„Die Möwe“ ist der Titel eines Kurzfilms, der während einer zweistündigen Aufführung von Anton Tschechows Drama „Die Möwe“ entstehen soll. Derart verflochten zwischen Live-Aktionen im Bühnenraum und dem Geschehen auf der Leinwand – die auch nur das auf der Minibühne im Foyer Gefilmte wiedergibt – gestaltet Regisseurin Charlotte Sprenger ihre siebte Inszenierung am Thalia Theater. Zu Beginn schlägt eine Vierergruppe Federbälle über ein Netz und dabei die Zeit tot, in historisierend anmutenden Kostümen und ermüdend langen Federballwechseln. Derweil kämpft Kostja – hier weiblich und Nachwuchsregisseurin – mit ihrem Ärger über die unzuverlässige Hauptdarstellerin Nina, die zugleich ihre Geliebte ist, und der Wut auf ihre Mutter, die erfolgreiche Schauspielerin Arkadina, sowie der noch größeren Wut auf deren noch erfolgreicheren Freund, Schriftsteller Trigorin. So viel Tschechow in der Pole-Position.
„Die Möwe“: Flatterbewegungen und kleine Luftsprünge
Im weiteren und deutlich zu langen Verlauf des Abends arbeitet sich Kostja an der fehlenden Liebe und Wertschätzung ihrer Mutter Arkadina ab. Schauspielende ihres Kurzfilmprojekts diskutieren über systemimmanente Abhängigkeit von der Regie und ihr Selbstverständnis innerhalb einer (immer noch) vorhandenen Hierarchie im Theaterbetrieb. Warum das auf Tschechows Textrücken ausgetragen wird, bleibt unklar. Näher an der Dramenvorlage bleibt die folgende Konstellation: Kostja will Nina, Nina will berühmt werden, und zu diesem Zweck bietet sie sich Trigorin als Partnerin an – die beiden spielen miteinander, allerdings ohne Federball und Schläger, auf derselben Seite des Spielfelds. Gestritten wird schließlich darüber, wer die Möwe sein soll: Ansätze von Flatterbewegungen und kleine Luftsprünge qualifizieren niemanden eindeutig. Hin und wieder gelingt der Musik, was die Inszenierung trotz großartiger Darstellerinnen und Darsteller nicht schafft: Atmosphäre zu kreieren.
Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/25 erschienen.