MS Dockville: „Da sehen wir uns auch in der Verantwortung“

Das MS Dockville setzt bei seinem Programm auf Gleichberechtigung, keine Selbstverständlichkeit in der deutschen Festival-Landschaft. Ein Gespräch mit MS Dockville-Bookerin Beke Trojan über den Fokus auf FLINTA*-Acts, das Verständnis als Sprungbrett und ein unerwünschtes Alleinstellungsmerkmal
MS Dockville Provinz
„FLINTA*-Artists im Zweifel auch mal eine größere Bühne zu bieten“, das ist der Anspruch des MS Dockville (©Marvin Contessi)

SZENE HAMBURG: Hallo Beke, das MS Dockville ist in der Branche als Festival bekannt, dass sich um ein geschlechtergerechtes Line-up bemüht. Wie sieht das bei euch 2023 aus?

Beke Trojan: Grob überschlagen haben wir beim MS Dockville 2023 180 Programmpunkte und davon sind 92 weiblich oder mit Beteiligung mindestens einer FLINTA*-Person (FLINTA sind Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen, Anm. d. Red.). Das heißt, wir sind aktuell nahezu paritätisch, was die Verteilung der Geschlechter angeht. Wir arbeiten aber auch daran, zudem andere auf Festivalbühnen unterrepräsentierte Personengruppen zu buchen.

War das bei euch schon immer so?

Wir haben von Beginn an darauf geachtet, auch FLINTA*-Personen einen Raum zu geben und in den letzten zwei Jahren sind wir da angekommen, wo wir heute sind: bei einer quasi 50/50-Verteilung.

Warum ist euch die Geschlechtergerechtigkeit im Programm so wichtig?

Wir wollen ein diverses Programm präsentieren und Geschlechtergerechtigkeit ist ein Teil davon. Leider sind FLINTA*-Acts immer noch oft unterrepräsentiert und es braucht eine nachhaltige Veränderung der Strukturen in der Branche. Da sehen wir uns auch in der Verantwortung, unter anderem diesem kreativen Output eine Bühne zu bieten. Aber auch hinter den Bühnen arbeiten wir an diesen Strukturen.

Paritätische Verteilung als Herausforderung

Beke Trojan Bookerin beim MS Dockville
Paritätisches Booking? „So schwer ist es am Ende auch nicht“, sagt MS Dockville-Bookerin Beke Trojan (©privat)

Wie ist das dann im Vorfeld des Festivals? Achtet ihr von Beginn an beim Booking auf die paritätische Verteilung?

Mittlerweile ist es bei uns schon so weit, dass die Geschlechtergerechtigkeit beziehungsweise -Verteilung im Booking-Prozess fast automatisch einfließt. Wir suchen vor allem gute Acts. Wenn wir zwischendurch mal checken, wie es aktuell aussieht, stellen wir oft fest, dass wir bei dem Thema ohnehin schon auf einem guten Weg sind. Aber es ist schon so, dass es im Fall des Bookings von Headlinern eine Herausforderung sein kann.

Was meinst du damit?

Wir haben zwar eine Wunschliste an Künstlerinnen, aber natürlich sagen nicht alle zu. Ebenso gibt es Künstlerinnen, die wir uns einfach nicht leisten können. Deswegen können wir auch nicht für alle Bühnen auf dem Festival die Parität garantieren. So kommt es vor, dass wir Bühnen haben, wo mehr männlich gelesene Acts performen und Bühnen, die fast ausschließlich von FLINTA*-Personen bespielt werden.

Eine größere Bühne für FLINTA*-Artists

Wie schwer ist es denn für euch, das Festival geschlechtergerecht besetzt zu bekommen? Denn das Musikbusiness ist immer noch männlich dominiert – Leslie Clio hat in einem Interview mit der SZENE HAMBURG auch mal von fehlender Diversität gesprochen …

Das MS Dockville wird mittlerweile von außen als Festival wahrgenommen, das sehr auf die Parität achtet. Wir bekommen natürlich viele Artist-Vorschläge, verfolgen aber auch unsere eigene Agenda und fragen konkrete Wunsch-Künstlerinnen direkt an. Es gibt viele gute und erfolgreiche männlich besetzte Bands und Künstler, die genauso zu unserem Programm gehören. Wir bieten FLINTA*-Artists aber im Zweifel auch mal eine größere Bühne – als Chance, um vor einem neuen Publikum zu spielen und sichtbarer zu werden. Manchmal bedeutet paritätisches Booking eben auch einen gewissen Mehraufwand zu betreiben, was es uns absolut wert ist. Und so schwer ist es am Ende auch nicht.

Es ist machbar, diverser zu werden, ohne Angst haben zu müssen, weniger Tickets zu verkaufen.

Beke Trojan, Bookerin beim MS Dockville

Wenn ihr ein paritätisch besetztes Line-up hinbekommt, warum gelingt das im Jahr 2023 nicht mehr Festivals?

Einige Festivals argumentieren damit, dass es die vielen großen weiblichen Acts nicht gäbe. Der Auffassung bin ich nicht. Meine Theorie ist, dass viele Entscheider-Rollen nach wie vor von Personen besetzt sind, die da einfach keinen Fokus darauf legen.

„Trefft eure Entscheidungen anders“

Brockhoff (l.) und Lime Garden (r.): zwei vielversprechende Newcomerinnen auf dem MS Dockville 2023
Brockhoff (l.) und Lime Garden (r.): zwei vielversprechende Newcomerinnen auf dem MS Dockville 2023 (©Charlotte Krusche/Felix Sauerbrey)

Ist es denn für große Festivals möglich, diverser zu buchen?

Ja, klar. Vor allem wenn sie ohnehin musikalisch schon divers aufgestellt sind, sollte das bei deren finanziellen Möglichkeiten durchaus machbar sein.

Manche bringen noch das Argument, dass sich weibliche Acts vermeintlich schlechter verkaufen würden …

Aber genau hier sind doch die Festivalmachenden in einer Situation, etwas verändern zu können. Denn sie haben potenziell die Mittel, sich für ein gendergerechtes Festival einzusetzen. Das heißt nicht, dass sich Rock am Ring von fast „all male“ zu „all FLINTA*“ entwickeln muss, die Notwendigkeit sehe ich nicht. Es ist aber dennoch machbar, diverser zu werden, ohne Angst haben zu müssen, weniger Tickets zu verkaufen. Vielmehr kann ich mir vorstellen, dass auch die etablierten großen Festivals damit auch jüngere Zielgruppen ansprechen würden, die einen großen Wert auf Vielfalt legen.

Hast du Tipps für andere Festivals, wie sie diverser werden können?

Trefft eure Entscheidungen anders (lacht). Am Ende ist es eine Frage der Priorisierung der Veranstaltenden selbst.

Wir hoffen, dass wir uns irgendwann nicht mehr über unser paritätisches Programm definieren können, weil es selbstverständlich geworden ist.

Beke Trojan, Bookerin beim MS Dockville

Seid ihr denn mit eurer Ausrichtung allein?

Nein, es gibt super viele kleine und größere Festivals wie das Melt, die auf ein geschlechtergerechtes Programm achten und ein dementsprechendes Booking machen. Auch wenn wir als MS Dockville uns aktuell auch über unser paritätisches Programm ein bisschen definieren, wünschen wir uns, dass wir das irgendwann nicht mehr können, weil es selbstverständlich geworden ist.

MS Dockville 2023, ein Sprungbrett für Lime Garden und Brockhoff?

Wollt ihr mit eurer Ausrichtung denn auch ein Sprungbrett für weiblich gelesene Acts sein?

Auf jeden Fall. Zum Beispiel hat Tash Sultana 2022 bei uns auf einem Headline Slot gespielt und stand vor rund sechs Jahren noch bei uns auf der kleinen Butterland-Bühne. Auf unseren Bühnen können auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Neuentdeckungen gemacht werden, von denen wir in den nächsten Jahren sicherlich noch einiges hören werden, sowohl bei den Live Acts als auch auf unseren DJ Bühnen.

Gibt es denn eine Newcomerin, die du 2023 empfehlen würdest?

In diesem Jahr freue ich mich sehr auf Lime Garden, einer Indie-Rockband aus Brighton in Großbritannien, die auf der Butterland-Bühne spielen werden und Brockhoff, die wie einige andere Newcomerinnen auf einem der frühen Slots auf der Hauptbühne zu sehen sein wird. Und wer weiß, auf welchen Bühnen diese Künstlerinnen in der Zukunft noch spielen werden.

Das MS Dockville 2023 findet vom 18. bis 20. August 2023 in Hamburg-Wilhelmsburg statt. Tickets gibt’s ab 69 Euro (Tagesticket) und 179 Euro für alle drei Tage. 

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