Die Initiative #OutInChurch ist ein Zusammenschluss von Mitgliedern der katholischen Kirche. Sie bekennen sich öffentlich dazu, von der propagierten Sexualmoral abzuweichen. Gegründet 2021, wurde die Gruppe im Januar 2022 durch eine TV-Dokumentation einer großen Öffentlichkeit bekannt. Inzwischen bekennen sich fast 300 Menschen zu dem von den Initiatoren formulierten Manifest, das konkrete Forderungen stellt, wie zum Beispiel „LGBTIQ+-Personen müssen freien Zugang zu allen pastoralen Berufen erhalten“. Ihr Ziel: Eine Kirche ohne Angst!
Herr Ehebrecht-Zumsande, Sie sind Mitverfasser eines Briefs an Papst Franziskus, der im Herbst 2022 versandt und erst vor Kurzem im Internet veröffentlicht wurde. Bislang hat der Heilige Vater nicht geantwortet, hoffen Sie weiterhin auf eine Rückmeldung?
Jens Ehebrecht-Zumsande: Unsere Erwartung ist diesbezüglich nicht mehr sehr groß. Das macht aber nichts, denn uns geht es vor allem darum, dass der Papst direkt mitbekommt, wie unterschiedlich die Perspektiven sind und vor allem, dass er unsere kennenlernt. Und es geht nicht allein um den Papst. Es ist ja klar, dass im Vatikan viele den Kurs mitbestimmen. Darum war es uns wichtig, den Brief nun öffentlich zu machen. Das ist auch ein Signal in die Weltkirche hinein. Der Umgang mit LGBTIQ+-Menschen ist ja nicht nur ein Thema bei uns in Deutschland.
Ein Widerspruch zwischen Glauben und Vernunft
In dem Brief fordern Sie unter anderem vom Oberhaupt der katholischen Kirche, die Verantwortung für die „Leiderfahrung der LGBTIQ+-Personen zu übernehmen“. Ist das tatsächlich eine ernst gemeinte Forderung oder eher eine taktische Vorgehensweise?
Ehebrecht-Zumsande: Natürlich ist das ernst gemeint. Das ist eine unserer sieben Forderungen, die wir zu Beginn der #OutInChurch-Kampagne formuliert haben. Diese Forderung richten wir auch an die Bischöfe in Deutschland. Die katholische Sexualmoral hat in der Vergangenheit schweres Leid verursacht, und Arbeitnehmer:innen ist viel Unrecht widerfahren. Wir lernen gerade erst als römisch-katholische Kirche in Deutschland mit dem neuen Arbeitsrecht, wie langsam ein Kulturwandel gestaltet werden kann. Aber ein solcher Neuanfang und eine Weiterentwicklung sind nur möglich, wenn die Augen nicht vor dem Leid verschlossen werden. Und schließlich geht es auch um die Frage, wie für manche Personen eine Wiedergutmachung aussehen kann, die möglicherweise finanzielle Aspekte beinhaltet.
Wie sähe denn eine Antwort des Papstes im Idealfall aus?
Ehebrecht-Zumsande: Ideal wäre, wenn unser Brief eine breite Debatte auslöst und unsere Argumente auch ernsthaft gehört und geprüft würden. Die immer noch geltende Lehre widerspricht den Menschenrechten. Und auch theologisch und humanwissenschaftlich ist sie nicht mehr zu halten. Es ist uns wichtig, dass es nicht länger einen solch fatalen Widerspruch zwischen Glauben und Vernunft gibt. Denn auch das ist ein wichtiges Anliegen der katholischen Lehre.
Herr Kiencke, Sie sagten, Sie rechnen damit, dass schon in ein oder zwei Jahren gleichgeschlechtliche Paare kirchlich getraut werden dürfen. Und das, obwohl schnelles Handeln selbst bei großem Druck durch die Öffentlichkeit noch nie typisch für die Kirche war …
Norbert Kiencke: Mittlerweile gehe ich nicht mehr davon aus, dass die Amtskirche eine Segnung offiziell ermöglichen wird. Aber es wird wie bisher auch weiterhin Segnungen neben dem offizellen Weg geben. Auch heute gibt es schon erfreulicherweise Priester, die dem Verbot von Segnungen gleichgeschlechtlicher Beziehungen widersprechen und diese Segnungen entgegen der Vorschrift vornehmen.
Der größte Erfolg? Die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts
Es ist beeindruckend und großartig zu sehen, welch positive Resonanz #OutInChurch erhielt. Was hat sich inzwischen konkret verändert und in Ihrem Sinn verbessert?
Kiencke: Es ist ganz besonders erfreulich, dass die meisten Bistümer in Deutschland mittlerweile das kirchliche Arbeitsrecht novelliert haben. Auch wenn leider der Bezug zur Transsexualität keinen Einzug in den Text erhalten hat. Ehebrecht-Zumsande: Der größte Erfolg, an dem #OutInChurch neben vielen anderen Akteuren auch einen Anteil hat, ist die Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts mit dem Jahr 2023.
Darin ist ausdrücklich formuliert, dass die Vielfalt der Mitarbeitenden eine Bereicherung ist und dass diese auch die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität einschließt. Das private Beziehungsleben ist rechtlicher Bewertung entzogen. Das bedeutet konkret: Die Trauung eines queeren Paares oder die zweite Heirat nach einer Scheidung bei Hetero-Paaren sind kein Kündigungsgrund mehr. Eine sehr wichtige Änderung ist außerdem, dass die Lebensrealitäten queerer Menschen in der Kirche besprechbar geworden sind. Mit der großen Aufmerksamkeit haben viele Menschen in der Kirche auch ihre Solidarität für LGBTIQ+-Personen zum Ausdruck gebracht. Für viele queere Menschen in der Kirche ist damit ein Tabu gebrochen, und das macht einen großen Unterschied.
Auch die Homosexualität ist von Gott gewollt
Norbert Kiencke
Hat diese Initiative und die Aufmerksamkeit, die sie bekam, Ihren persönlichen Alltag und Ihr Berufsleben verändert?
Kiencke: Ich fühle mich in meiner Auffassung bestätigt, dass alles, auch die Homosexualität, von Gott gewollt ist und die Amtskirche langsam sich dem wahren Schöpfungsgedanken nähert. Ansonsten hat sich für mich nicht viel verändert, da ich auch schon vorher aufgrund der immer bestehenden Doppelmoral vor Repressalien verschont war. Ehebrecht-Zumsande: Ich fühle mich noch freier als vorher. Ich habe auch vor #OutInChurch beim Erzbistum Leitungspersonen erlebt, die sich bemühen, in der komplexen Gemengelage gute Lösungen zu finden. Durch #OutInChurch und die breite Debatte ist das noch intensiver geworden, und ich erlebe auch kirchenintern eine wachsende Offenheit und ein Interesse an der Auseinandersetzung mit queeren Themen.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG „Divers(c)ity“ 2023 erschienen.