Noch bis Jahresende finden im ehemaligen Karstadt Sport Gebäude am Hauptbahnhof Künstler:innen einen Platz, um ihre Arbeit zu präsentieren. Eines der Projekte: Das „Werkhaus 2.0“, das über Obdachlosigkeit in Hamburgs Stadtzentrum informieren will
Text: Marina Höfker
Rund um den Hamburger Hauptbahnhof prallen verschiedene Realitäten aufeinander: Es gibt viele Obdachlose und Geschäftsbetreiber:innen fürchten Einbußen aufgrund von ausbleibenden Touristen und Kund:innen. Ein Phänomen, das in vielen Großstädten rund um die Bahnhöfe zu finden ist. Doch eine wirkliche Alternative gibt es für Obdachlose meist nicht. Um auf das Problem verstärkt aufmerksam zu machen und sich für eine dauerhafte Lösung einzusetzen, rückt Günter Westphal vom Bündnis Stadtherz das allzeit aktuelle Thema wieder in den Fokus.
Denn in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Hauptbahnhof hat das „Werkhaus 2.0“ einen Platz gefunden. Im ehemaligen Karstadt Sport Gebäude, das bis zum Jahresende von der Hamburger Kreativgesellschaft als „Raum für kreative Zwischennutzung“ genutzt wird, hat das Kunstprojekt um Initiator Günter Westphal einen Info- und Beratungskiosk für Obdachlose eingerichtet – direkt am Eingang im Erdgeschoss. Im Rahmen des Jubiläums „41 Jahre Kunst im öffentlichen Raum“ hat das „Werkhaus 2.0“ sich bei einer Ausschreibung durchgesetzt und eine Förderung erhalten. In dem Gebäude unweit des Hauptbahnhofs hat Günter Westphal einen Info- und Beratungskiosk eingerichtet – direkt am Eingang im Erdgeschoss.
Werkhaus 2.0: Eine Anlaufstelle für Obdachlose
Der Künstler und Fotograf versteht sein Projekt auch als Kunst, obwohl er ein ganz anderes Ziel im Visier hat. Er will eine dauerhafte Herberge für Obdachlose ganz in der Nähe einrichten – vor allem, nachdem das Wohnungslosenprojekt „Die Mission“ nach 25 Jahren vor dem Aus steht und der ambulante Stützpunkt der Caritas für Obdachlose im August 2018 aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen weichen musste. Seit dem 20. Oktober 2022 und bis voraussichtlich Mitte Dezember ist der Kiosk geöffnet. Zunächst sollte es vor allem eine Anlaufstelle für junge Obdachlose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Erwachsene sein. Doch die Betroffenen nehmen das Angebot bisher kaum an. Verwundert ist Günter Westphal darüber nicht. „Wir haben hier kaum Toiletten und durch das Nebeneinander verschiedener Kunstprojekte ist es wahnsinnig laut. Die trauen sich hier nicht rein“, mutmaßt er. Man wolle die Obdachlosen auch nicht wirklich dort haben. Die gesamte Struktur innerhalb des Gebäudes funktioniere nicht: „Künstler, die Geld verdienen wollen, prallen auf Menschen, die sich Gedanken darüber machen, wie sie die Stadt sozial verändern können. Das ist absurd“, sagt er. Dabei ist das „Werkhaus 2.0“ nicht anderes als eine andere Version des 2013 von der Stadtteilinitiative Münzviertel gegründetem Werkhaus Münzviertel, das im Fall des „Werkhaus 2.0“ im Rahmen von „41 Jahre Kunst im öffentlichen Raum“ gefördert wird.
Werkhaus Münzviertel als soziales Kunstprojekt
Mit dem Werkhaus Münzviertel, das sich im gleichnamigen Quartier befindet, will Günter Westphal beweisen, dass sich Kunst und Soziales nicht ausschließen müssen. Die Werkstätte versteht sich als ein nachbarschaftliches Netzwerk, vorwiegend aus Studierenden. Junge Wohnungslose und Geflüchtete, für die andere soziale Angebote nicht funktionieren, sollen dort möglichst niedrigschwellig einen Platz finden und sich ausprobieren. Die Arbeit unter Anleitung von Künstler:innen in den Bereichen Küche und Gartenbau oder das Werken mit Holz und Textilien soll sie zu einem möglichst selbstbestimmten Leben motivieren. „Im Grunde müsste sowas in jeder Nachbarschaft entstehen“, sagt Günter Westphal. Doch oftmals scheitere es an der Finanzierung. Um die Arbeit des Werkhauses näher vorzustellen, werden an dem zweiten Standort im ehemaligen Karstadt Sport Gebäude Produkte wie Marmeladen, gezüchtete Blumen und bedruckte Tragetaschen präsentiert, die gegen eine Spende erworben werden können. Zugleich soll ein öffentlicher Ort geschaffen werden, um mit Ausstellungen, Filmvorführungen und Diskursen auf die Situation rund um den Hauptbahnhof aufmerksam zu machen.
„Im Grunde müsste sowas in jeder Nachbarschaft entstehen“ Günter Westphal
Ausstellungen, Filmvorführungen und Diskurse
Für November hat das Zentrum für Zukunft, das aus dem Bündnis Stadtherz hervorgegangen ist, bereits einige Veranstaltungen geplant. Am Donnerstag, den 10. November, eröffnet um 19 Uhr eine Fotoausstellung des Straßenmagazins Hinz&Kunzt mit dem Titel „Blaue Betten auf Beton“. Am 17. November diskutieren Günter Westphal und der Konzept-Künstler Michael Kress ab 19 Uhr darüber, inwiefern Kunst und Soziales zusammenpassen. Und am 18. November sprechen Kunstvermittlerin Veronika Schöne und Günter Westphal ab 16 Uhr über das Werkhaus-Projekt. Am 19. November sind Interessierte um 18 Uhr zu einem Diskurs zum Thema „Künstlerische Maßnahmen gegen die Kälte“ eingeladen. Dabei soll auch die Dokumentation über den Aktionskünstler Christoph Schlingensief mit dem Titel „Freund! Freund! Freund“ vorgestellt werden, auch die Filmemacher werden zu Gast sein. Das Bündnis Stadtherz lädt am 23. November schließlich zu einem Diskurs zum Thema „Soziale Stadtplanung rund um den Hauptbahnhof“, bei dem Regisseure Irene Bude und Olaf Sobczak ihren Film „Alles muss raus“ aus dem Jahr 1999 vorstellen.