Villa Viva: Ein Haus für alle

Die Villa Viva ist Hamburgs neustes Hotel. Gebaut unter anderem von Viva con Agua, soll es ein „Haus für alle“ sein – ein Streifzug mit Viva con Agua-Gründer Benjamin Adrion durch das Haus
Die Villa Viva im Hamburger Münzviertel (©Queenkong)

Die Villa Viva ist imposant: 12,5 Stockwerke ragt das Gebäude im Münzviertel in Hammerbrook in die Höhe. Das kleine und enge Viertel zwischen den Gleisen südlich des Hauptbahnhofs könnte nach dem französischen Anthropologen Marc Augé als Nicht-Ort bezeichnet werden. Auch wenn die zentrale Lage ideal scheint, verirrten sich lange Zeit nur wenige Menschen hier her. Als „Schön und laut“, beschrieb Die Zeit 2015 das Viertel, das von Hauptverkehrsstraßen umrahmt ist. Doch in den letzten acht Jahren hat sich viel verändert: Aus einigen verfallenen Gebäuden wurden Brachflächen und darauf entstanden neue Häuser wie ein Ibis-Hotel, die Zentrale des Windenergieunternehmens Vestas – und jetzt auch die Villa Viva, hinter der unter anderem die gemeinnützige Organisation Viva con Agua steckt.

Aufnahme Panel bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Villa Viva
Viva con Agua-Gründer Benjamin Adrion (links) bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Villa Viva (©Carolin Wehmer)

„Ich kannte das Münzviertel vorher überhaupt nicht gut“, sagt Viva con Agua-Gründer Benjamin Adrion. Mit langer schlabberiger Hose, oversized Pullover und einer Mütze über seinen langen Haaren steht er knapp eine Woche vor der offiziellen Eröffnung am 16. November im dritten Stock des Hauses. Auf dieser Etage will die gemeinnützige Organisation ihr neues Zuhause aufbauen, die zuvor über 15 Jahren auf St. Pauli war.

Viva con Agua hat die Villa Viva hat zusammen mit der „Shareholder-Gang“ auf die Beine gestellt. Die „Shareholder-Gang“ ist ein Zusammenschluss von Investoren wie Bela B. von Die Ärzte, Jan Delay und den Braun-Brüdern vom Miniatur Wunderland, die insgesamt 5,5 Millionen Euro in das Projekt investiert haben. Spendengelder seien nicht in das Haus geflossen, versichert Adrion.

Ein Haus? Das war nicht der Plan

„Ehrlich gesagt, war ein Hotel zu bauen nie der Plan. Es war auch nicht wirklich der Plan ein Haus zu bauen. Im Prinzip sind wir wie die Jungfrau zum Kinde gekommen“, erzählt Adrion, während er hinunter zum neuen Hotelrestaurant, der Villa Cantina, geht. „Micha Fritz (Mitgründer von Viva con Agua, Anm. d. Red.) hat auf irgendeiner Veranstaltung die Familie Becken (Bauunternehmer, Anm. d. Red.) kennengelernt und gesagt: ‚Ach, ihr baut Häuser … wir sind auf der Suche nach einem neuen Büro‘ und die haben entgegnet: ‚Es gibt aktuelle eine Ausschreibung für zwei Grundstücke im Münzviertel‘“, sagt Adrion. Auf einem dieser Grundstücke steht heute die Villa Viva.

Adrion steht an der Bar des neuen Restaurants und stellt seine Kolleginnen und Kollegen vor: „Das hier ist Laura, sie ist unsere Zirkusdirektorin.“ Zirkusdirektorin, so nennt sich in der Villa Viva die Hoteldirektorin. Laura Hansen hat wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen mal im Louis C. Jacob gearbeitet. Sie ist Anfang 2023 von der Hotelkette 25Hours Hotels zur Villa Viva gewechselt.

Villa Viva Hamburg: Das Gasthaus

„Wir aus der Leitung des Gasthauses kommen fast alle aus der Fünf-Sterne-Plus-Kategorie. Die beiden Küchenchefs Dominik Lang und Jan Johannsen sowie mein Stellvertreter Linus Müller und ich kennen uns aus dem Louis C. Jacob. Diese Strukturen sind nicht neu für uns, aber wir hatten da alle keine Bock mehr drauf. Wir wollen mehr auf Augenhöhe sein“, erzählt Hansen. Natürlich ginge es in einem Hotel, oder Gasthaus, wie sie es nennt, nicht ohne Hierarchien, doch hier sei alles viel mehr auf einer Ebene und alle würden mithelfen. Das Gasthaus hat 139 Zimmer. Diese reichen von der Camping-Kabine für 19,10 Euro pro Nacht bis zur Suite ab 275 Euro pro Nacht. „Wir bieten ein Haus für alle“, sagt Adrion.

Foto von Laura Hansen Hoteldirektorin Villa Viva
Laura Hansen ist Zirkusdirektorin, so nennt sich in der Villa Viva die Hoteldirektorin (©Chaplin)

Doch wie kommt eine erfahrene Hotelmanagerin wie Laura Hansen nach fünf Jahren bei 25Hours Hotels dazu, zu wechseln? „Als ich vor zwei Jahren gesehen habe, dass die Villa Viva eröffnet, haben sich für mich zwei Welten verbunden: Einmal dieses Lifestyle Hotel-Brand von Heimathafen Hotels und dieser Viva con Agua-Kosmos, den ich auch schon irgendwie privat gelebt habe“, sagt Laura Hansen.

Heimathafen Hotels betreibt das Gasthaus in der Villa Viva und ist an diesem zu 40 Prozent beteiligt – 60 Prozent an der Villa Viva Gasthaus GmbH gehören Viva con Agua und der „Shareholder-Gang“. Mit diesem Konzept und der dahinterstehenden Finanzierung ist die Villa Viva zum „Leuchtturm der Gemeinwohl-Ökonomie“ für Hamburg geworden, wie es Finanzsenator Andreas Dressel bei der Grundsteinlegung sagte.

Dazu gehört selbstverständlich auch Nachhaltigkeit: Die Einrichtung wurde von der Agentur Elbstrand daraufhin geprüft und auch das Essen im neuen Restaurant „ist erstmal vegetarisch/vegan“, sagt Hansen. „Fleisch oder Fisch kann man dazu bestellen, aber nur, wenn wir auch gerade ein gutes Stück Fleisch oder einen Fisch bekommen können.“ Gleiches gilt für das Hotelfrühstück: „Wir hatten keinen Bock mehr auf die Fleisch- und Wurstberge, deswegen ist das komplett vegetarisch/vegan“, sagt Hansen. Ihr Ziel sei es, „einen Ort der Begegnung zu schaffen, an den auch die Hamburger:innen gerne kommen.“

Menschen & zusammen

Das mit Mural geschmückte Treppenhaus in der Villa Viva Hamburg
Ein Mural von Stefanie Thiele ziert das Treppenhaus der Villa Viva (©Heimathafen Hotels)

Dass dieses Ziel erfüllt werden kann, scheint nicht unwahrscheinlich. Denn es gibt schon eine andere Villa Viva, von der Adrion schwärmt. Seit 2021 steht sie in Kapstadt, Südafrika. „Dort sind in den ersten beiden Jahren Menschen aus über 70 Nationen der Welt zusammengekommen“, sagt Adrion. Das erwarte er für Hamburg aber nicht, wie er auf dem Weg zum Fahrstuhl lächelnd sagt. Es geht nach oben, in den 12. Stock zur neuen Rooftopbar. „Wir hatten erst überlegt, einen Social Business Tower, ein Haus für gemeinnützige Organisation, zu bauen. Aber dann wären wir Vermieter, das ist doch voll doof“, sagt Adrion über die Entstehung der Villa Viva. „Irgendwann wussten wir, dass wir hier alles bauen können, außer Wohnungen, und so ist die Idee zur Villa Viva entstanden.“

„Denn wir wollten Leute bei uns zu Gast haben. Das ist auch nicht so weit von Viva con Agua entfernt, weil wir immer Menschen bei uns zu Gast haben und Leute zusammenbringen“, sagt Adrion, während er die Terrasse betritt und den Blick über den Hamburger Hafen, die Bahngleise und das Spiegel-Haus schweifen lässt.

Brunnen bauen

Zimmer mit Doppelbett in der Villa Viva Hamburg
Einblick in eines der Zimmer der Villa Viva (©Nassim Ohadi)

Eine Rooftop-Bar, ein größtenteils vegetarisches Restaurant und Zimmer der „Camping-Kategorie“: Die Villa Viva erfüllt viele Anforderungen an ein modernes Hotel für eine hippe Zielgruppe. Doch für Benjamin Adrion ist die Villa mehr. Er wird ernst, wenn es um die größeren Fragen geht. „Das Haus ist auch ein Teil von Stadtentwicklung“, sagt er. Denn nebenan sei gleichzeitig zur Villa ein Bürogebäude – „noch ein Bürohaus“, wie Adrion sagt – gebaut worden. „Das war schon an eine maltesische Heuschrecke verkauft, bevor es fertig war“, echauffiert er sich. „Und erst kürzlich ist eine Hotelkette an die Börse gegangen oder wurde für über 100 Millionen Euro verkauft (im Oktober 2021 sicherte sich ein Zusammenschluss aus Accor Hotels und dem Hospitality-Unternehmen Ennismore die 25hours Hotelgruppe, Anm. d. Red.). Da habe ich nichts dagegen, doch bei uns ist das anders.“ Er kritisiert rein auf Gewinn abzielendes Bauen. Bei der Villa Viva sollen mindestens 40 Prozent der Gewinne aus dem Gasthaus an Viva con Agua gehen und Projekte finanzieren. „Und wenn das Haus dann in rund 25 Jahren abbezahlt ist, kommen zusätzlich pro Jahr von rund zwei Millionen Euro Miete rund 67 Prozent den Projekten von Viva con Agua zu Gute“, sagt Adrion.

Der Traum der Villa Viva

Der mit Graffiti geschmückte Treppenhaus in der Villa Viva Hamburg
In der Villa Viva wurde das Treppenhaus zur Leinwand (©Felix Willeke)

Das sei alles noch Zukunftsmusik, sagt er, während er das von Künstlerinnen und Künstlern verzierte Treppenhaus hinabgeht. Was ihm noch wichtig ist bei dem Projekt? Nachhaltigkeit. Man habe sich bemüht alles so nachhaltig wie möglich zu organisieren, von der Küche über die Möbel bis hin zum Beton. „Aber natürlich haben die Bemühungen auch ihre Grenzen. Wir haben zwar recyceltes Aluminium an der Fassade, aber so etwas wie Geothermie konnten wir uns nicht leisten und natürlich haben wir ein großes Haus gebaut“, sagt Adrion.

Nicht zu Bauen, sei keine Option gewesen. „Denn wenn wir es nicht gemacht hätten, hätte irgendein Immobilienentwickler hier gebaut, Nachhaltigkeit nicht ernst genommen und nach Profitinteressen gehandelt.“ Verändern will Adrion noch mehr, weswegen er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter „von Anfang an Mitglied im Stadtteilbeirat sind“, sagt Adrion. Er öffnet die nächste Tür in einen der Hotelflure. „Aaahhh, what’s up y’all, welcome, welcome!“, ruft er plötzlich und umarmt vier Frauen sehr herzlich. Es sind seine Kolleginnen der Villa Viva aus Kapstadt. Sie sind am Vortag angekommen und sind mit Adrion in dieser Nacht die ersten Menschen, die in der Villa Viva übernachten. „And tomorrow we meet, and write down our dreams“, sagt eine der Frauen. „Good idea“, erwidert Adrion. Vielleicht ist es genau das, was zu diesem Haus, der Idee und dem Image passt: Am nächsten Tag werden die eigenen Träume aufgeschrieben.

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