Henning Quast und das Gleichgewicht

Biobauer Henning Quast bewirtschaftet seinen Obsthof im Alten Land in der siebten Generation und ist unser Hamburger des Monats Oktober 2023. Ein Gespräch über Äpfel mit Makel, Birnen mit Perspektiven und Bürokratie ohne Ende
„Es ist anspruchsvoll geworden“: Henning Quast (©Henning Quast)

SZENE HAMBURG: Herr Quast, muss ein guter Apfel gut aussehen?

Henning Quast: Nein. Aber trotzdem müssen wir danach arbeiten, dass die Äpfel immer schön aussehen. Es gibt im Obstanbau irre viel Schaderreger, die uns das Leben schwer machen. Wenn die Toleranz da wäre, auch mal kleine Makel zu akzeptieren, würde es uns sehr viel besser gehen. Es gab schon Geschmacksverkostungen, wo festgestellt wurde, dass Äpfel mit Makel, die mit Abwehrkräften dagegen arbeiten, besser schmecken.

War immer klar, dass Sie den elterlichen Hof übernehmen würden?

Nee, nicht ganz. Mein Bruder hat auch Obstbau gelernt, und ich wusste lange nicht, ob ich das mache, wusste aber auch nicht, was ich sonst machen will. Dann habe ich auch meine Ausbildung zum Obstbauern gemacht. Und das war genau richtig!

„Das Verhältnis der Nährstoffe ins Gleichgewicht bringen“

Henning Quast

Kleiner Ausflugstipp für die Leser: Wo ist es am schönsten im Alten Land?

Auf meinem Hof (lacht). Sonst haben wir schöne Ecken an der Lühe, mit dem Leuchtturm, in Jork im Zentrum vom Alten Land. Das kann man empfehlen. Am besten mit dem Fahrrad durchfahren. Vorbei an den schönen Fachwerkhäusern in Grünendeich oder Steinkirchen. Bei uns in Neuenfelde gibt’s auch welche, aber da stehen mehr. Wo der Boden gut war und wo man die meisten Erträge erwirtschaften konnte, stehen immer die besten Häuser (lacht).

Birnen werden attraktiver

Ihr Vater Heinrich Quast hat 1993 den ersten Windpark Hamburgs auf seinem Land errichtet. Sie haben in einem Pilotprojekt Hühner zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Haben Sie aktuell ein neues Umweltprojekt am Laufen?

Ich versuche, die regenerative Landwirtschaft im Obstbau anzuwenden. Da geht’s darum, das Bodenleben zu füttern und nicht die Bäume zu ernähren. Es soll wenig Fäulnis stattfinden und die Mikroben im Boden die Nährstoffe für die Pflanzen verfügbar machen. Das geht mit dem Einsatz von vielfältigen Einsaaten, weil jede Pflanze ihr eigene Mikrobiom, also die Gesamtheit ihrer Mikroorganismen an der Wurzel mitbringt. Dann wird auch die Bodenchemie betrachtet: Was habe ich an Nährstoffen? Ich will das Verhältnis der Nährstoffe ins Gleichgewicht bringen. Damit alle optimal aufnehmbar sind von der Pflanze.

Wir haben den, wie ich ihn nenne „Coronavirus“ für den Apfelwickler. Den sprühen wir auf die Bäume.

Henning Quast

Bauen Sie noch anderes neben Äpfeln an?

Ich baue seit sechs Jahren Birnen an, will da noch mehr machen. Bei Birnen ist noch nicht so wichtig, wie sie aussehen. Da wird ein Makel akzeptiert, in der Sortierung wird weniger rausgeschmissen. Ich kann auch nicht so schöne Früchte gut verkaufen. Dann mag ich Birnen viel lieber als Äpfel (lacht). Der Preis ist attraktiv für mich. Man kriegt nicht so viel Kilo runter wie bei Äpfeln, aber man hat einen stabilen Preis, weil es in Deutschland viel zu wenig Birnen gibt. Das Bedürfnis nach Regionalität hat auch dazu beigetragen, dass sie attraktiver werden.

„Da habe ich den Schwefel mal weggelassen“

Bedeutet mehr Umweltschutz weniger Wirtschaftlichkeit?

Schwer zu beantworten. Ich habe kurz vor meiner Betriebsübernahme 2019 angefangen mit der regenerativen Landwirtschaft und andere Veränderungen durchgeführt. Wir sind seitdem deutlich ertragsstabiler und haben weniger Probleme mit Schädlingen. Sie sind alle da, aber sie kommen nicht so stark durch. Es ist nicht wissenschaftlich untersucht, aber es zeigt sich doch, dass hier einiges gut funktioniert.

Mit welchen Pflanzenschutzmitteln arbeiten Sie?

Wir haben gute Pflanzenschutzmittel wie die Verwirrmethode für den Apfelwickler, den sprichwörtlichen Wurm im Apfel. Wir hängen auf einem Hektar 750 kleine Plastikbändchen auf, die wir auch wieder einsammeln. Da ist der Lockstoff des Apfelwicklerweibchens drin. So. Jetzt riecht unser ganzer Hof für den Apfelwicklerherrn nach Apfelwicklerweibchen. Die finden sich nicht mehr und können sich nicht oder weniger fortpflanzen. Tolle Methode. Da tun wir nur dem Instinkt des Männchens weh. Dann haben wir den, wie ich ihn nenne „Coronavirus“ für den Apfelwickler. Den sprühen wir auf die Bäume. Das Zeug könnten wir bedenkenlos trinken, der Apfelwickler geht ein.

Es gibt aber auch Netzschwefel, ein ökologisches Mittel. Das sprühen wir auf die Bäume gegen den Apfelschorfpilz – unser Hauptschädling. Da sind diese schwarzen Punkte auf den Äpfeln. Der betrifft uns bei jedem Niederschlag. Das ist der Hauptgrund, warum wir mit der Spritze losmüssen. Eine unserer Apfelsorten, Natyra, kriegt durch die Schwefelbehandlung poröse Blätter. Wenn es hart auf hart kommt, fallen die sogar ab. Natyra ist gegen den Schorfpilz auch resistent. Da habe ich den Schwefel mal weggelassen. Die Bäume tragen jetzt fast das doppelte an Früchten bei besserer Größe. Da fragt man sich natürlich, ob das bei anderen Sorten auch ein Grund sein kann, dass wir als Biobauern weniger Äpfel pro Hektar produzieren können als unsere konventionellen Kollegen. Wir müssen das machen, um diese makellosen Äpfel zu bekommen.

Oder die Verbraucher sollen sich mal umstellen in ihrer Wahrnehmung.

Ja, das muss natürlich alles kommuniziert werden. Und da das zumeist über große Händler stattfindet, ist das irre schwierig. Ein Bauer auf dem Wochenmarkt kann seinen Kunden viel erklären. Der hat da auch immer viel Verständnis für. „Hier, Schorf, da muss gegen gespritzt werden. Kaufen Sie auch Äpfel mit einem kleinen Makel“.  Antworten die Kunden „Ja, klar“. Dann wühlen sie in der Kiste und suchen sich den schönsten raus (lacht).

„Ich würde gerne viel mehr machen“

Ist Bürokratie bei Ihnen ein Thema?

Ich verbringe sehr viel Zeit im Büro. Es ist anspruchsvoll geworden. Man muss seine Aufzeichnungen ordentlich machen. Was habe ich eingesetzt und so weiter. Dann sind die Beschränkungen enorm, wann ich was machen darf. Wenn ich mit Kompost arbeite, darf ich den nicht bei Frost streuen. Aber nur bei Frost habe ich Befahrbarkeit, um zu streuen. Dann kann ich meinen Kompost streuen, wenn es trocken ist. Aber wenn es trocken ist, habe ich schon minikleine Früchte am Baum. Sobald wir Früchte haben, dürfen wir auch keinen Kompost streuen, weil die dann mit irgendwelchen Bakterien infiziert werden könnten. Man hat manchmal einen trockenen März, wo man das noch machen kann, aber nicht oft. (lacht) So was macht einem das schwierig. Aber wir sind darauf ausgebildet, von da her ist das nicht das größte Problem. Was ich als Problem betrachte: Ich würde gerne viel mehr machen und mache das aus Bürokratiegründen nicht.

7.30 Uhr los und um 17 Uhr Feierabend, zwischendurch eine Stunde Mittag. Ich glaube, da kann kein anderer Bauer mithalten.

Henning Quast

Von welchen Projekten mussten Sie absehen?

Ich hätte das Hühnerprojekt zur Schädlingsbekämpfung gern weitergeführt, aber wenn einem ständig Veterinäramt und Co. auf den Füßen sitzt, macht das nicht so viel Spaß. Man denkt: Ich möchte das Beste für die Tiere und für den Hof, ich möchte etwas Gutes machen. Dann wird man behandelt, als hätte man einen 20.000-Tiere-Stall. Als ich meine Hühnerhaltung abgemeldet habe, haben die gesagt: Ach nee, die haben es doch so gut bei Ihnen (lacht). Ich würde gern noch viel mehr mit Tieren machen. Wir hatten früher Ziegen. Hatte meine Mutter damals Lust zu. Das wollte ich wieder machen, weil mir das als Kind so viel Freude bereitet hat. Ich habe bei einer Ökokontrolle erwähnt, dass ich mir gern paar Ziegen anschaffen würde. Die Kontrolleurin hat gesagt, ja, da müssen Sie das und das und das – da habe ich gesagt: Stopp! Es wird keine Ziegen geben.

Aktuell ist Ernte im Alten Land. Wie sieht Ihr Tag aus?

Bei uns sehr human. Ich glaube, da kann kein anderer Bauer mithalten. 7.30 Uhr los und um 17 Uhr Feierabend, zwischendurch eine Stunde Mittag. Auf vielen Betrieben wird zehn Stunden gearbeitet in der Ernte. Wenn man mal ein, zwei Personen mehr einstellt beim Äpfelpflücken, dann braucht man auch nicht so viel Stunden am Tag. Es ist für alle angenehmer. Wenn man guckt, was an Großkisten voll Äpfeln an einem 8,5-Stunden-Tag oder Zehn-Stunden Tag nach Hause gekommen ist, dann ist der Unterschied nicht so groß. Nach acht Stunden sind die Leute auch platt. Da braucht man nicht noch mit der Peitsche hinterstehen. Die Apfelpflücker sollen auch gerne wiederkommen wollen.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 10/2023 erschienen.

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