Die Entdeckerin der Radioaktivität bekommt ihren längst überfälligen großen Leinwandauftritt. Regisseurin Marjane Satrapi durchleuchtet mit einigen kreativen Einfällen das Leben der Forscherin und zeigt die Folgen ihrer Entdeckung
Text: Marco Arellano Gomes
Es gibt eine historische Fotoaufnahme, auf der das Who’s Who der wissenschaftlichen Elite des frühen 20. Jahrhunderts versammelt ist: Albert Einstein, Max Planck, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli, Nils Bohr, Erwin Schrödinger, Émile Henriot, Auguste Piccard – insgesamt 29 der wohl fähigsten Physiker und Chemiker ihrer Zeit. 17 von ihnen wurden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – und mitten unter ihnen sitzt eine Frau. Ihr Geburtsname ist Maria Salomea Skłodowska, berühmt wurde sie unter dem Namen Marie Curie. Wer dieses Foto betrachtet, dem wird klar, dass diese Physikerin, Chemikerin, Entdeckerin, Pionierin und zweifache Nobelpreisträgerin (bis heute die einzige Frau, die zweimal gewann) sich diesen Platz hart erarbeitet haben musste.
Es wundert schon, weshalb es so lange dauerte, bis diese prägende Figur des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts mit einer angemessenen Verfilmung gewürdigt wird. Zwar ist „Marie Curie – Elemente des Lebens“ nicht die erste Verfilmung ihrer Biografie – bereits 1943 gab es „Madame Curie“ von Regisseur Mervyn LeRoy („Quo Vadis“) mit Greer Garson in der Hauptrolle und 2016 die wenig überzeugende Filmversion „Marie Curie“ von Regisseurin Marie Noëlle – doch diese neue Verfilmung ist die bislang überzeugendste.
Ein Jahrhundert voller Innovationen und Zerstörung in Bildern
Regisseurin Marjane Satrapi („Perse polis“, „The Voices“) zeigt darin eine willensstarke und doch reservierte Marie Curie (Rosamund Pike), die sich mit Eifer der Erforschung der Strahlung widmet, die sie später „radioaktiv“ tauft. Dabei entdeckt Curie nicht nur die beiden Elemente Radium und Polonium, sondern auch das Element der Liebe – gegenüber ihrem Wissenschaftskollegen, Lebensgefährten, und späteren Ehemann Pierre Curie (Sam Riley).
Beim ersten Treffen der beiden 1895 in Paris setzt der Film an. Die aus Warschau stammende Immigrantin, intelligent und selbstbewusst dargestellt von Rosamund Pike („Gone Girl“), lebt da bereits in Paris und erforscht nahe der Sorbonne, mitten im Epizentrum der Scientific Community, die von Henri Becquerel beobachtete Strahlung von Uranverbindungen. Sie steuert auf einen wissenschaftlichen Durchbruch zu, ist aber Menschen gegenüber schroff und abweisend. Menschliche Nähe scheint sie mehr zu fürchten als die Strahlung der Elemente, die sie erforscht.
Hoffnungen, Wünsche und Emotionen
Aus einer traumatischen Erfahrung in frühester Kindheit weiß Marie, wie unzuverlässig Menschen mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Emotionen sind – und wie präzise, verlässlich und logisch dagegen die Naturwissenschaft. Pierre schafft es aber, mit viel Charme und Fingerspitzengefühl, sie von einer Kollaboration zu überzeugen. Fortan forschen die beiden gemeinsam in ihrem Labor in der Rue Cuvier – mit Erfolg.
Bis hierhin trägt das Faszinosum der wissenschaftlichen Entdeckungen den Film temporeich voran – begleitet von einem verspielten Soundtrack (Evgueni und Sacha Galperine), bei dem der Zuschauer die Moleküle nur so hüpfen und kreisen zu hören scheint. Dann folgt der vom Erzählstil experimentellere und riskantere zweite Teil des Films, in dem Marie Curie in fantasiereich dargestellten Traum/AlbtraumSequenzen zu erkennen scheint, welch Kind sie da – neben ihren zwei leiblichen Nachkommen – zur Welt gebracht hat: Von der Nutzbarmachung zur Energiegewinnung, über die mögliche Anwendung zur Heilung von Krebs, bei gleichzeitiger Verursachung desselben, bis hin zum Einsatz nuklearer Sprengköpfe und dem Reaktorunfall in Tschernobyl – Satrapi fasst ein Jahrhundert voller Innovationen und Zerstörung stilvoll in Bilder, und lässt die Leinwand dabei aufleuchten.
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Marie Curie gilt vielen als Inspiration, anderen als die Person, die die Büchse der Pandora öffnete. Unzweifelhaft hat sie mit ihren Entdeckungen nicht nur die Tür zur modernen Welt aufgestoßen – mit allen Vor und Nachteilen – sondern wurde auch zum Vorbild für die Frauenbewegung.
Erst spät erkannte Curie die Gefahr, die die Radioaktivität für sich, als auch für die gesamte Menschheit mit sich brachte. Ihr Mann Pierre war noch voller Zuversicht 1903 nach Stockholm gefahren, um den Nobelpreis entgegenzunehmen, der dem Paar für die Entdeckungen verliehen wurde. „Die Menschheit wird mehr Gutes als Schlechtes aus den neuen Entdeckungen ziehen“, gab er zu Protokoll. Es ist schon verblüffend, wie sehr die Menschheit den Kern ihres eigenen Untergangs zur Jahrhundertwende verherrlichte.
In einer Szene verhöhnt die Regisseurin diese Naivität geradezu, in dem sie die Vermarktung der Radioaktivität aufs Korn nimmt: radioaktive Zahnpasta, radioaktive Schokolade, radioaktive Zigaretten – wohl bekommt’s! Als Heilsbringer erwies sich die Radioaktivität dann doch nicht, wie spätestens die Bombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki 1945 vor Augen führten. Die Menschen entpuppten sich im Umgang mit dieser Naturmacht als ebenso wenig stabil wie die Atome, von denen es zuvor angenommen wurde. Es braucht eben nur einige instabile Elemente, um zu zerstörerischen Ergebnissen zu gelangen.
Regie: Marjane Satrapi. Mit Rosa mund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard. 108 Min. Ab 16.7.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2020. Das Magazin ist seit dem 27. Juni 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!