„Vielleicht werden die Stücke dann noch etwas abgespaceter“

Murat Yeginer inszeniert mit Tatjana Kruses Krimikomödie „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer …“ am Ohnsorg-Theater das Gewinnerstück des ersten Autorenwettbewerbs „Große Freiheit Schreiben“
„Mich hat das Theater in Deutschland integriert“: Murat Yeginer (©Sinje Hasheider)
„Mich hat das Theater in Deutschland integriert“: Murat Yeginer (©Sinje Hasheider)

SZENE HAMBURG: Herr Yeginer, mit der Komödie der bekannten Krimiautorin Tatjana Kruse inszenieren Sie das Gewinnerstück des Autorenwettbewerbs „Große Freiheit Schreiben“, der im Frühjahr 2021 vom Ohnsorg-Theater ins Leben gerufen wurde. Wie kam es zu der Idee, einen solchen Wettbewerb durchzuführen?

Murat Yeginer: Der Autorenwettbewerb war meine Idee, aber dann hat das Haus gleich mitgezogen. Unsere Dramaturgin Anke Kell und ich habe ihn dann gemeinsam auf die Beine gestellt. Der Gedanke dahinter ist: Wir brauchen Theaterautoren. Die werden immer weniger, weil viele Theater inzwischen lieber Literatur- oder Filmbearbeitungen auf die Bühne bringen, anstatt Autoren die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln.

Die Gewinnerin des Wettbewerbs, Tatjana Kruse, ist im Kreis der Krimi-Leser keine Unbekannte. Über 30 Romane und etliche Kurzkrimis hat sie in rund 25 Jahren veröffentlicht. Was war Ihre erste Reaktion, als nach der Wahl des Gewinnerstücks der Name gelüftet wurde?

Ich war bei der Juryentscheidung nicht beteiligt, aber das Stück gehörte zu meinen drei Favoriten. Mein zweiter Gedanke war: Warum keinen Krimi auf die Bühne bringen? Das ist immer spannend.

Fühlen Sie sich als Regisseur eingeschränkt beim Inszenieren einer Uraufführung, weil Sie weniger Freiheiten haben, in den Text einzugreifen?

Ich wollte zusammen mit der Autorin noch einige kleine dramaturgischen Änderungen vornehmen, zum Beispiel längere Monologe ineinander verschachteln und in Dialoge auflösen. Dabei hat sie mir aber völlig freie Hand gelassen. Stücke, bei denen der Verlag darauf besteht, dass nichts geändert wird, nehme ich erst gar nicht in die Hand. Das kommt sehr selten vor, aber kürzlich gab es so einen Fall.

„Das Schreiben läuft also ganz gut“

Abgesehen von einem früheren Gemeinschaftswerk für die Bühne, feiert Tatjane Kruse mit diesem Stück ja auch ihr Theaterdebüt …

Das ist der Tatsache geschuldet, dass wir alle, die Lust dazu hatten, zum Schreiben aufgefordert haben. Dabei geht es uns nicht darum, dass das Stück geschliffen und punktgenau abgeliefert wird. Wenn uns das Thema anspricht, sind wir auch bereit, Projekte dramaturgisch zu begleiten. Die Autorinnen der Stücke auf dem zweiten und dritten Platz haben zum Beispiel einen Workshop bei unserem Jurymitglied John von Düffel gewonnen und befinden sich bei uns noch in der Arbeitsphase.

Sie sind ja auch selbst als Bühnenautor tätig …

Jetzt mache ich erst mal eine Romanbearbeitung für das Theater Bielefeld. Auch wenn ich solche Bearbeitungen kritisch sehe, ist der Stoff sehr spannend und betrifft mich persönlich mit meinen Migrationswurzeln. Außerdem wurde „Dat Frollein Wunner“ von mir in der letzten Spielzeit am Ohnsorg uraufgeführt und wird jetzt wieder aufgenommen. Die nächste Spielzeit eröffnet dann das Alte Schauspielhaus Stuttgart mit diesem Stück. Das Schreiben läuft also ganz gut. Aber der Traum eines jeden Autors ist natürlich der Roman. Der liegt in meiner Schublade und wartet darauf, endlich beendet zu werden. Dabei habe ich gar keine großen Vorbilder: Ich möchte so etwas schreiben wie Herman Melvilles „Moby-Dick“ (lacht).

Ich kann das Enfant terrible sein

Murat Yeginer

Gibt es da irgendwelche Anknüpfungspunkte zu Ihrer Theaterarbeit?

Der Roman handelt von Dingen, die mich beschäftigen, mit denen ich aber eigentlich gar nichts zu tun habe. Es ist die Geschichte eines Eisbären, der aus den Hungergebieten der Arktis nach Kanada wandert und sich dann plötzlich zwischen Braunbären wiederfindet. Ich war noch nie in meinem Leben in dieser Gegend, aber es macht wahnsinnig Spaß, in diese Richtung zu recherchieren. Dadurch, dass ich als Theatermensch zum Stoff Distanz nehmen und ihn opulent gestalten kann, kann der Leser ihn visuell viel besser erfassen und davon berührt werden.

„Nur die Leiche ist bunt“

Wenn du aufwachst und tot bist: Birte Kretschmer in „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer …“ (©Sinje Hasheider)
Wenn du aufwachst und tot bist: Birte Kretschmer in „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer …“ (©Sinje Hasheider)

Sie sprachen von Ihrem Migrationshintergrund. Seit fünf Spielzeiten sind Sie Oberspielleiter des Ohnsorg-Theaters und seit Sommer 2023 künstlerischer Leiter des Großen Hauses an einer Bühne, die für das klassische deutsche Volkstheater steht. Spielen Ihre türkischen Wurzeln eine Rolle für Ihre Theaterarbeit? Reiben Sie sich manchmal an den Stoffen?

Bis vor zwanzig Jahren gab es Reibungen im Vorfeld von Produktionen, da fielen dann schon mal Sätze wie „Kann der Türke das überhaupt?“. Das Problem war also eher das Durchsetzen und das Zutrauen in die eigene Person bei der administrativen Arbeit. Während der künstlerischen Arbeit gibt es dann keine Reibungen mehr, da läuft alles sehr harmonisch, weil ich es südländisch-entspannt angehe. Leicht war es aber nicht, dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Es hat zwar eine gesellschaftliche Entwicklung gegeben, aber Diskriminierung gibt es immer noch. Genau deshalb bin ich Künstler geworden. Ich dachte, wenn ich die Sprache eines Volkes beherrsche und dessen klassischen Autoren kenne – Goethe, Schiller, Lessing –, dann gehöre ich dazu und werde von allen geliebt. Später habe ich festgestellt, das ist Quatsch, weil die meisten Deutschen ja selbst Lessing gar nicht gelesen haben und man dann eher als arrogant dasteht.

Wie groß ist ihr Einfluss auf die Programmgestaltung des Ohnsorg-Theaters?

Ich schlage einen Spielplan vor, an dem Intendant Michael Lang und ich uns dann orientieren. Er muss dabei eher geschäftsmäßig denken, und ich kann das Enfant terrible sein – obwohl ich der Ältere bin. Aber letztendlich gibt es immer eine gute Einigung zwischen uns.

Was sehen Sie als Ihre größte Herausforderung am Ohnsorg-Theater an?

Die größte Herausforderung ist, dass viele Menschen beim Ohnsorg-Theater noch an Heidi Kabel, Henry Vahl und die alten Fernsehausstrahlungen in Schwarz-Weiß denken. Deshalb werde ich „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer …“ auch in Schwarz-Weiß inszenieren. Nur die Leiche ist bunt. Unsere Herausforderung besteht darin, neue Zuschauergruppen für das Theater zu gewinnen, ohne die Älteren zu vergrellen. Das ist ein sehr schwerer Job, da die Zahl der Zuschauer, die ein rein plattdeutsches Theater verstehen, abnimmt. Deshalb müssen wir bilingual arbeiten. „Dat Füerschipp“ nach Siegfried Lenz, das ich gerade inszeniert habe, hat einen Hochdeutschanteil von mindestens 50 Prozent.

„Mal schauen, was da auf uns zukommt“

In der Beschreibung des aktuellen Stücks fühlt man sich an klassische Whodunit-Konstellationen im Stil von Agatha Christie erinnert. Können Sie kurz etwas zum Inhalt sagen?

In einer kleinen Pension ist eine Frau gestorben. Sie kommt wieder zu sich und bewegt sich als Geist in einer Zwischenwelt, umgeben von ihrem Ehemann, der Schwiegermutter, der die Pension gehört, einer Installateurin, einem Frauenpärchen, das zu den Stammgästen zählt, und es gibt eine vermeintlich schwangere Geliebte des Ehemanns. Außerdem gibt es ein Medium, das versucht, mit dem Geist Kontakt aufzunehmen. Nach einer Weile wird klar, dass jeder einen Grund gehabt hat, diese Frau umzubringen. Das Opfer beginnt zu recherchieren. Dann taucht ein sehr merkwürdiger Polizist aus dem Schneegestöber auf. Er teilt der Gesellschaft mit, dass ein Serienmörder aus dem Irrenhaus ausgebrochen ist.

Wird der Schreibwettbewerb fortgeführt?

Wir wollen ihn alle zwei Jahre durchführen. Vielleicht werden die Stücke dann noch etwas abgespaceter. Mal schauen, was da auf uns zukommt.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

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