SZENE HAMBURG: Francoise, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurer neuen Spielstätte! 2022 hattet ihr eure Interimsspielstätte in der Gaußstraße eröffnet. Zweieinhalb Jahre später musstet ihr dort wieder ausziehen, weil das ehemalige Vivo Center zur Stadtteilschule umgenutzt wird. Habt ihr in der Billrothstraße eine längerfristige Perspektive?
Francoise Hüsges: Fünfzehn Jahre können wir auf jeden Fall bleiben. Wir haben also Zeit, uns zu entwickeln, was in der Gaußstraße eigentlich nicht möglich war, wo wir nicht einmal von der Halle getrennte Büroräume hatten. Jetzt haben wir im Hochparterre die Büros und die Künstlergarderobe und im ersten Stock den Proben- und Aufführungssaal.
Fünfzehn Jahre können wir auf jeden Fall bleiben. Wir haben Zeit uns zu entwickeln, was in der Gaußstraße eigentlich nicht möglich war
Francoise Hüsges
Musstet ihr die Spielstätte in der Gaußstraße schneller wieder räumen als gedacht?
Zunächst hatten wir einen Mietvertrag für zwei Jahre, der dann um ein Jahr verlängert wurde. Aber wir wussten gar nicht, ob wir so lange durchhalten. Die Fixkosten waren sehr hoch. Dann hat die Kulturbehörde uns mit einer Unterstützung noch einmal eine Perspektive gegeben, und wir haben im April einen Aufruf gestartet, dass wir eine neue Spielstätte suchen
Neue Spielstätte in 130 Jahre altem denkmalgeschütztem Gebäude in Altona
Und wer hat sich gemeldet?
Der Evangelisch-Lutherische Kirchengemeindeverband Altona hat uns Räume in einem 130 Jahre alten denkmalgeschützten Gebäude in der Billrothstraße 79 angeboten, die 30 Jahre lang als Tagesstätte für Obdachlose genutzt wurden. Den neuen Mietvertrag konnten wir aber erst am 3. Dezember unterschreiben. Bis zum 17. Dezember hatte wir noch Vorstellungen in der Gaußstraße, dann wurde dort auch gleich der Strom abgestellt, und wir hatten zwei Tage Zeit zum Einpacken und für den Transport unserer Sachen. Das war der heftigste Umzug, den ich je erlebt habe.
Wir hatten zwei Tage Zeit um unsere Sachen einzupacken. das war der heftigste Umzug, den ich je erlebt habe
Francoise Hüsges
Wie sind die Gegebenheiten im neuen Saal?
Unsere Podesterie bietet 76 Sitzplätze, wir können aber bis auf 100 Stühle aufstocken. Es gibt zu beiden Seiten Fenster, die wir komplett verdunkeln können, und im Nachbarhaus einen Aufzug. Wer sich vorher anmeldet, kann ihn nutzen und über eine Rampe in den Saal gelangen. Er ist damit sozusagen barrierefrei zugänglich, was für ein so ein altes Gebäude viel wert ist.
Seid ihr mit der Lage zufrieden?
Hier gibt es den Kunstraum Oberfett, das Kulturzentrum HausDrei und viele Cafés und Restaurants. Ich denke, wir passen hier sehr gut hin. Außerdem sind wir verkehrstechnisch gut angebunden zwischen dem Bahnhof Altona und den S-Bahnstationen Königstraße und Reeperbahn.

Hamburgs ältestes Off-Theater „Monsun“ feiert Anfang September sein 45-jähriges Bestehen
Das Monsun Theater hat in diesem Jahr noch einen weiteren Grund, die Korken knallen zu lassen: Es wurde vor 45 Jahren gegründet und ist damit Hamburgs ältestes Off-Theater.
Anfang September wollen wir das auch groß feiern. Aber jetzt kommt erst mal die Spielstätteneröffnung mit „Der Ursprung der Welt“.
Eine Produktion des Performancekollektivs „frau emma gelb“. Warum eröffnet ihr die neue Spielstätte nicht mit einer Eigenproduktion?
Meike Krämer und Amelie Möller sind Mitarbeiterinnen des Monsun Theaters. Insofern handelt es sich indirekt um eine Eigenproduktion, da wir die Nachwuchskünstler:innen in ihrem Projekt als Produktionsstätte maßgeblich unterstützen.
Wir zeigen dem Patriarchat, wo die Klitoris hängt
aus dem Stück „Der Ursprung der Welt“
Im vorletzten Jahr hat das Kollektiv, zu dem auch noch die Bühnen- und Kostümbildnerin Annika Bethke zählt, „Geschlossene Gesellschaft“ bei euch aufgeführt …
Ja. „Der Ursprung der Welt“ ist die zweite größere Produktion von Meike, Amelie und Annika nach ihrer Studienzeit in Braunschweig. Jetzt hat das Kollektiv seinen künstlerischen Schwerpunkt in Hamburg.
Worum geht es in „Der Ursprung der Welt“?
Der Satz „Wir zeigen dem Patriarchat, wo die Klitoris hängt“, sagt eigentlich alles. Es ist ein spielerisches „Aufklärungsstück“ über die Vulva und sicherlich erkenntnisreich – für Frauen wie für Männer. Es werden Dinge angesprochen, über die man so vielleicht noch nicht nachgedacht hat. Langweilig wird das jedenfalls nicht.
Die Comic-Vorlage von Liv Strömquist ist ja auch sehr humorvoll …
Wir haben sogar darüber nachgedacht, dieses Stück für eine Oberstufe als Testpublikum in unserer Tusch-Partnerschule, dem Helmut-Schmidt-Gymnasium in Wilhelmburg, aufzuführen. Aber das wäre wohl doch etwas zu progressiv. Es handelt sich ja um ein partizipatives Stück, bei dem Mitmachen ausdrücklich erlaubt ist.
Auch für Männer?
Gerade für Männer. Aber auch wir Frauen trauen uns vielleicht nicht alle, mit dem Thema offen umzugehen, und oftmals übernehmen wir Stereotype, die uns von der Gesellschaft auferlegt werden. In dieser Weltlage, in der sich gerade alles so verändert, dass wir das Gefühl haben, wir machen mehr Rollen rückwärts als vorwärts, und wir gar nicht mehr wissen, was richtig und falsch ist, müssen wir vielleicht zum „Ursprung“ zurückkehren.
Balsam für die Seele: Das Theater bietet eine Art Schutzraum vor der beunruhigenden politischen Lage
Fühlt man sich als Theaterleiterin und -macherin manchmal ohnmächtig angesichts der beunruhigenden politischen und militärischen Verschiebungen in Europa und der Welt?
Es ist eigentlich eher umgekehrt. Wir schaffen mit dem Theater eine Art Schutzraum, in dem wir uns mit all dem auseinandersetzen. Wo wir aufklären, aber auch genießen können. Wo wir uns auch mal für einen Moment fallen lassen oder träumen können, auch wenn Themen verhandelt werden, die uns aufwühlen. Wer äußerlich eine Pause macht, kann innerlich trotzdem weitergehen. Dabei bietet Kunst im Allgemeinen eine Authentizität, die wir dringend brauchen. Selbst in Krisenzeiten empfinden Menschen eine schöne Musik, ein schönes Bild oder ein lustiges Theaterstück als Balsam für die Seele.
Kultur als Lebenselixier?
Ja. Trotzdem machen wir uns natürlich große Sorgen. Sollten die Entwicklungen sich zuspitzen, sind wir vielleicht die ersten, die angegriffen und denen die Gelder gestrichen werden, wenn wir hier progressiv Aufklärung betreiben. Schon jetzt müssen ja staatlich geförderte Vereine wie „Omas gegen Rechts“, die sich auf der Straße für die Demokratie einsetzen, einen umfangreichen Fragenkatalog von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantworten, mit dem geprüft werden soll, ob sie auch zukünftig noch öffentliche Gelder erhalten.
Wie soll man mit solchen Entwicklungen umgehen?
Einfach weitermachen. Immer im Bewegung bleiben. Denn das machen die anderen nicht. Die bleiben nicht in Bewegung.