Bowling: Hamburgs Tänzer an der Kugel

Die Striking Underdogs des FC St. Pauli befinden sich auf einem steilen Höhenflug Richtung Bowling-Bundesliga – ein Besuch
Die Sportausrüstung liegt bereit, bald folgt der nächste Strike (©privat)
Die Sportausrüstung liegt bereit, bald folgt der nächste Strike (©privat)

Samstagmorgen, 12.20 Uhr, Bowlingcenter in der Wagnerstraße 2: Eine rote Kugel auf Bahn 7 rollt rechtsseitig temporeich Richtung Pins. Jeder Laie würde in diesem Moment einen Erfolgswurf bezweifeln. Doch auf den letzten Metern dreht sich die Kugel scheinbar wundersam nach links und räumt alle zehn Pins ab. Strike! Niklas Niemann lächelt fast unmerklich und zupft an seinem farbenfrohen Club-T-Shirt, auf dem Blitz und Donner dargestellt sind. Er greift sich mit rechts die nächste Kugel, steckt seinen Daumen ins große Loch, Mittel- und Ringfinger in die beiden kleinen Öffnungen. Anlauf, Wurf, Kugel schwenkt am Schluss ein, Strike! Es wirkt wie eine Dublette, so perfekt gleichen sich die Abläufe.

„Bowling ist ein bisschen wie Tanzen“

„Das Faszinierende am Bowling ist die Wiederholbarkeit des Erfolgs durch präzise Abläufe. Bowling ist ein bisschen wie Tanzen“, sagt Niemanns Trainer Jörg Voreiter (50). So gesehen sind seine Schützlinge Hamburgs Tänzer an der Kugel. Niklas Niemann und sein Zwillingsbruder Fynn (beide 20 Jahre), Kay Czymai (24), René Filor (28), Patrik Schäfer (30) und Marcel Semmelhack (42) rocken die Sportstadt Hamburg. Nur legen sie keine flotte Sohle aufs Parkett, sondern sorgen für den krachenden Klang zu Boden fallender Pins. „2015 haben wir uns als Club Striking Underdogs aus der Bowlingjugend des FC St. Pauli gegründet“, sagt der Vorsitzende Peter Niemann, zugleich Vater der Zwillinge. „Schon damals hat unser Team in der Kreisliga einen höheren Pin-Schnitt gespielt als manches Team in der Hamburg-Liga. Also haben wir an den Weg nach oben geglaubt.“

Die könnte man nachts um drei Uhr wecken, sie würden sofort Bowling auf hohem Niveau spielen.

Peter Niemann

Geglaubt, getroffen! Von der Kreisliga an stieg das erste Team der Striking Underdogs (insgesamt vier Teams und 28 Mitglieder) fünfmal direkt hintereinander auf. Nur Corona konnte sie zwischenzeitlich stoppen. Nun, in der ersten vollen Saison nach der Pandemie, stehen die Striking Underdogs an der Spitze der Hamburg-Liga. Die Teilnahme am Kräftemessen der Landesmeister aller 16 Bundesländer, von denen die beiden besten in die 2. Bundesliga aufsteigen, ist ihnen so gut wie sicher.  

Ein eingeschworenes Team

„Einmal noch möchte ich einen Wurf in der 1. Bundesliga machen“, sagt Coach Voreiter. Das irritiert zunächst, weil er ja nicht mehr selbst spielt, sondern „nur“ coacht. Doch es zeigt: Zwischen Voreiter, der früher schon mit dem Team Hamburg mehrmals als Trainer Deutscher Meister wurde, und sein Team passt kein Blatt Papier. Die Niemann-Zwillinge, Kay Czymai und Marcel Semmelhack sind sogar bereits seit den ersten Kreisligatagen dabei. Der erste Neuzugang René Filor hat in Bielefeld in der Bundesliga gespielt. Sein Vater war selbst ein bekannter Bowler. Patrik Schäfer ist sein bester Freund und langjähriger Gefährte im Bowling. Trainiert wird bislang immer am Samstag, der Montag soll bald als zweiter Trainingstag dazukommen.

Ich kann mir keine andere Sportart mehr für mich vorstellen

Kay Czymai

„Niklas ist vom Hans-Dampf-in-allen-Gassen zum extrem umsichtigen und ergebnisorientierten Spieler geworden. Fynn und Marcel haben ein unglaubliches Gefühl an der Kugel. Kay spielt mit einer ungeheuren Kraft. Patrik ist unser ruhender Pol in jeder Lage. René hat viel Erfahrung auf hohem Niveau gesammelt und spielt die Kugel mit Front- statt Seitenrotation. Diese vielseitige Mischung unseres eingeschworenen Teams macht uns so unberechenbar und gefährlich für die anderen Mannschaften“, sagt Voreiter. „Ich bin total fasziniert von allen Spielern, schaue extrem gerne unseren Spielen zu. Bei meinen Söhnen kriege ich es besonders gut mit. Die könnte man nachts um drei Uhr wecken, sie würden sofort Bowling auf hohem Niveau spielen“, staunt der Vorsitzende Niemann.

Geld verdienen die Spieler, wie bei so vielen Randsportarten, keines. Jeder zahlt sogar seine 15 Euro Mitgliedsbeitrag im Monat. Sponsorengespräche laufen allerdings bereits, um bald auf höchstem Niveau mithalten zu können. Auch auf Zuschüsse des FC St. Pauli, in dem die Striking Underdogs weiterhin organisiert sind, darf der Club dann hoffen. Immerhin findet auf dem Sender Sportdeutschland TV mittlerweile die Übertragung von Bowlingpartien statt.

Bowling ist eine kleine Wissenschaft

Der Besuch bei den Striking Underdogs in der Wagnerstraße zeigt jedenfalls: Bowling ist viel mehr als ein geselliges Bällewerfen bei leckeren Getränken. Die Sportart entstand im 19. Jahrhundert als Ableger des in Europa beliebten Kegelns. Die Kugeln sind alle gleich groß, unterscheiden sich aber im Gewicht und in ihrer Oberfläche. Manche sind matter, manche poröser. Die Kugeln „lesen“ so auf unterschiedliche Weise die Bahn. Für die Spieler gilt es schon hier, die richtige Mischung zu finden. So kann eine schwere Kugel die Pins energischer umwerfen, eine kleine lässt sich hingegen besser handhaben. Und das ist noch nicht alles. Jede der 18,30 Meter langen und 1,05 Meter breiten Holzbahnen ist überzogen mit einer Kunststoffschicht.

„Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Das waren unbeschreibliche Gefühle

Niklas Niemann

Für die Langlebigkeit einer Bahn wird wiederum an jedem Tag ein Ölfilm mit einer Maschine auf circa zwei Drittel der Fläche aufgetragen. Diese Ölung prägt das Muster der Bahn und damit das Verhalten des Balles. „Vereinfacht gesagt, befindet sich der Ball auf dem Öl in einer Rutsch- und Drehbewegung. Verlässt er das Öl, gerät er auf dem letzten Teil der Bahn in die Rollbewegung und baut die Energie auf, um die Pins abzuräumen“, erklärt Voreiter. Jede Bahn besitzt jedoch wiederum ein anderes Ölbild, also andere Charakteristika.

„Gute Spieler wissen, wo sie mit welcher Wurftechnik wie angreifen können. Außerdem ist der Heimvorteil nicht zu unterschätzen. Eine Bahn mit einem Ölbild, das man kennt, lässt sich besser bespielen“, so Voreiter. Die Temperatur in der Halle, die Luftzufuhr und der Zeitpunkt der Ölung spielen ebenfalls eine Rolle. Maximal 300 Punkte können pro Zwölfer-Wurfrunde erreicht werden. Bowling ist also, auf hohem Niveau, durchaus eine kleine Wissenschaft.    

„Ich kriege heute noch Gänsehaut“

„Ich bin jetzt 24 Jahre und spiele seit 19 Jahren Bowling. Ich kann mir keine andere Sportart mehr für mich vorstellen“, sagt Kay Czymai. „Dieser Sport fordert eine sehr hohe Konzentrationsfähigkeit. Das macht ihn so interessant“, erklärt Fynn Niemann. Seine höchste Wurfrunde war 297, sein Zwillingsbruder Niklas schaffte bereits zweimal eine 300. Also zwölf Strikes in Folge, so etwas wie der heilige Gral für Bowler. „Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Das waren unbeschreibliche Gefühle“, sagt er. Die dürften in ähnlicher Form wiederkommen, wenn bald der sechste Aufstieg in Folge gefeiert werden sollte. Vielleicht werden die Striking Underdogs in der 2. Bundesliga ja in Hamburg etwas bekannter. Verdient hätte es der sympathische Club allemal.

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