Kunstverein: Auf der Bühne von Silke Otto-Knapp

In ihrer einzigartigen Aquarell- und Wasserfarben-Malerei ging Silke Otto-Knapp rituellen Formen des Versammelns, des Tanzes und der Choreografie nach, baute imaginäre Räume und riss die Grenzen zu den Betrachtenden auf. Mit nur 52 Jahren ist die gebürtige Niedersächsin 2022 in ihrer Wahlheimat Los Angeles verstorben, jetzt sind ihre Arbeiten in Hamburg zu sehen. Wir sprachen mit Milan Ther, Leiter des Kunstvereins und Kurator der Schau, über ihre „grenzenlose“ Malerei, orangefarbenes Licht – und den Mond
Silke Otto-Knapp: Bühnenbilder
„Bühnenbilder“ von Silke Otto-Knapp, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg 2024 (©Fred Dott)

SZENE HAMBURG: Milan Ther, Sie zeigen Silke Otto-Knapps letzten Werkzyklus „Versammlung“, der speziell für diese Ausstellung entstand.

Milan Ther: Es ist vier Jahre her, dass Silke Otto-Knapp und ich unsere Zusammenarbeit begonnen haben. Ursprünglich waren sechs Bilder für die Serie Versammlung geplant. Drei sind entstanden und bilden den zentralen Werkzyklus der Ausstellung. Sie sind die Fortsetzung von Silke Otto-Knapps Beschäftigung mit Bühnenräumen. In den Bildern geht es um unterschiedliche Ideen von diesen Räumen, von Aufführung und Übung, von Handlung, Choreografie und Körperlichkeit und wie diese im Verhältnis zu einem Publikum gedacht werden können.

Und man sieht auch ein Bild der Tanz-Bühne Anna Halprins, die in den 1960ern im Norden Kaliforniens gebaut wurde.

Tritt man in die Ausstellung, die selbst eine Art Bühnenraum ist, wenn man so möchte, sieht man ein Bild mit einer Tanzbühne, die Anna Halprin in einem Wald aufgebaut hat. Die Grenzen zwischen Natur und Bühne lösen sich dabei ebenso auf wie zwischen Auftretenden und Betrachtenden. Das Betrachten wird zu einer Form der Teilnahme, zu einem aktiven Bezeugen. Das ist ein wichtiger Moment, der auch so in der Ausstellung stattfindet.

Ein körperlicher Akt als Form von Bewegung in der Malerei

Die „Bühnenbilder“ von Silke Otto-Knapp, „hängen nicht an der Wand, sondern an den Säulen, die den Raum durchziehen“, erklärt Milan Ther, Leiter des Kunstvereins und Kurator der Schau (©Fred Dott)

Sie haben die Ausstellung selbst gerade einen Bühnenraum genannt. Der entsteht auch durch die ungewöhnliche Hängung der Bilder.

Die Bilder hängen nicht an der Wand, sondern an den Säulen, die den Raum durchziehen. Sie stehen quasi frei, haben ihre eigene Körperlichkeit und sind beim Eintritt der Besucher:innen in den Raum auf diese ausgerichtet. Da es keine Wände gibt, sind die Blickachsen vielfältig. Schaut man von links oder rechts auf ein Bild, zeigt sich der Raum ganz anders, alles ist in Bewegung, Besucher:innen finden sich selbst als Teil der Choreografie wieder. Und geht man am Ende durch die Ausstellung zurück, sieht man die lebhaften Rücken der Bilder.

Gleichzeitig ist das Licht orangefarben.

Der Gedanke, dass man durch einen Probenraum und dann selbst auf eine Bühne tritt, wird durch die Künstlichkeit des Lichts im Raum unterstrichen. Gleichzeitig hängen die Bilder auf Augenhöhe, man steht den Körpern also direkt gegenüber. Das ist zumindest ein Moment der Ausstellung. Es geht natürlich auch darum, wie Silke Otto-Knapp selbst gearbeitet hat.

Sie hatte einen ganz besonderen Umgang mit Wasser- und Aquarellfarben, den sie über die Jahre entwickelt hat.

Sie hat Aquarellfarben in Schichten auf die Leinwand aufgetragen und statt einen Pinsel zu benutzen, hat sie die Leinwand bewegt und gekippt, damit die Farbe sich darauf verteilt. Und sie hat das immer wiederholt, um diese schwarzen kontrastreichen Flächen entstehen zu lassen. Auch dieser körperlicher Akt ist eine Form von Bewegung in ihrer Malerei.

Der Mond als Symbol und Motiv

Es war ihr sehr wichtig, dass die Oberfläche ganz plan bleibt, es durch die Farbe selbst keine Körperlichkeit gibt. Was sich aber auf den Bildern findet, sind Spuren ihres Körpers und dabei vor allem ihrer Hände.

Gerade in der letzten Serie erkennt man auf der Rückseite sehr genau die Arbeit ihrer Finger. Da die Bilder frei stehend sind, kann man das in der Ausstellung sehr gut sehen.

Ihre Malerei handelt immer auch davon, wie wir Gesehenes lesen und deuten und der Kopf Dinge erfindet.

Milan Ther

Neben ihrem letzten Werkzyklus sind Arbeiten von Silke Otto-Knapp aus den letzten 14 Jahren zu sehen. Sind Sie bei der Auswahl einer bestimmten Erzählung gefolgt?

Das war sehr wichtig. Zum Beispiel zieht sich der Mond als Symbol und Motiv durch die Ausstellung. Auch im letzten Werkzyklus ist er zu finden, denn eine der Arbeiten nimmt Bezug auf die „Dreigroschenoper“. Darin heißt es, dass der Mond so dünn wie ein abgegriffener Penny sei, was sich in der Darstellung dieses Monds wiedererkennen lässt. Gleichzeitig ist der Bezug zu Brecht wichtig, weil er für das Brechen der vierten Wand steht, dafür, die Trennung zwischen Bühne und Publikum aufzuheben. Das findet sich in Silke Otto-Knapps Arbeiten ebenso wie in der Ausstellung. Indem sie die Bilder als eine 360 Grad begehbare Erfahrung zeigt, stellt sie sich gegen jede Mystifizierung.

Räume der Imagination und Fiktion

Silke Otto-Knapp: Bühnenbilder
„Bühnenbilder“ von Silke Otto-Knapp im Kunstverein Hamburg öffnet den Blick in das Werk der 2022 verstorbenen Künstlerin (©Fred Dott)

Die Arbeiten sind gleich in mehrfachem Sinn auf Augenhöhe.

Genau. Aber auch die formale Entwicklung innerhalb der Bilder ist sehr wichtig. Man bewegt sich von kleineren Einzelformaten zu Bildern, die aus mehreren Paneelen bestehen und das letzte – oder erste – Werk ist eine gekachelte Wand, die dann selber zur Architektur des Bühnen- und Ausstellungsraums wird. Gleichzeitig gewinnen die Arbeiten eine immer stärkere Form von Autonomie. Am Ende gibt es sehr reduzierte Figuren und der Bildraum wird einzig durch deren Choreografie definiert, die wie für sich ganz frei im Raum steht und dadurch die Tiefe der Bilder hervorbringt.

Es geht immer um die Möglichkeiten der Malerei selbst.

Wie sich das Medium Malerei zu Dingen verhält, die keine Malerei sind, ist interessant. Wie kann der statische Moment in einem Gemälde die kinetische Energie eines Bühnenauftritts in sich aufnehmen? Oder eine Choreografie Raum andeuten? Silke Otto-Knapp hat Räume der Imagination und Fiktion gemalt. Es geht in ihren Bildern nicht um die Wirklichkeit des Mondes, sondern darum, dass er in der menschlichen Wahrnehmung gewisse Gefühle erzeugt und Orientierung schafft, er funktioniert als eine Bühnenanweisung. Es könnte auch ein Mond auf einem Kleid von Yves Saint Laurent sein oder ein geometrischer Mond von Kurt Schwitters. Ihre Malerei handelt immer auch davon, wie wir Gesehenes lesen und deuten und der Kopf Dinge erfindet.

Die Schau „Silke Otto-Knapp: Bühnenbilder“ ist noch bis zum 14. April 2024 im Kunstverein in Hamburg zu sehen

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 03/2024 erschienen.

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