CSD: „Wer sich mit der Regenbogenfahne schmückt, geht eine Verpflichtung ein“

Seit seiner Gründung im Jahr 2003 setzt sich der Verein Hamburg Pride e. V. für die volle rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen ein. Dazu gehört auch die jährliche Ausrichtung der Pride Week, deren Höhepunkt, der Christopher Street Day (CSD), dieses Mal am 5. August 2023 stattfindet. Am 28. Juni ist der historische CSD, ein Gespräch mit den Co-Vorsitzenden des Hamburg Pride e. V.  Nicole Schaening und Christoph Kahrmann über das diesjährige CSD-Motto, Rainbow-Washing und die Forderungen des Vereins an die Politik
Auch Nicole Schaening und Christoph Kahrmann von Hamburg Pride laufen beim CSD vorne mit (©Manuel Opitz)
Auch Nicole Schaening und Christoph Kahrmann von Hamburg Pride laufen beim CSD vorne mit (©Manuel Opitz)

Der CSD ist und war immer eine Demonstration für die Rechte der LGBTIQ+-Community. Historisch geht er auf den Stonewall-Aufstand am 28. Juni 1969 in New York City zurück. In dieser Zeit wurden des Öfteren Razzien in Bars der Homosexuellen-Szene in New York durchgeführt. So auch in der Nacht zum 28. Juni im Stonewall Inn in der Christopher Street im Greenwich Village. Doch hier widersetzen sich die Homosexuellen erstmals einer Polizeirazzia – der Auftakt des Kampfes für die Rechte homosexueller Menschen.

Nicole Schaening, Christoph Kahrmann, mit rund 250.000 Teilnehmenden fand im vergangenen Jahr 2022 der größte CSD in Hamburg seit Beginn der Demonstrationen statt – geht da noch mehr? Wie viel Beteiligung erwartet ihr in diesem Jahr?

Nicole Schaening und Christoph Kahrmann: Wir rechnen wieder mit rund 250.000 Menschen auf den Straßen. Wer letztes Jahr dabei war, hat gesehen: Das sind verdammt viele Leute – und wir sind stolz, dass Hamburg an diesem Tag für die Rechte von LGBTIQ+ zusammenrückt!

Könnt ihr schon etwas zum diesjährigen CSD-Straßenfest-Programm verraten?

Das Programm ist noch nicht in trockenen Tüchern, ihr seid ein bisschen früh dran (lachen). Fest steht: Es wird wieder ein dreitägiges CSD-Straßenfest an der Binnenalster geben, natürlich mit Musik, politischen Redebeiträgen, guter Stimmung und einer Atmosphäre, die es bei keinem anderen CSD-Straßenfest in Deutschland gibt.

Das CSD-Motto in diesem Jahr lautet „Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Trans*feindlichkeit“ und stellt eine Gruppe der LGBTIQ+-Community bewusst in den Fokus – warum?

Wir möchten uns mit jener Gruppe der LGBTIQ+-Community solidarisieren, der in besonders erschreckendem Maße Vorurteile, Diskriminierung, Hass und Gewalt entgegenschlägt: nämlich trans* Personen. Wir möchten ein kraftvolles Zeichen für mehr Akzeptanz von trans* Menschen in der breiten Gesellschaft setzen und die Politik auffordern, endlich das Selbstbestimmungsgesetz, das eigentlich schon 2022 das menschenfeindliche, sogenannte Transsexuellengesetz ablösen sollte, zu verabschieden.

Die Teilnahme am CSD ist eine Verpflichtung für das ganze Jahr

Sind optimistisch: Die Hamburg Pride e. V. Co-Vorsitzenden Nicole Schaening und Christoph Kahrmann (©Paul Schimweg)
Sind optimistisch: Die Hamburg Pride e. V. Co-Vorsitzenden Nicole Schaening und Christoph Kahrmann (©Paul Schimweg)

In der Schweiz gibt es das „Swiss LGBTI-Siegel“ für Unternehmen und Organisationen. Main und Co-Partner vom Zurich Pride 2023 tragen dieses Siegel. Braucht auch Deutschland so ein Siegel, um dem Rainbow-Washing entgegenzuwirken? Und haltet ihr diese Idee praktikabel für den Hamburger CSD? 

Siegel können Orientierung geben, allerdings muss man sich immer fragen: Wer vergibt diese Zeichen? Welche Kriterien werden herangezogen? Können kleinere Unternehmen und Organisationen diese Kriterien überhaupt erfüllen? In Hamburg haben wir dieses Jahr zum ersten Mal einen verpflichtenden Selbstauskunftsbogen für Unternehmen und Parteien eingeführt. Wer einen Truck stellen möchte, muss darüber Auskunft geben, welche queerfreundlichen Maßnahmen bereits getroffen wurden, inwiefern die LGBTIQ+-Community außerhalb des CSD unterstützt wird und welche Maßnahmen dieses und kommendes Jahr geplant sind, um die eigene Betriebskultur in Bezug auf LGBTIQ+ zu fördern beziehungsweise um die Unterstützung queerer Menschen und ihrer Forderungen nach Gleichstellung und Akzeptanz in der Gesellschaft kenntlich zu machen.

Es ist höchste Zeit, dass die tatsächliche Vielfalt von Identitäten auch vom Staat akzeptiert wird

Nicole Schaening und Christoph Kahrmann

Ist Rainbow-Washing denn so schlimm? Oder ist es salopp gesagt „besser als nichts“?

Für uns ist klar: Die Regenbogenfahne darf nicht zu Imagezwecken missbraucht werden. Wir erwarten von allen Unternehmen, Parteien, Vereinen und sonstigen Einrichtungen, die am CSD teilnehmen, dass sie sich auch an den 364 anderen Tagen im Jahr für die LGBTIQ+-Community einsetzen und hinterfragen, wie sie intern und extern die Akzeptanz von queeren Menschen fördern und Vorurteile abbauen können. Wer sich mit der Regenbogenfahne schmückt, geht eine Verpflichtung ein.

Was plant der Verein Hamburg Pride in diesem Jahr für weitere Aktionen im Rahmen der Pride Week, aber auch darüber hinaus?

Wir eröffnen die Pride Week traditionell mit der Pride Night, und zwar am 29. Juli. Anschließend wird es wieder zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Lesungen und Workshops im Pride House auf St. Georg geben. Auch der Regenbogentag auf dem Sommerdom, auf dem wir mit einer großen Parade über das Gelände ziehen, soll wie gehabt stattfinden. Höhepunkt der Pride Week ist dann die große CSD-Demo am 5. August.

LGBTIQ+-Themen in den Schulen

Bei der CSD-Demo 2022 gingen rund 250.000 Menschen in Hamburg auf die Straße (©Martin Stiewe)
Bei der CSD-Demo 2022 gingen rund 250.000 Menschen in Hamburg auf die Straße (©Martin Stiewe)

Sabine Mertens, die Initiatorin der Hamburger Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“, hat im Februar 2023 mit queerfeindlichen Äußerungen in der Öffentlichkeit von sich reden gemacht. Was erwartet ihr von Politik und Stadt als angemessene Reaktion darauf?

Wir erwarten eine Distanzierung und vor allem eine Klarstellung: Gendern macht niemanden schwul, lesbisch oder trans* und das sollten die Politiker:innen dieser Stadt auch klar kommunizieren – und damit meinen wir von allen Parteien. 

Wir sind stolz, dass Hamburg an diesem Tag für die Rechte von LGBTIQ+ zusammenrückt!

Nicole Schaening und Christoph Kahrmann

Wie steht die Stadt Hamburg abgesehen davon in Sachen Diversity da? Was hat sich im letzten Jahr getan?

Der CSD fand letztes Jahr unter dem Motto „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt“ statt und hat dazu beigetragen, dass das Thema „Gewalt gegen queere Menschen“ in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist. Gleichzeitig hat die Politik Prozesse angestoßen, um Opfer von Gewalttaten dazu zu motivieren, Straftaten tatsächlich bei der Polizei anzuzeigen. Außerdem sind die LGBTIQ+-Ansprechpersonen der Polizei heute innerhalb der Community viel bekannter als noch vor einem Jahr. Das macht uns optimistisch, was die künftige Entwicklung angeht, obwohl wir natürlich die Unterstützung der gesamten Zivilgesellschaft brauchen, um Gewalt zu verhindern. Luft nach oben sehen wir vor allem im Bereich der Schule und Bildungspläne. Hier geht es darum, wie queere Themen Einzug in die Klassenräume erhalten und, wie Lehrer:innen befähigt werden können, LGBTIQ+-Themen kompetent umzusetzen, um queerfeindlichem Verhalten entgegenzuwirken.

„Es geht hier um Grund- und Menschenrechte“

CSD-Motto 2022: „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt“ (©Sabine Hansen)
CSD-Motto 2022: „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt“ (©Sabine Hansen)

Die 2022 gegründete Hamburger Initiative „Welcoming Out“ will queere Menschen beim Coming-out unterstützen – ein gelungenes Beispiel mit Vorbildcharakter?

Absolut! Wir unterstützen die Initiative „Welcoming Out“ von Anfang an als sogenannter Patron. Wir finden die Idee klasse und wichtig, dass Unternehmen und Organisationen ein Umfeld schaffen möchten, in dem queere Mitarbeitende angstfrei ihr Coming-out haben können. Deshalb hoffen wir, dass sich noch viele weitere Unternehmen und Organisationen „Welcoming Out“ anschließen.

Welche Gesetzesreformen muss die Ampel-Koalition eurer Meinung nach in diesem Jahr unbedingt angehen, um Bewusstsein und Akzeptanz für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Gesellschaft (weiter) zu fördern?

Dringend realisiert werden muss das Selbstbestimmungsgesetz, auf das trans* Menschen seit vielen Jahren warten. Um den Geschlechtseintrag im Personenstand zu ändern, müssen trans* Menschen ein langwieriges und entwürdigendes Verfahren überstehen. Es ist höchste Zeit, dass die tatsächliche Vielfalt von Identitäten auch vom Staat akzeptiert wird, anstatt trans- und intergeschlechtliche Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und sie daran zu hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Es geht hier um Grund- und Menschenrechte! Sehr wichtig ist uns außerdem die Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz um die Merkmale „sexuelle und geschlechtliche Identität“ (Anmerkung der Redaktion: Artikel 3 Absatz 3 GG lautet derzeit: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“). Nur dadurch kann eine volle rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen erreicht werden.

Die nächste Pride Week findet vom 29. Juli bis 6. August 2023 statt, das CSD-Straßenfest an der Binnenalster ist vom 4. bis 6. August geplant. 

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG „Divers(c)ity“ 2023 erschienen.

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