Das 2G-Optionsmodell sorgt vor allem bei den Großvereinen im Breitensport für heiße Diskussionen
Text: Mirko Schneider
Der 19. September 2021 war ein großer Tag für den FC St. Pauli. Der nach Mitgliederzahlen zweitgrößte Sportverein in Hamburg durfte sein Stadion zu 50 Prozent auslasten und fast 15.000 Fans zum Zweitligaheimspiel gegen den FC Ingolstadt begrüßen. Garant dafür war die 2G-Regel, nach der nur Genesene und Geimpfte Zutritt hatten. St. Paulis Präsident Oke Göttlich hatte das 2G-Modell zuvor in diversen Medien als „logischen und sinnvollen Weg“ Richtung „Normalität“ bezeichnet. Der mitgliederstärkste Club der Stadt, der Hamburger Sportverein, hat mittlerweile auch auf 2G umgestellt.
Werden Ungeimpfte künftig nur noch auf dem heimischen Sofa Sportveranstaltungen sehen können? Inwieweit ist das Impfen noch eine persönliche Entscheidung, wenn für Getestete nicht einmal mehr der Gang zum eigenen Lieblingsverein möglich ist? Während wohlbemerkt für die Profispieler auf dem Feld keine Impfflicht existiert und einige Profis (zum Beispiel Wout Weghorst vom Bundesligisten VfL Wolfsburg) die Imfpung sogar ablehnen, ohne dass deshalb auch nur über ihr Recht diskutiert wird, als „nur“ Getestete ihren Sport auszuüben.
Ein Recht auf Sport
Die Rechte von Sportfans sind, das zeigen die unterschiedlichen Vorgehensweisen des FC St. Pauli und des HSV, ein heißes Thema. Doch ein damit verbundenes noch viel Heißeres findet gerade weitgehend im Verborgenen statt. Es dreht sich, vereinfacht gesagt, um das Recht jedes einzelnen Bürgers darauf, selbst Vereinssport zu treiben.
Mit seinem Beschluss vom 24. August ermöglichte der Hamburger Senat die Option des 2G-Modells nämlich nicht nur für das Publikum des in den Hamburger Medien omnipräsenten Profifußballs. Jeder Sportverein kann nun für seine Mitglieder 2G einführen. Als Belohnung dafür fallen unter anderem Abstandsregeln weg und es dürfen deutlich mehr Sporttreibende zugelassen werden.
Hohe Hürden für die Vereine
„Die Hamburger Vereine stecken vielfach in einem Dilemma“, sagt der im November scheidende Vorstandsvorsitzende des Hamburger Sportbundes (HSB) Ralph Lehnert. Im HSB sind 816 Vereine und 50 Fachverbände organisiert. „Geimpfte Vereinsmitglieder plädieren häufig für das 2G-Modell, während die Ungeimpften 3G weiter nutzen möchten“, so Lehnert weiter. „Für die Vereine ist es außerdem schwierig, die Trainer und gegebenenfalls die Angestellten zum Impfstatus zu befragen, weil dies datenschutzrechtlich für Arbeitgeber nicht möglich ist.“ Dabei sind die Strafen bei Fehlverhalten durchaus happig. „Verstöße gegen diese Betreiberpflichten führen zu einem Bußgeld im Rahmen von 1.000 Euro bis zu 20.000 Euro“, heißt es in der CoronaVerordnung des Hamburger Senats. Und nicht nur das! Sie führen außerdem „zum Verlust der Möglichkeit, die 2G-Option künftig zu nutzen“.
Als „absolut krass“ empfindet Ulrich Lopatta diese Vorschrift. Lopatta ist Vorsitzender des Walddörfer SV. Der Verein aus dem Nordosten Hamburgs zählt über 8.000 Mitglieder, nur fünf Vereine in Hamburg haben mehr. Grundsätzlich begrüßt Lopatta die Möglichkeit für die Vereine, „durch das 2G-Modell mehr zu differenzieren. Es ist ja auch möglich, es nur in einzelnen Kursen anzuwenden. Und wenn sich ein Sportkurs komplett einig ist, spricht ja nichts dagegen“. Der Vereinsboss ist alles andere als ein Impfskeptiker. Er wirbt fürs Impfen, für „gemeinsame Solidarität“. Der Verein betreibt im Walddörfer Sportforum ein eigenes Corona-Testzentrum und prüft die Option, Mitgliedern dort eine Impfung anzubieten.
Gibt es einen Mittelweg?
Gleichwohl will Lopatta möglichst die gesamte Mitgliedschaft mitnehmen. Ein komplettes Umschwenken des WSV auf 2G hält Lopatta dennoch für unwahrscheinlich. „Bei uns laufen gerade viele Umfragen im Verein. Das Meinungsbild ist sehr vielfältig. Wir möchten niemanden ausschließen, aber wir wollen unseren Mitgliedern auch viele Angebote machen, um Sport zu treiben“, sagt er. „Da suchen wir gerade nach einem smarten Weg.“ Dieser allerdings gleicht manchmal dem Bohren dicker Bretter. Vor allem, wenn Mitglieder kategorische Forderungen aufstellen. „Ich habe einen Brief bekommen, in dem stand, ,Wenn ihr das 2G-Modell einführt, trete ich wieder ins Fitnessstudio ein‘“, sagt Lopatta. Andere Mitglieder wiederum betrachten 2G mindestens als unfair, einige als Weg in die Zweiklassengesellschaft.
Die Wucht dieser Debatte sollte nicht unterschätzt werden. Vereinssport zu treiben ist vielen Hamburgern nicht nur ein körperliches, sondern ebenfalls ein soziales Bedürfnis. Und die Vereinsbindung vieler Mitglieder ist immer noch hoch. Den eigenen Verein wechselt man nicht so schnell wie das Lieblingsrestaurant. Nur stellt sich nun die Frage, wie die Vereine die widerstreitenden Interessen ihrer Mitglieder ausbalancieren können.
Der ETV bleibt bei 3G
Dieses Problem bringt auch den Vorsitzenden des Eimsbütteler TV, Frank Fechner, ins Grübeln. Mit über 13.000 Mitgliedern ist der ETV die Nummer drei in Hamburg hinter dem HSV und dem FC St. Pauli. Das 2G-Modell für den ganzen Club einzuführen, so wie es der Curling Club Hamburg (knapp 200 Mitglieder) jüngst tat, kam für den ETV als Großverein ähnlich wie für den Walddörfer SV zunächst nicht infrage. Der ETV bleibt im Großen und Ganzen erst mal ein 3G-Verein. Doch nach Fechners Ansicht wird die Diskussion bald wieder geführt werden müssen. „Noch finden viele unserer Kurse draußen statt. Das wird sich mit den kälteren Witterungsbedingungen ändern“, sagt Fechner. Einen zweiten Grund führt er zusätzlich an: „Wenn die Corona-Tests im Oktober für alle Bürger kostenpflichtig werden, wird sich die Frage stellen, wie sich die Mitglieder verhalten.“
Im Klartext: Werden sich Teilnehmer von Hallensportarten/-kursen wirklich jedes Mal vorher testen lassen wollen, wenn sie in ihrem Verein Sport treiben? Die entstehenden Kosten dürften pro Person schnell den eigenen monatlichen Mitgliedsbeitrag übersteigen. Weitergedacht: Welchen Sinn hätte es für die Hamburger Vereine, die 3G-Regelung anzuwenden, wenn danach kaum noch Nachfrage existiert? In dieser Lesart ist die flächendeckende Durchsetzung des 2G-Modells bei den Hamburger Sportvereinen eine Frage der Zeit.
2G könnte Folgen haben
Was bleibt, ist jedoch die Gefahr von Vereinsaustritten. Entweder, weil noch nicht 2G angewendet wird oder weil 2G bald angewendet wird/werden soll. „Wir verzeichnen bislang einige Vereinsaustritte“, erklärt Fechner. „Mit dem größten Teil unserer Mitglieder laufen die Diskussionen gut. Mit einem wesentlich kleineren Teil laufen sie hoch emotional. Einige Mitglieder sagen mir auch, sobald 2G angewendet wird, werden sie gehen. Sollte es so kommen, werden wir sie leider nicht halten können.“
Austritte wiederum schwächen die eh schon durch Corona gebeutelten Vereine wirtschaftlich. Darüber hinaus könnte gesamtgesellschaftlich betrachtet eine dauerhafte Impfmüdigkeit (beispielsweise bei Quoten von Geimpften um die 65 Prozent pro Jahr) unter den jetzt vorliegenden Rahmenbedingungen mehr als sozial problematisch sein. Denn wenn signifikant hohe Gruppen sich vom Vereinssport abwenden, bewegen sie sich vermutlich weniger. Dies hätte wiederum Langzeitfolgen für die gesundheitliche Verfassung der Hamburger Bevölkerung.
„Viele Vereine befinden sich noch in der Orientierungsphase. Die Rückmeldungen, die wir erhalten, sind so vielfältig wie die Hamburger Sportlandschaft“, sagt der HSB-Vorstandsvorsitzende Lehnert. „Eine Empfehlung für 2G oder 3G geben wir als Hamburger Sportbund nicht ab. Das müssen die Vereine selber entscheiden.“
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2021. Das Magazin ist seit dem 30. September 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!