Plüsch, Pop und Politik

In Harburg kann man sich in der Sammlung Falckenberg, in den „Begehrensräumen“ des Wiener Duos Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl verlieren – und sollte das unbedingt tun
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: view of the exhibition „Doppelganger“! ( ©Aurélien Mole, Christophe Maout/ Courtesy Galerie Loevenbruck, Paris)

Kunst und Design, High und Low, Wertvoll oder Unbedeutend: Das Wiener Kunst-Duo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört, lässt verschiedene Welten aufeinanderprallen, um dann zu erkunden, was in dem Dazwischen passiert, in den Übergängen und Passagen. Gewissheiten interessieren die beiden nicht, sondern Veränderung und Verwandlung, der Prozess des Werdens und die Dynamik, die dabei entsteht.

Und das in ihren „Begehrensräumen“, in denen Lichttunnel leuchten und Augapfel-Gesichter Pony tragen, Kandelaber Menschenarme hervorstrecken und Alessi-Zitronenpressen Renaissance-Gesichter und Brancusis unendliche Säule zitieren und man auf große, weiche Frauenskulpturen in gestreiftem Cord trifft, die es sich mit unglaublicher Ruhe, Körperfülle und Präsenz gemütlich machen oder auch schon mal die Beine öffnen. Das alles geschieht in knallblauen und strahlend grünen Räumen, in denen sich Waschbecken in Skulpturen verwandeln, goldene Palmen-Lampen Plüschsofas beleuchten und sich auf Podesten organische Objekte winden.

Gender und Identität

Ihre Environments sind nicht nur ein Underground-Versailles, in dessen Spiegelwänden sich die Szenerie ins Unendliche erweitert. Sie sind ein knallbuntes Labyrinth quer durch die Kunst- und Designgeschichte, ein surrealer Erlebnispark und vor allem fest in aktuellen Gesellschaftsdebatten verankert. Wird heute hitzig über Gender und Identität gestritten, bringen sie diesen Diskurs schon seit vielen Jahren in die Museen weltweit, in den österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig, in das Kunsthaus Bregenz und das Pariser Palais de Tokyo. Ihre „Doppelganger!“-Schau, die sie dort im letzten Winter präsentierten, ist jetzt in abgewandelter und erweiterter Form in der Sammlung Falckenberg zu sehen.

Entwicklungen in Europa

Ashley Hans Scheirl & Jakob Lena Knebl ( ©Aurélien Mole, Christophe Maout/ Courtesy Galerie Loevenbruck, Paris)

Immer wieder finden sich darin Verweise auf die 1970er-Jahre, eine zentrale Zeit für sie, deren Umbrüche bis heute nachwirken – von der Counterculture, die damals Mainstream wurde, dem Esoterik-Boom und dem Aufkommen der Personal Computer zu einer poppigen Bildsprache, aber auch einem neuen Neoliberalismus à la Thatcher und Reagan. In Hamburg richten sie den Blick zudem auf Hector Guimard, der die Eingänge der Pariser Metro mit seinen Art-Noveau-Verzierungen zu einem Ereignis machte – und beziehen sich auf Walter Benjamins Passagen-Werk, in dem es um die Entwicklung des Kapitalismus in den Metropolen Europas geht, um das Flanieren durch die Pariser (Konsum-) Passagen und die auratische Aufwertung von Waren jenseits ihres tatsächlichen Werts.

In der Sammlung Falckenberg stehen Transformationen für optimistische Ideen

In der Sammlung Falckenberg wird man selbst zum Flaneur durch eine Kunst, die sie selbst als „TRANS“ bezeichnen – und das in Bezug auf „Medium, Genre, Ästhetik, Materialist, Konzept, Identität“ und deren (De)konstruktion inklusive. Transformationen seien für sie sehr optimistischen Idee, hat Jakob Lena Knebl in einem Interview gesagt. Erinnere man sich, sei man ja vor allem traurig über das, was man nicht ausprobiert habe. Auch deshalb sei es für sie zentral, dass Leben und Identität sich bis zum letzten Tag des Daseins wandeln können. Seit mehr als 15 Jahren sind die beiden ein Paar, arbeiten immer auch als Solokünstler:innen und seit 2019 mit großem Erfolg zusammen.

Fluide Identitäen 

Verliebt haben sie sich als Ashley Hans Scheirl, zuvor Angela Scheirl und zu der Zeit Hans Scheirl, frisch von London nach Wien zurückgekehrt war. Jakob Lena Knebl hingegen lebte zuvor als Martina Egger, bevor sie sich die Namen ihrer Großeltern gab. Doch fluide sind nicht nur ihre Identitäten, sondern auch ihre Inszenierungen, bei denen sie gar nicht daran denken, starre Genregrenzen zu beachten. Ihre

Sammlung Falckenberg: Sehen und gesehen werden 

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: view of the exhibition „Doppelganger“! ( ©Aurélien Mole, Christophe Maout/ Courtesy Galerie Loevenbruck, Paris)

Hochzeit 2017 im Wiener Museum moderner Kunst verwandelten sie in eine Performance, und in ihren Mixed-Media-Installationen trifft nicht nur die gestische Malerei von Ashley Hans Scheirl, die bis zur Emeritierung 2021 an der Akademie der Bildenden Künste in Wien lehrte, auf einen umwerfend vielgestaltigen Farben- und Formenkanon, auf Skulpturen, Object trouvés, Keramik und Film, Fotografie und Design. Sondern die Schau ist gleichzeitig Wunderkammer und Passage – und Wohnzimmer. Das schönste Kompliment über ihre Ausstellungen sei, wenn jemand dort gerne einziehen würde, sagen sie. Und halten ihre Türen weit offen. Wer gesehen werden will, muss auch andere sehen, sagt Jakob Lena Knebl, die nicht nur Professorin für Transmediale Kunst an der Angewandten in Wien ist, sondern auch Kuratorin. Und so wird die Schau mit einer Gruppenausstellung ihrer Wiener Studierenden und Studierenden der HfBK Hamburg aus der Klasse Time Based Media von Angela Bulloch ergänzt.

Passage: Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, Sammlung Falckenberg, Eröffnung: 26.4., 19 Uhr, bis 15.9.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/2024 erschienen.

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