Post-Corona-Knigge: Der süße Traum der Normalität

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Foto: Kilyan Sockalingum via Unsplash

Eine Lockerung des Lockdowns ist in greifbare Nähe gerückt. Vielleicht ist eines Tages dank der Impfungen wieder ein normales Leben möglich. Für den Fall, dass nach so vielen Monaten vergessen wurde, wie ein respektvoller Umgang miteinander aussehen kann, hier eine Anleitung für das Leben in der Stadt

Text: Marco Arellano Gomes

Ist tatsächlich schon ein Jahr vergangen? Ein Jahr mit Corona, jenem ominösen, zerstörerischen, tödlichen Virus? Antwort: Ja. Bilanz nach Angaben des Robert Koch Instituts (Stand: 15.2.2021) in Hamburg: 365 Tage, zwei Wellen, zwei Lockdowns, 48.983 Infizierte (bundesweit: 2.338.987), 1.196 Tote (bundesweit: 65.076). Ein Jahr kann eine verdammt lange Zeit sein – und verdammt schlechte Laune machen.

Wer das Virus ernst nahm, wem Gesundheit und das Leben der Mitmenschen bedeutsam waren, wird die eigenen Bedürfnisse in dieser Zeit stark bis komplett zurückgefahren haben. Da kann man schon mal verlernen, wie man sich in Gesellschaft zu benehmen hat. Für den Fall, dass irgendwann durch die Impfungen wieder ein normales Leben möglich sein sollte, gibt es hier eine Anleitung …

Shoppingmöglichkeiten in der Innenstadt

Zwölf Monate lang bestand das Leben in der Stadt für die meisten Menschen ausschließlich aus Arbeit, Lebensmittel-Einkäufen und Spaziergängen. In der hypothetischen, aber möglichen Post-Corona-Ära gilt es, in einem ersten Schritt vorsichtig zu entdecken, dass es weitere Shoppingmöglichkeiten gibt. Es gibt sogar einen Begriff dafür: Einzelhandel.

Das sind meist einzelne Geschäfte, die auf Teilbereiche spezialisiert sind: Modeboutiquen, Haushaltswaren- und Elektronikgeschäfte, Möbelhäuser, Bauhäuser, Gartencenter, Sport- und Spielzeugläden, Optiker und und und. Es gibt aber auch sogenannte Kaufhäuser, die all diese Aspekte in einem großen Gebäude vereinen. Ähnlich wie Amazon, nur in echt. Mitten in der Stadt – und begehbar.

Das Besondere an diesen Geschäften: Dort arbeiten Menschen, die einen freundlich begrüßen, die beraten und sich im besten Fall tatsächlich auch mit dem auskennen, was sie dort anbieten. Du kannst also als Kunde in diese Geschäfte gehen, darin umherschlendern und Dinge entdecken, die dort liebevoll ausgestellt sind. Dinge, die du im Onlineshop möglicherweise nie gesehen hättest, die auch der beste Algorithmus dir nie auf den Bildschirm gezaubert hätte.

Es kommt aber noch besser: Du kannst dem Verkäufer oder der Verkäuferin sogar Fragen stellen – von Angesicht zu Angesicht. Diese Fragen werden im besten Falle kompetent beantwortet, im schlechtesten Falle mit einem „Keine Ahnung“ quittiert. Das Tolle daran: Du hast die Möglichkeit, dich darüber so richtig zu ärgern und deinen Frust mit Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu teilen. Nicht per WhatsApp, Facebook und Instagram! In echt, bei einem Besuch zu Hause oder bei einem Treffen im Café oder in einer Bar. Und glaub‘ es ruhig: Sich gemeinsam über das Shoppingerlebnis zu ärgern und zu freuen, macht doppelt so viel Spaß.

Die Stadt bietet natürlich viel mehr als nur Shopping. Was genau? Finde es heraus! Geh einfach in die Stadt und schau dich um! Du wirst überrascht sein, was dich dort alles erwartet. Wie man spazieren geht, weißt du ja inzwischen. Nur, dass du diesmal wieder ein lohnenswertes Ziel hast: die Innenstadt.

Essen & Trinken – jenseits der heimischen Küche

Wenn du nach längerem Schlendern Hunger bekommen sollten, dann musst du nicht extra nach Hause gehen und kochen oder etwas bestellen. Es gibt dafür eigens lokale Institutionen namens Restaurants. Das sind die Räume, in denen seit einiger Zeit die Lichter aus und schemenhaft Stühle auf den Tischen zu erkennen waren.

In diesen Restaurants werden dir Getränke und Speisen serviert. Nein, nicht zu dir nach Hause – im Raum selbst! Du setzt dich an einen der Tische oder wirst von einer Servicekraft dorthin begleitet. Dort sagst du höflich, was du dir von den auf der Karte aufgedruckten Speisen und Getränke wünschst – und der nette Herr oder die nette Dame bringt dir das Gewünschte an den Tisch. Die Menschen, die in der Küche stehen und das Essen für Sie zubereiten, nennt man übrigens Köche. Die haben ihr Handwerk professionell gelernt und können es meist besser als du. Unfassbar, oder?

Da du nicht alleine dort sein wirst, gibt es bestimmte Regeln, die einzuhalten sind. Es beginnt damit, dass du dich nicht wie zu Hause benehmen kannst. Also: keine Jogginghose, kein lautes Aufstoßen und keine Bitte, dieses italienische Gedudel auszuschalten, weil du deine Playlist ja so viel besser findest! Bring auch bitte nicht deine eigenen Zutaten mit!

Noch was: Das Essen kostet. Ein Nachschlag auch. Nachspeisen ebenfalls. Jedes Getränk zusätzlich – und teilweise nicht wenig. Die Menschen, die alles zubereiten und an den Tisch bringen, leben nun mal davon. Ach ja: Wenn wir schon bei den Imperativen sind. Falls du dich fragst, wo du am besten essen gehen solltest: Check unseren Genuss-Guide: genussguide-hamburg.com!

Kulturerlebnisse ganz ohne Smartphone

Du willst nach deinem Restaurantbesuch ausgehen und etwas erleben? Etwas Großes? Etwas Unvergessliches? Wie wäre es mit einem Film?! Nein, nicht per Stream auf ihrem mickrigen Smartphone, Tablet, Laptop oder Flachbildschirm. Die Rede ist von einem echten Filmerlebnis auf der großen Leinwand, mit bombastischem, glasklarem Sound, mit Emotionen, die man mit allen Zuschauern im Raum teilt. Kurz: im Kino.

Es ist ein Unterschied, ob das Gesicht eines Marlon Brando in „Apocalypse Now“ eine überdimensionale Leinwand füllt oder ein Tablet im Bett, direkt neben der Chipstüte. Um es auf den Punkt zu bringen: Man kann Filme sehen oder sie erleben. Nur im Kino kann der Besucher sich ungestört von Messages, E-Mails und Social-Media-Posts, Anrufen und nervigen Nachbarn dem Film widmen.

Aber auch hier gelten Regeln: Hat man einmal einen Film ausgesucht, muss man diesen auch zu Ende gucken. Es nützt nichts, das Handy zu zücken, auf Stopp zu drücken und die weitere Zeit damit zu verbringen, die unzähligen Netflix-Listen durchzugehen, nur um am Ende festzustellen, dass der Abend schon rum ist. Auch ist es nicht erlaubt, sich selbst sein Popcorn und Getränke mitzubringen. Weingläser und Weinflaschen haben im Kino nichts zu suchen – es sei denn, du sitzt in der ASTOR Filmlounge und eine Servicekraft hat dir das Getränk gegen Bezahlung an den ledernen Luxussessel gebracht. In allen anderen Lichtspielhäusern gibt es Verkaufstresen, an denen Snacks und Getränke zu Preisen erworben werden können, die sich an der Größe der Leinwände zu richten scheinen.

Im Kino gibt es auch eine weitere bewährte Regel, an die man sich nach monatelangem Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Apple TV+ gewöhnen muss: Wenn die eigene Freundin oder der eigene Freund zu Hause nicht sonderlich an deinen Zwischenbemerkungen interessiert war, dann kannst du dir sicher sein, dass es sich mit den Kinozuschauern nicht anders verhält.

Zu den im Falle einer wieder erlangten „Normalität“ gehörenden Freiheiten (nicht zu verwechseln mit „Freizeitaktivitäten“!) gehören: Musikkonzerte, Theaterstücke, Literaturlesungen, Kunstausstellungen, Museen, Festivals, Klubs, Sport, Reisen. Du kannst dich auch sozial engagieren, Familie und Freunde in großer Anzahl besuchen und treffen, mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, diese kennenlernen, vielleicht sogar mit ihnen ausgehen – ganz ohne Tinder, Parship und Elitepartner.

Und vor allem kannst du dem Nichtstun frönen, was nur dann so richtig Spaß bringt, wenn es in Kontrast zu all den Möglichkeiten und Freiheiten steht, die das Leben in der Großstadt bietet. Irgendwann – das ist die große (Impf-)Hoffnung – wird es wieder so weit sein, auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch wie ein süßer Traum erscheint. Aber das Träumen wird ja mal erlaubt sein.


SZENE-März-2021 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, März 2021. Das Magazin ist seit dem 26. Februar 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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