System(ir)relevant: Jeder wird gebraucht

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Sie sind die Helden Hamburgs und nicht erst seit der Corona-Pandemie für ein funktionierendes Gemeinwesen unerlässlich: die Systemrelevanten. Doch wer sich mit diesem Begriff betiteln darf, ist Ansichtssache

Texte: Marco Arellano Gomes & Basti Müller

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Landwirt

Henning Beeken, 45, Eigentümer vom Hof Eggers in Kirchwerder 

SZENE HAMBURG: Was ist dir durch den Kopf gegangen, als abends geklatscht wurde?

Dass man sich bei mir als Teil einer systemrelevanten Berufsgruppe bedan­ ken muss, habe ich nicht so empfunden. Wir haben hier unsere Sachen weiter­ produziert, so gut es ging. Wir haben die Blumen ausgeliefert, klar, da haben sich die Leute gefreut, zum Teil sehr, weil es für sie schön war, den Balkon bepflan­ zen zu können. Da gab es sehr positives Feedback. Bei uns auf dem Bauernhof hat niemand geklatscht, das hätte mich auch irritiert. In der Stadt mag dies ja für die Beklatschten ganz nett gewesen sein, ich könnte mir aber vorstellen, dass zum Beispiel den Pflegekräften eine ange­ messene Bezahlung wichtiger wäre.

„Ohne Bauern gibt es kein Essen auf dem Tisch“

Henning Beeken

Empfindest du dich als systemrelevant? 

Klar, die Produktion von Lebens­ mitteln ist systemrelevant. Ohne Bauern gibt es kein Essen auf dem Tisch.

Hattest du irgendeine Form von Angst?

Die ganze Zeit hatte ich kaum Angst. Meine Eltern sind beide fast 80, da macht man sich schon mehr Sorgen. Aber ich lebe, wo ich arbeite, also nein.

Was motiviert dich, deinen Beruf auszuüben?

Das ist meine Lebensaufgabe, ein Projekt, an dem ich selbst arbeiten und das ich selbst gestalten darf. Das ist eine ganz tolle Aufgabe, die Motivation kommt da von selbst.

Gibt es etwas, das du dir von der Gesellschaft wünschen würdest?

Was ich auch als sehr positive Be­ gleiterscheinung wahrgenommen habe, ist, dass das regionale Einkaufen deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Da sind wir seit neuestem auch in der Regional­ wert Hamburg AG, ein Netzwerk aus regionalen Produzenten, Einzelhänd­ lern und Gastronomen und das funk­ tioniert sehr gut. Diese Zusammenarbeit finde ich sehr positiv und ich würde mir daher wünschen, dass die Menschen das regionale Einkaufen weiter wertschätzen und bereit sind, dafür auch ein paar Cent mehr auszugeben.
In diesem Sinne, würdest du dir wünschen, dass Regionalität stärker von der Politik gefördert wird?

Ja. Man hat das jetzt auch wieder gesehen, dass eben die kurzen Wege sehr krisensicher sind und weiterhin funktionieren. Alles, was mit langen Transportwegen zu tun hat, ist dann doch sehr anfällig.

Was möchtest du den Hamburgern mit auf den Weg geben?

Kauft regional in den kleinen Läden in der Nachbarschaft und kommt mal wieder zu uns ins Hofcafé, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden.

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Busfahrer

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Imam Alkan, 48, Berufskraftfahrer bei der Verkehrsbetriebe Hamburg- Holstein GmbH

SZENE HAMBURG: Wie würdest du deinen Job beschreiben?

Ich war 30 Jahre lang in der Show­ branche tätig und bin es gewohnt, Ent­ scheidungen und den Tagesablauf selbst zu bestimmen. Das gleiche habe ich auch – fast – als Busfahrer. Niemand schaut mir über die Schulter und ich bin mein eigener Chef in meiner Schicht.

Warum ist dein Beruf aus deiner Sicht systemrelevant?

Wenn wir stehen, bleibt auch Ham­ burg stehen. Jetzt, in der Krise merkt man mehr denn je, wie dankbar die Fahrgäste sind. Wir sind die, die Ham­ burg bewegen – von A nach B. Man könnte uns auch als die fleißigen Bie­ nen der Stadt bezeichnen, die überall ausschwärmen, ihre Arbeit tätigen und zum Schluss wieder zum Bienenstock, dem Betriebshof, zurückkommen.

Was macht deinen Job für dich so besonders?

Was gibt es Schöneres, als die Ham­burger in der schönsten Stadt der Welt herumzukutschieren. Ich liebe es, Auto beziehungsweise Bus zu fahren.

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Entsorger

Önder Büyükhan, 28, Entsorger und Vorarbeiter bei der Stadtreinigung Hamburg in der Region Ost Volksdorf

SZENE HAMBURG: Was ist dir durch den Kopf gegangen, als abends geklatscht wurde?

Ganz ehrlich? Ich habe mich ziemlich gefreut, dass es Menschen gibt, die sich freuen, dass wir unsere Arbeit ma­chen. Viele ärgern sich eher, weil wir im Weg stehen.

„Ohne uns hätten wir sicherlich eine Rattenplage“

Önder Büyükhan

Empfindest du dich als systemrelevant?

Selbstverständlich! Ohne uns hätten wir sicherlich eine Rattenplage und es würde überall nur Müll herum­ liegen.

Hast du Angst, zur Arbeit zu fahren?

Nein! Ich fahre mit einem eigenen Pkw und wir haben sehr gute Hygiene­vorschriften auf der Arbeit. Unsere Vorgesetzten achten explizit auf unser Wohl.

Was motiviert dich, deinen Beruf auszuüben?

Die Arbeit, die ich ausübe und die Dankbarkeit der Bürger.

Was hat sich seit Corona verändert?

Wie das jetzt draußen in der Öffentlich­keit ist: Abstand halten, Mundschutz tragen et cetera, sonst hat sich für uns kaum etwas geändert. Vor allem in den Autos tragen wir die Masken, um uns gegenseitig zu schützen.

Habt ihr durch Corona in den letzten Wochen mehr zu tun gehabt?

Man merkt, dass die Eimer voller als sonst sind. Es gibt mehr Müll, weil die Leute mehr zu Hause als im Büro sind.

Hast du das Gefühl, dass die Leute etwas gereizter sind als zuvor?muellabfuhr

Die Autofahrer vielleicht. Das merkt man richtig. Die sind teilweise richtig aggressiv, privat oder auf der Arbeit. Sie drängeln mehr, die Leute sind angespannt. Man kann das nach­vollziehen, weil du aktuell nicht viel machen kannst. Die Leute, Familien und Paare sind schon alle ein bisschen gereizt.

Die meisten wollen im Straßen­verkehr Recht haben, sie müssen die ersten sein und suchen den Fehler bei den anderen, nicht bei sich selbst. Deswegen passieren auch die meisten Unfälle, auf der Autobahn oder sonst wo. Das „Wir“ gibt es dort nicht und das wird von Jahr zu Jahr immer schlimmer. Ich habe meinen Führerschein vor zehn Jahren gemacht, da war das Fahren noch entspannt. Jetzt ist das wie Krieg.

Gibt es etwas, das du dir von den Hamburgern wünschen würdest?

Dass die aktuellen Hygienemaß­nahmen eingehalten werden.

Was möchtest du Hamburg sagen?

Die letzte Zeit ist sehr schwer für uns alle gewesen. Haltet durch! Wir werden es alle zusammen schaffen. Hoffen wir auf bessere Tage. Seid froh, dass ihr gesund seid. Gesundheit ist mit keinem Geld dieser Welt zu ersetzen!

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Erzieherin

Melina Blechschmidt, 34, Erzieherin bei Wabe e. V. in Bergedorf

SZENE HAMBURG: Was ist dir durch den Kopf gegangen, als abends geklatscht wurde?

Es wurde für Verkäuferinnen und Verkäufer, Krankenschwestern und -­pfleger, Ärzte und so weiter geklatscht. Ich denke, die Menschen haben ihre Jobs gewählt, weil sie diese mögen. Sie machen ihn gerne und gerade in Zeiten, in denen sie gebraucht werden, noch lieber. Ich freue mich, dass diese Men­schen und Berufe nun endlich die An­erkennung bekommen, die ihnen auch vor Corona schon zustand. Das wurde wirklich Zeit!

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Foto: Heike Günther

Empfindest du dich als systemrelevant?

Ich empfinde mich und meinen Be­ruf als absolut systemrelevant. Neben dem Bildungsauftrag und der täglichen Verantwortung den Kindern gegenüber, verdeutlicht gerade diese Zeit noch einmal mehr, welche Wichtigkeit wir, als Mitarbeiter in Kindertageseinrich­tungen, in der Gesellschaft haben. Wir betreuen nicht nur Kinder! Wir beraten Eltern, entlasten Familien. Wir ermög­lichen Eltern, ihren Berufen nachzu­kommen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, wie sie ihre Kinder für die vielen Stunden betreuen können. Damit helfen wir Menschen, die wiederum an­dere Sparten und Bereiche des Systems abdecken zu können.

Hast du Angst, zur Arbeit zu fahren?

Nein, keinerlei Angst. Wir halten uns an festgeschriebene und für alle verbindliche hygienische Abläufe. Diese wurden jetzt nochmals verschärft. Der Gedanke an Corona und eine mögliche Ansteckung spielt in meiner täglichen Arbeit keine Rolle. Kinder sind häufig krank und so werden auch wir als Fach­kräfte oft mit vielerlei Krankheiten kon­frontiert. Eine Sorge vor Ansteckung schwingt da nie mit.

Was motiviert dich, deinen Beruf auszuüben?

Dasselbe wie immer! Meine Arbeit ist mein Traumberuf, meine Berufung. Ich komme gern in die Kita, begleite Kinder bei ihren Lern-­ und Entwicklungsfortschritten. Für mich ist das immer eine schöne Zeit.

Für mich und meine Kollegen ist der pädagogische Alltag mit vielen Auflagen, Änderungen und Einschränkungen verbunden. Das ist eine Herausforderung und verlangt uns in der Planung und Umsetzung viel ab. Dennoch wird noch mal mehr deutlich, welch große Rolle wir als Kita in den Leben der Familien spielen und wie sehr sie auf unsere Arbeit angewiesen sind. Das motiviert auch noch mal.

„Wertschätzung geht oft im Alltag und der Hektik unter“

Melina Blechschmidt

Gibt es etwas, das du dir von den Hamburgern wünschen würdest?

Ich wünsche mir, dass sie den Er­zieherinnen, SPAs und pädagogischen Fachkräften in den Einrichtungen ihrer Kinder zeigen, dass sie sehen und wertschätzen, was sie tun. Oft geht das im Alltag und der Hektik unter.

Unsere Kita hatte ab dem ersten Tag der Corona-­Zeit geöffnet, ein Notgruppen­-Konzept entworfen, alle Eltern der Kita informiert, individuell beraten. Es wurden Angebote für die Kinder und Familien auf der Website hochgeladen, um auch die zu erreichen, die zu Hause bleiben. Wir sind immer ansprechbar, erreichbar und beraten, wenn Fragen oder Hilfen benötigt werden.

Die El­tern schätzen das sehr und wir wissen von vielen, dass wir sie damit enorm entlasten. Selbst, wenn ihr Kind gerade nicht in der Einrichtung betreut wer­den kann.

Was möchtest du Hamburg sagen?

Halten Sie durch! Wenn Sie Unterstützung brauchen, sind wir als Kinder­tagesstätten für Sie da. Und auch ein Dankeschön an die Familien, die ihre Kinder weiterhin zu Hause betreuen können.

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Musikerin

Miu, 33, Sängerin, Songschreiberin und Kulturaktivistin mit eigenem Label in Lurup

SZENE HAMBURG: Wie würdest du deinen Job beschreiben?

Ich bin Sängerin, schreibe, produ­ziere Songs und spiele viel live. Im letz­ten Jahr habe ich mein Doppelalbum „Modern Retro Soul“ mit eigenem La­bel in die Albumcharts katapultiert. Ne­benbei mache ich mich für mehr Sicht­barkeit von Frauen in der Musik stark bei Ladies Artists Friends.

„Ohne Musik wäre die Welt überhaupt nicht auszuhalten“

Miu

Warum ist dein Beruf aus deiner Sicht systemrelevant?

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Foto: Elena Zaucke

Filme und Musik waren für die Menschen nie wichtiger als jetzt, in Zeiten sozialer Isolation. Ich hoffe, dass dies eine neue Diskussion anstößt, wie viel uns Kultur wert ist. Gerade, wo es der Kultur sehr schlecht geht.

Was macht deinen Job für dich so besonders?

Ohne Musik wäre die Welt überhaupt nicht auszuhalten. Ich mag, dass mein Job mich immer wieder aufs Neueste kognitiv und emotional fordert, dass Musik vermag, Gefühle auszudrücken, Menschen zu erreichen und zu begleiten – neue Sichtweisen anzustoßen. Wir alle hören Musik mehrfach am Tag – es ist immer wieder wichtig, dass unsere Gesellschaft sich dieses Geschenks bewusst ist und Kultur nicht als Selbstverständlichkeit hinnimmt.
Weitere Interviews findet ihr in der Juni-Ausgabe der SZENE HAMBURG 👇

Cover Szene Juni 2020 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juni 2020. Das Magazin ist seit dem 30. Mai 2020 im Handel und  auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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