Hamburger Nachwuchs: Hamburg Music Award Krach+Getöse für Nachwuchsmusiker, Show bei „Fast ein Festival“ von MS Dockville, frisch gesignt bei Europas erstem Female-MC-Label – die Rapperin Mariybu, 27, startet durch. Mit queerfeministischen Texten, starker Stimme und DIY-Producing
Interview: Markus Gölzer
SZENE HAMBURG: Mariybu, wie lange gibst du dem Patriarchat noch?
Mariybu: Ouh. In meinem Traum gebe ich dem Ganzen noch ein paar Tage. In der Realität ist das unrealistisch. Aber man darf ja träumen, nä?
Deine Texte verhandeln männliche Machtstrukturen auf verschiedenen Ebenen. Sexuell, emotional, geschäftlich. Du klingst dabei stark und verletzlich zugleich. Wie viel eigene Erfahrungen schwingen da mit?
Nur. Meine Texte sind alle eigene Erfahrungen. Songtexte schreiben ist wie Tagebuchschreiben für mich. Es ist nicht so, dass ich denke, ich will über das schreiben, dann schreibe ich darüber. Es ist das, was mich gerade beschäftigt. Dann wird daraus ein Song. Dass es politisch wird, ist nicht beabsichtigt. Das Persönliche wird dann politisch.
Wann und wie bist du zum Rap gekommen?
2018. Als Kind hab ich Tic Tac Toe und so gehört, dann aber lange keinen Rap mehr. Ich kannte nur noch frauenverachtende Texte, wie von Bushido und Sido. Ich habe nicht gecheckt, warum ich mir Texte geben soll, die mich beleidigen. Ich habe spät meinen Weg zurückgefunden. Das hat angefangen mit einem Konzert von Finna, eine queerfeministische Rapperin und Aktivistin aus Hamburg. Das hat mich super berührt. Ich habe angefangen, Texte zu schreiben, habe mich mit Finna getroffen. Dann kam der 365Female*MCs-Blog von Mona Lina. Der startete Ende 2018. Lina Burghausen hat ganz, ganz viele gepostet, die ich mir als Vorbilder nehmen konnte. Das hat mich empowered, selber weiterzumachen. Dann habe ich vor zweieinhalb Jahren angefangen, zu produzieren.
Gegen strukturelle Benachteiligung
Du bist auch auf dem Label 365XX von Lina „Mona Lina“ Burghausen gesignt.
Das Label ist einfach geil. Es signt nur FLINTA*s: Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binäre-, Trans-, Agender-Personen – also Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität patriarchal diskriminiert werden. 365XX sagt nicht: Wir wollen Cis-Männer, also Männer, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurden, ausschließen. Aber wir sehen, dass FLINTA*s strukturell benachteiligt sind. Deshalb supporten wir sie. Das finde ich einfach krass, weil es so ein Label bisher noch nicht gab. Ich finde es super-beeindruckend, dass sie das machen, wie sie das machen und dass sie sich das trauen.
Welche Vorbilder hast du neben Finna?
Ebow war und ist für mich ein Riesenvorbild. Die ist unglaublich. Sie steht als queere Person in der Öffentlichkeit, macht voll ihr eigenes Ding, ohne sich was vorschreiben zu lassen. Auch ein ganz großes Vorbild: KeKe aus Wien. Was ich auch bei ihr krass finde: Sie ist stark und verletzlich zugleich.
Gibt’s auch sexistische Rapperinnen? Cardi B und Megan Thee Stallion waren in der Diskussion mit ihrem Wet-Ass-Pussy Song.
Wet-Ass-Pussy finde ich gar nicht sexistisch. Das ist superempowernd. Die eigene Sexualität, den eigenen Körper feiern wie auch Shirin David, da seh ich keinen Sexismus. Natürlich gibt es auch sexistische Rapperinnen. Sexismus ist ja etwas, was wir alle internalisiert haben. Ich selber bin an bestimmten Punkten auch noch sexistisch und lerne dazu, weil wir einfach alle im Patriarchat aufgewachsen sind. Das ist ein ewig langer Lernprozess.
Du kämpfst nicht allein für Feminismus, sondern mit dem Rap-Kollektiv Fe*Male Treasure und im Duo mit Girrrlitas. Kämpft ihr ausschließlich musikalisch oder noch mit anderen Waffen?
Ich bin Feministin 24/7. Wenn ich auf der Straße bin und irgendwas mitbekomme, mische ich mich ein. Wenn mir irgendwas passiert, führe ich Diskussionen. Es ist jeden Tag politische Arbeit. Ich geh auf Demos, wir treten auf Demos auf, bei Soli-Veranstaltungen. Femrep ist auch eine ganz tolle Gruppe. Da war ich mal, bin aber leider nicht mehr aktiv. Es ist nicht nur die Musik. Ich betreibe neben ihr auch noch Lohnarbeit, und in dem Unter- nehmen, wo ich arbeite, sind leider öfter Situationen, die echt scheiße sind. Und die spreche ich dann an. Das betrachte ich auch als feministische Arbeit.
Sexismus
Was war die sexistischste Scheiße, die du dir je anhören musstest?
„Ich kann kein Sexist sein, ich mag doch Sex.“ Das war auf der Familienfeier von einem Ex-Freund. Da wusste ich nicht genau, wo ich ansetzen sollte. Da hab ich gemerkt: Gut, da fehlt viel Wissen (lacht).
Deine Generation treibt Veränderungen voran wie wenige vor ihr. #MeToo, Black Lives Matter, Fridays for Future. Gleichzeitig hält eine neue Strenge Einzug. Amanda Gorman, die junge Dichterin von Bidens Inauguration, darf nur von Schwarzen übersetzt werden. In den Amazon Studios sollen nur noch Homosexuelle Homosexuelle spielen.
Dass Schwarze nur von Schwarzen übersetzt werden dürfen, kann ich total nachvollziehen. Das ist ein Job. Wenn die sagen, es geht auch darum, uns untereinander zu supporten, dann finde ich das gut. Es ist superindividuell. Kann sein, dass ich ein Feature nur mit einer queeren Person machen will. Ich arbeite aber auch mit anderen Leuten. Allerdings nur, wenn die nicht gegen meine grundlegenden moralischen Werte sind. Ich würde nie mit einem sexistischen Rapper ein Feature machen. Ich arbeite aber auch mit Cis-Männern. Einige meiner Videos macht ein Cis Mann. Er supportet, wofür ich stehe, ist kein Arschloch. Deshalb mach ich das mit ihm. Aber wenn ich für einen Job eine queere und eine nichtqueere Person habe, die gleich gut sind, würde ich die queere Person nehmen. Einfach, weil sie strukturell benachteiligt ist, nicht die gleichen Chancen hat.
Der Kapitalismus ist auf den Bewusstseins-Zug aufgesprungen: Großbanken geben Kreditkarten in Regenbogenfarben aus, Werbung wird immer diverser. Ärgerlich oder halb so schlimm, weil die richtige Botschaft transportiert wird?
Ich steh superambivalent dazu. Einerseits finde ich es ätzend, dass einen Monat lang überall Regenbogenflaggen bei irgendwelchen Scheißunternehmen flattern, dann ist der Monat vorbei und es wieder aus den Köpfen weg. Die Diskriminierung innerhalb des Unternehmens ist aber noch da. Das finde ich scheiße. Cool wäre, wenn sie weiter darüber hinausdenken. Wenn es nicht nur um Geld geht. Wenn sie sagen, ok, wir hissen hier die Flagge, und im Teammeeting sprechen wir über die Diskriminierung von queeren Menschen und wie wir das verändern können. Dann finde ich das geil. Aber nur als kapitalistisches Verkaufsding ist es zu kurz. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich dadurch trotzdem was in den Köpfen. Ich hoffe es.
Wie findest du die Golden-Era-Rap-Generation? Biggie, Eminem, Wu-Tang und Kollegen? Die waren ja durchaus homophob und sexistisch in ihren Texten.
Die Dinge, wofür die gekämpft haben, sind ganz andere. Natürlich waren das Wegbereiter, die haben gute Sachen gemacht, für krasse Sachen gekämpft. Man muss es auch immer zeitlich einordnen. Trotzdem: Das ist keine Entschuldigung. Homophobe Scheiße geht auf keinen Fall. Das war damals auch schon scheiße.
Wann ist mit deinem ersten Album zu rechnen?
Meine erste EP erscheint am 3. September. Album, mal gucken. Es ist noch nichts in Planung direkt, aber es ist nicht auszuschließen, dass da noch ein Album kommt.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, September 2021. Das Magazin ist seit dem 28. August 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!