Theaterkritik: Nebenan

„Nebenan“ von Regisseur Ulrich Waller und mit dem ehemaligen Tatort-Schauspieler Oliver Mommsen im St. Pauli Theater erzählt vom Rachefeldzug des kleinen Mannes
Von „Nebenan“ nach oben: Bruno (Stephan Grossmann, o.) hat das ganze Leben des Schauspielers (Oliver Mommsen) auf dem Zettel (©Kerstin Schomburg)
Von „Nebenan“ nach oben: Bruno (Stephan Grossmann, o.) hat das ganze Leben des Schauspielers (Oliver Mommsen) auf dem Zettel (©Kerstin Schomburg)

Dieser Abend bringt ins Grübeln. Darüber, ob man nicht grundsätzlich wieder auf Bargeldzahlung umstellen sollte. Denn offenbar ist es dem Mitarbeiter eines Kreditkartenunternehmens möglich, das Leben eines prominenten Schauspielers zu rekonstruieren – anhand seiner Abbuchungen und jener seiner Frau. Was sich darüber hinaus noch an Lücken auftut, kann mit belauschten Gesprächen aufgefüllt werden, denn Promi und Stalker sind zufällig auch Nachbarn: Der Feind wohnt „Nebenan“.

Diese großartige Geschichte – aus der Bestsellerautor Daniel Kehlmann zusammen mit Schauspieler Daniel Brühl ein Filmdrehbuch machte – geht nun als deutsche Erstaufführung in der Regie von Hausherr Ulrich Waller über die Bühne des St. Pauli Theaters. Spielplatz: eine Berliner Kneipe, wo Oliver, der erfolgsverwöhnte Strahlemann aus dem Westen (Oliver Mommsen) auf den No Name Bruno (Stephan Grossmann) trifft. Auf eine solche Gelegenheit hat der im Osten aufgewachsene und vom Leben gebeutelte Bruno nur gewartet: Genüsslich und in kleinen Dosen konfrontiert er den Überflieger mit pikanten Details aus dessen Leben, deckt Affären und Lügen auf und seziert schließlich auch noch dessen Missgriffe bei der Auswahl seiner bisherigen Filmrollen.

Keine Minute zu viel

Auf dem Sprung nach London zu einem wichtigen Casting will der Schauspieler den lästigen Schwätzer zunächst einfach abschütteln, doch der sorgt mit größter Ruhe dafür, dass dem verhassten Nachbarn seine Vergangenheit langsam aber sicher um die Ohren fliegt. Über den persönlichen Rachefeldzug hinaus wird hier gekonnt exemplarisch thematisiert, wie es Opfer des Ausverkaufs von Berlin einerseits und den Wendegewinnern andererseits ergangen ist. In Wallers Inszenierung behält ein gekonnt eingesetzter Galgenhumor trotz der dramatischen Handlung unterhaltsam die Oberhand. Von den pausenlosen 90 Minuten ist keine einzige zu viel.

„Nebenan“ ist noch bis zum 9. April 2023 im St. Pauli Theater zu sehen

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

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