„Kids finden wenig Gehör und plötzlich hört einer zu“

Marko Schier hat 2020 den interkulturellen Verein CONVENIT gegründet. CONVENIT bringt Menschen zusammen, die sonst nicht zusammenkommen. Und nun gemeinsam etwas bewegen. Ein Gespräch über Austausch, Wertschätzung und gemeinnütziges Gehustle
„Da ist ein Austausch da. Vielleicht auch eine Lehre“: Marko Schier (©Markus Gölzer)
„Da ist ein Austausch da. Vielleicht auch eine Lehre“: Marko Schier (©Markus Gölzer)

SZENE HAMBURG: Marko, du bist Diplomkaufmann, Baubiologe und Permakultur-Designer. Wie bist du auf die Idee gekommen, einen interkulturellen Verein zu gründen?

Marko Schier: Corona-Zeit zum einen: Als die Leute auseinandergedriftet sind, nichts mehr zusammen machen konnten. Zum anderen die Geschichte mit dem Schwarzen George Floyd, der vor laufender Kamera von einem Polizisten umgebracht wurde. Dann saß ich vor Bigis Kiosk in der Schanze, und da war eine Demo, bei der sich plötzlich Leute auf die Nase gehauen haben. Obwohl wir doch alle im selben Boot sitzen. Da kam der Gedanke: Was kannst du machen, um Leute wieder zusammenzuführen?

Auf wen könnt ihr verzichten?

Politik und Religion. Die grenze ich grundsätzlich aus. Ich hatte schon Anfragen für berechtigte Geschichten, aber ich möchte meine Neutralität bewahren, um mit jedem und für alle etwas machen zu können. Das ist gar nicht so einfach. Da heißt es: „Warum machst du das jetzt nicht? Du hast doch ’ne Reichweite, und du sollst das doch …“. Würde ich gerne, aber ich möchte mich nicht auf eine Seite schlagen.

Voneinander lernen statt Mitleid

Euer erstes Projekt waren die Seniorenrikschas.

Ich habe in Kopenhagen das Rikschaprojekt gesehen. Junge Leute haben Senioren rumgefahren, um Jung und Alt zusammenzubringen. Ich Hamburg gab’s das noch nicht. Ich bin los zu Stiftungen, hab gefragt: Könnt ihr mir Geld für die erste Rikscha geben? Dann gab es so viel Anfragen, dass eine zweite hermusste. Austausch, Respekt, Wertschätzung – das geht bei der Rikscha richtig auf. Die Kids finden wenig Gehör und plötzlich hört da einer zu. Und sie kriegen tolle Sachen erzählt. Das sind Senioren, die unter anderem aufgewachsen sind auf Pauli. Und Kids, die Scheiße bauen auf Pauli. Da ist ein Austausch da. Vielleicht auch eine Lehre.

Du willst mit deinen Kindern aufwachsen. Und der Verein ist da eine tolle Möglichkeit

Marko Schier

Wie ging’s weiter?

Ich habe bei der Jugendgerichtshilfe angefragt, um junge Leute zu bekommen, die Sozialstunden bei uns ableisten. Wenn du Sozialstunden aufgebrummt bekommst, kannst du dir aus einem Katalog was aussuchen. Das ist uns wichtig: dass ein Interesse da ist, dass sie da nicht reingezwungen werden. Ich wurde gefragt, ob ich Bock hätte, mehr mit jungen Leuten zu machen. Dann kam die Geschichte mit der Stadtteilschule Wilhelmsburg. Ich dachte mir: Was flasht die Kids? Die datteln alle – mach eine Projektwoche Digitalisierung, zeig denen das Programm Unity. Das können sie sich zu Hause umsonst runterladen und ihre eigenen Spiele programmieren.

Danach kam das Projekt mit den Massai. Wie haben einen Stamm in Tansania unterstützt. Da entstand eine besondere Freundschaft, wir durften sogar eine Woche mit einer Familie zusammenleben. Der Grundtenor bei uns ist immer, die Negativierung rauszuhalten. Wir sagen nicht: Den armen Massai werden die Ländereien abgenommen. Wir bemitleiden sie nicht, sondern lass uns voneinander lernen. Von denen können wir uns beim Thema Nachhaltigkeit eine Scheibe abschneiden.

„Neuer Wohnort. Ausbildungsplatz. Zack“

Was war dein schönstes Erlebnis mit CONVENIT?

Ein Mädel musste bei uns Sozialstunden ableisten. Ihr Fall war: Sie hatte einen schlechten Freundeskreis. Als sie in einem Laden nicht klauen wollte, haben die ihr was in die Taschen gesteckt. Es gab keine Chance, aus diesem Umfeld rauszukommen, weil sie in dem Viertel gewohnt hat. Ich habe den Direktor eines Altersheims, mit dem wir zusammenarbeiten, gefragt: Kann sie ein Praktikum bei euch machen? Nach dem Praktikum konnte sie da anfangen. Neuer Wohnort. Ausbildungsplatz. Zack. Das war ein schöner Moment. Passiert aber nicht jeden Tag.

Was war das unschönste Erlebnis?

Ich bin ein Meister in der Verdrängung (lacht). Aber unschön war: Ich komm ja aus der Wirtschaft. Ich hatte keinen Bock mehr auf das Gehustle, dachte, im gemeinnützigen Sektor bin ich davon befreit. Ich habe gemerkt, dass auch da viel Hustle ist. Ich verstehe: Vereine müssen kämpfen, und da geht’s nicht um Sinn und Zweck, sondern um finanzielle Geschichten. Aber das war büschen eine Enttäuschung. Da musste ich mich erst dran gewöhnen und mir bei Kooperationen eine Sensibilität zulegen, die mir nach wie vor schwerfällt: Machst du es – machst du es nicht? Uncool.

„Aus der Kinderperspektive ist das lustig und inspirierend“

Was sind eure Pläne für die Zukunft?

Ich habe viele Ideen im Kopf und muss aufpassen, dass ich mich nicht verhasple. Ich würde gern ein Reparaturcafé  in der Schanze machen. Da würden auch Jung und Alt zusammenkommen, sich gegenseitig helfen. Man muss nicht alles wegschmeißen. Eine Waschmaschine ist nicht kaputt, wenn der Heizer kaputt ist. Das wäre ein Ort der Zusammenkunft. Aber eben nicht nur beknackt Kaffee und Kuchen, sondern zusammen was machen. Aber ich habe keinen Bock, die Miete allein zu zahlen.

Ich habe mit dem Bezirksamt Altona gesprochen, es gibt keine Räumlichkeiten. Dann ist ein Gartenprojekt im Schanzenpark geplant. War auch schon kurz davor in Kooperation mit der Stadtteilschule Wilhelmsburg, aber der Lehrer ist leider verunglückt. Damit war das Projekt erst mal geplatzt. Ich will das mit Wildpflanzen machen. Die haben am meisten Dampf. Es geht darum, Leute zu sensibilisieren: Was heißt wirklich Biodiversität, was ist Kreislaufwirtschaft und so. Das ist aber eher mittelfristig. Dieses Jahr liegt der Hauptfokus auf den Rikschas. Wenn das gewissermaßen automatisiert ist, kommen die anderen Sachen.

Was machst du, wenn du mal frei hast?

Ich habe fünf kleine Kinder. Vier bis elf. Das ist ein Geschenk Gottes. Und eine tolle Frau, die auch hier im Aufsichtsrat sitzt und viel macht. Das war büschen der Hintergedanke von CONVENIT: mit den Kindern was im gemeinnützigen Kontext machen. Dass man Geld verdienen muss, lernen sie in der Schule und überall. Das ist der Punkt. Zeit mit den Kindern zu verbringen. Dieses Trennen: Das ist Job, das Familie – nein! Du willst mit deinen Kindern aufwachsen. Und der Verein ist da eine tolle Möglichkeit. Ich lass meine Tochter immer unsere Seite durchlesen. Aus der Kinderperspektive ist das lustig und inspirierend.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf