Phasen zu beruhigen und darauf zu vertrauen, dass schon alles gut werden wird. Wie ist dir das gelungen?
In solchen Situationen habe ich mich an eine Zeit erinnert, in der man noch keine Karriere und Termine hatte und alles cool war. Da hat man das Leben ja auch einfach genießen können. Dieser Gedanke war ein gutes Back-up für mich, wenn die Angst wieder aufkam.
Und heute? Wie ist dein Bühnengefühl?
Ich habe meine Probleme in den Griff gekriegt. Sie sind zwar textlich noch sehr präsent auf der neuen Platte, aber das ändert nichts daran, dass mir und allen anderen von Madsen die Konzerte wieder richtig Spaß machen.
https://youtu.be/3IhyAFpChUQ
Interview: Erik Brandt-Höge
Beitragsfoto: Dennis Dirksen
22.-24.6.18, Hurricane, Scheeßel
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Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juni 2018. Das Magazin ist seit dem 26. Mai 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!