„Aftersun“ ist ein Kinoerlebnis. Mit wenig Mitteln gelingt es der Regisseurin Charlotte Wells die Emotionen der Protagonisten erlebbar zu machen, meint unser Autor
Text: Marco Arellano Gomes
Es sind die späten 90er-Jahre: Die elfjährige Sophie (hinreißend: Frankie Corio) verbringt ihre Ferien mit ihrem liebevollen, wenn auch leicht verträumten, jungen Vater Calum (Paul Mescal) in einem etwas betagten Ferienort in der Türkei. Sie ist ein Trennungskind, ihr Vater lebt seit einiger Zeit in England, sie lebt mit ihrer Mutter in der schottischen Heimat. Die sommerlichen Tage plätschern dahin wie die kleinen Wellen im Pool. Doch mit jeder Sekunde, die vergeht, spürt Calum, dass diese vertrauten Tage keine Selbstverständlichkeit sind. Welche Rolle wird er in Sophies Leben noch spielen, wenn sie erwachsen wird? Jeder Moment ist, so wird ihm klar, von kostbarem Wert. Das spürt auch Sophie rückblickend, 20 Jahre später, als sie auf die inzwischen vertraut-unvertrauten, verspielten Foto- und Videoaufnahmen schaut, die sie damals im Urlaub machte.
Ein liebevoll zusammengestelltes Fotoalbum
Die schottische Regisseurin und Drehbuchautorin Charlotte Wells überzeugt mit ihrem Debütfilm sowohl Kritiker als auch das Publikum. „Aftersun“ ist ein Film der ruhigen Töne. Leise, still und bedächtig mäandert die Kamera um die beiden Protagonisten herum, begleitet sie, porträtiert sie, behält beide stets im Fokus – ohne deren Charakter in der Tiefe überhaupt erfassen zu wollen. Der Film erscheint wie ein liebevoll zusammengestelltes Fotoalbum voller wahrhafter Momente zweier Menschen, die sich vertraut sind und doch auch nicht. Er wirkt wie eine schwindende, fast vergessene und doch lebendige Erinnerung: emotional, melancholisch, unaufdringlich, unvergesslich. Es gelingt der Regisseurin ohne große Dialoge, ohne dramatische Szenen die Emotionen der Protagonisten erlebbar zu machen. Sie erschafft eine cineastische Erfahrung, eine Reise durch Erinnerungen – voller Hoffnungen, voller Freude und Verlorenheit. Das wurde in Cannes mit dem Jury-Preis ausgezeichnet.
„Aftersun“, Regie: Charlotte Wells. Mit Paul Mescal, Frankie Corio, Celia Rowlson-Hall. 98 Min. Ab dem 15. Dezember im Kino
Hier gibt’s den Trailer zum Film:
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