Roman Netzlaw lacht. Diese Frage hat der sonst so in sich ruhende 67-Jährige offensichtlich nicht erwartet. „Wann ich aufhöre, ist schwer zu sagen. Ehrlich gesagt hängt das von den Kindern ab. So lange sie Spaß haben, macht es auch mir Spaß.“ Mit anderen Worten: gemütliches Ausspannen im Ruhestand ist für ihn kein Thema. Skilanglauf-Trainer der an der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule trainierenden Schüler-Leistungsklassen des SV Osdorfer Born möchte Netzlaw am liebsten bis an sein Lebensende bleiben.
Seit 22 Jahren ist der frühere Sportlehrer und heutige Betriebsarbeiter in der Hausmeisterei dies nun. Aktuell kann er das Training nach einer kürzlich überstandenen Knieoperation nicht leiten. Netzlaw vermisst es jetzt schon. In seinem Leben hat er viele Sportarten betrieben, wurde für sein vorbildliches ehrenamtliches Engagement 2012 mit dem Altonaer Kinder- und Jugendpreis ausgezeichnet, doch sein Einsatz als Skilanglauf-Trainer sticht besonders hervor.
„Skilanglauf ist perfekt, um diese Ausdauer zu lernen“
Vielleicht auch deshalb, weil Hamburg nicht gerade bergig und schneeverwöhnt ist. Eine Hochburg für Skilangläufer sieht anders aus. Das ist genau der Punkt, an dem Netzlaw ansetzt. „Ich sage den Kindern immer, wir können genauso gut laufen wie die Kinder, die woanders wohnen. Das motiviert sie“, erklärt er. Acht bis 14 Jahre sind die Kinder in seinen beiden Trainingsgruppen. Netzlaw trainiert die größere Gruppe in der Regel dreimal in der Woche, seine Tochter Helena Koch (45) die kleinere Gruppe zweimal. Immer jeweils 90 Minuten. Aber wie ohne Schnee?
„Die Kinder laufen in der Halle auf Rollski“, erläutert Netzlaw. „Es fehlt ihnen dadurch zwar das Gefühl des Schnees unter den Füßen, aber die Technik können sie trotzdem erlernen. Ohne Technik klappt im Wettkampf nichts. Aber ohne Liebe zum Sport bringt dir auch die Technik nichts.“ Nur die Kinder des SV Osdorfer Born nehmen aus Hamburg an Skilanglaufrennen in Deutschland wie dem Harzer Cup teil oder bundesweiten Wettbewerben wie dem Deutschland Pokal teil. Zwei Kinder erhielten 2013 eine Einladung zur Nationalmannschaft, weil sie im Technik-Sprint sehr gut abschnitten.
Die Geschwister-Scholl-Stadtteilschule meldet zudem jedes Jahr Schulteams für die Hamburger Meisterschaften, die in jedem Winter – kein Scherz – tatsächlich in Finsterau im Bayerischen Wald stattfinden. Dort holten Netzlaws Teams schon über drei Dutzend Titel. Wichtiger ist ihm aber, in den Kindern die Liebe zum Skilanglauf zu wecken. Denn diesen sieht der in Westsibirien geborene frühere Skilangläufer Netzlaw als Vorbereitung aufs Leben. „Ich kenne kein Kind, das ich länger trainiert habe, das sich später im Leben nicht durchgesetzt hat. Für alles brauchst du im Leben Ausdauer. Skilanglauf ist perfekt, um diese Ausdauer zu lernen“, sagt er.
„Nach dem Laufen fühlt man sich einfach besser“
Deshalb zahlt Netzlaw für die Fahrten zu Wettkämpfen und Trainingslagern zusätzlich zu den Mitteln des Vereins oft etwas aus eigener Tasche dazu. „Anders geht es nicht“, sagt er. Sein größter Wunsch wäre mal wieder Schnee in Hamburg. „2010“, sagt er zum Abschluss des Gesprächs, „lag in Hamburg vier Wochen Schnee. Wir haben hier in Osdorf am Helmuth-Schack-See trainiert und die Schulmeisterschaften danach klar gewonnen.“
Zwei Tage später. Trainingsbesuch in der Sporthalle an der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule. Netzlaws Tochter Helena Koch hat gute Laune. Zwölf Kinder sind gekommen, schnallen sich die Rollski an und drehen ihre Aufwärmrunden. Eine von sechs beim Training anwesenden Müttern läuft eifrig mit. „Ich bin durch meinen Vater auf Ski geboren“, erklärt Trainerin Helena Koch lachend. „Ich mag die Natur, den Schnee und die Kälte. Nach dem Laufen fühlt man sich einfach besser.“
Danach geht sie rüber zur Gruppe und zeigt den Kindern, wie sie sich mit den Stöckern richtig vom Boden abstoßen. Koch korrigiert Körperhaltungen, gibt Tipps für die Balance, bleibt dabei stets locker und entspannt. Auf dem Programm stehen für die Gruppe heute Sprintübungen. Die Distanzen bei den Wettkämpfen sind – je nach Alter – gestaffelt. Vom 100-Meter-Sprint bis zu einer Zwei-Kilometer-Strecke ist alles dabei. Sichtlich engagiert rasen die Kinder durch die Halle. Kaum ein Mädchen oder Junge fällt mal hin. Und wenn, dann sind die Kinder sofort wieder auf den Beinen.
„Ich habe meinem Sohn gesagt, dass man im Leben alles erst mal ausprobieren muss“
„Ich mache das seit einem Jahr“, sagt der kleine, neunjährige Miljan Gligic. „Erst wollte ich nicht. Aber Mama hat gesagt, ich soll es versuchen. Jetzt macht es mir riesigen Spaß.“ Zwei dritte Plätze hat er schon erreicht, eine Medaille und einen Pokal gewonnen, was ihn sichtlich stolz macht. „Ich bin damals selber in den SV Osdorfer Born eingetreten“, sagt Miljans Mutter Jasminka Gligic (40). „Ich bin zehnmal hingefallen auf den Rollski und wieder aufgestanden. Ich habe meinem Sohn gesagt, dass man im Leben alles erst mal ausprobieren muss. Die Sportart finde ich klasse für ihn. Fast alle Kinder spielen Fußball oder Basketball. Skilanglauf in Hamburg ist doch mal etwas ganz anderes.“
Für Helena Koch und Roman Netzlaw hat Gligic viele lobende Worte. „Helena trainiert die Kinder wirklich sehr gut. Sie fördert den Teamgeist und die Koordinationsfähigkeiten der Kinder ausgezeichnet. Aber auch Roman beeindruckt mich. Bis zu seiner Knieoperation ist er bei den Wettkämpfen als Vorbild sogar selbst noch mitgelaufen. Er war stets engagiert und ruhig. Ich habe nicht einmal erlebt, dass er mit den Kindern laut wird.“
„Schnell zu fahren finde ich toll“
Ähnlich positiv äußert sich Elena Wild (40), deren Tochter Valeria (10) mit großem Eifer dabei ist. Was Valerias Mutter besonders gut findet: Die Rollski-Ausrüstung und auch die Skiausrüstung für die Wettkämpfe stellt der Verein. „Wir als Eltern haben da nichts bezahlen müssen, außer natürlich dem Mitgliedsbeitrag“, sagt sie. Valeria hat einen ähnlichen Weg wie Miljan hinter sich. Er kam durch einen Freund zur Gruppe, sie durch eine Freundin. „Ich bin jetzt schon zwei Jahre dabei. Besonders großen Spaß macht mir die Geschwindigkeit. Schnell zu fahren finde ich toll“, sagt Valeria.
Zum Abschluss des Trainings lässt Helena Koch Inline-Hockey spielen, bevor schließlich Schokoladen-Nikoläuse als Geschenke an die Kinder verteilt werden. Koch freut sich schon auf die nächsten Wettkämpfe und Ausflüge. „Manchmal sind wir ja auch eine Woche weg und kochen selbst gemeinsam in einer Schneehütte. Wenn die Kinder im Trainingslager dann mit Schneebällen werfen, mit Freude an den Rennen teilnehmen und abends müde und glücklich einschlafen, dann weiß man, wofür man das macht“, sagt sie.