Man wolle ein Festival Line-up, „zu dem in Zukunft auch Rock- und Pop-Acts gehören können“, hieß es nach dem Elbjazz 2023. Und was versprochen wurde, hielten die Organisatoren beim Elbjazz 2024 auch ein: Ein Line-up mit den Headlinern Jungle, The Streets, Faithless und BadBadNotGood. Das hat nur noch wenig mit dem Jazz in Elbjazz zu tun, ist aber gut für die musikalische Vielfalt und die Strahlkraft des Festivals.
Für die Veranstalter hat es sich ausgezahlt und die großen Namen lockten 2024 22.500 Menschen, 2500 mehr als im vergangenen Jahr, auf das Festival. Das Publikum schien insgesamt jünger und verspricht eine Zukunft für das einstige Jazzfestival. Doch die alteingesessenen Elbjazz-Fans wird man mit der neuen Ausrichtung langfristig vermeintlich verlieren. „Das ist Musik, die kann ich mir in der Disko anhöre. Wenn das so weitergeht, dann überlege ich mir, ob ich im nächsten Jahr noch mal ein Ticket kaufe“, sagte einer, der das Festival seit Jahren besucht. In der Schiffbauhalle sitzend, beschwerte er sich über das Konzert der französischen Electrofunk-Band von L’Impératrice. Doch mit dieser Meinung stand er ziemlich allein.
Mehr MS Dockville als Elbjazz?
Denn das Elbjazz ist kein Festival mehr für Jazzfans. Es richtet sich bewusst an ein breiteres und vor allem jüngeres Publikum. Acts wie Betterov, die erwähnten L’Impératrice und die Hamburgerin Ilgen-Nur haben auch schon beim MS Dockville funktioniert und standen 2024 im Line-up des Elbjazz. Dazu gab es Streets-Mastermind Mike Skinner, der während seines Konzerts immer wieder den Kontakt zur Menge suchte, dazu von der Bühne stieg und Gefallen am Crowdsurfen fand – ein seltener Anblick beim Elbjazz. Dazu kehrten Faithless nach dem Tod von Maxi Jazz beim Elbjazz 2024 zurück auf die Live-Bühne. Bei „Insomnia“ und „God Is a DJ“ kam die Stimme des 2022 verstorbenen Sängers vom Band und sein Antlitz war in Visuals auf der LED-Leinwand präsent. „Ich wünschte, Maxi könnte das sehen“, sagte Bandkollegin Sister Bliss – einer der emotionalsten Momente des Elbjazz 2024.
Auch wenn das Festival in diesem Jahr nicht ausverkauft war, was in Zeiten des Wandels und der Neuausrichtung auch nicht zu erwarten war, macht es sich mit der diesjährigen Ausgabe einen Namen bei einem solventen und jungen Publikum, das eher vom Algorithmus als vom Plattenladenbesitzer seine Musikempfehlungen bekommt.
Für diesen Wandel stehen dabei aber auch Acts, die genau in dem Zwischenraum der Genres existieren. Beispielhaft dafür ist der Künstler Asaf Avidan. Der 44-jährige Israeli steht beim Elbjazz 2024 allein auf der großen Bühne. Nur er, ein Flügel, eine Lampe, eine Chaiselongue, vier Gitarren und ein Synthesizer. Als es zu Beginn des Konzertes zu regnen beginnt, Avidan am Klavier sitzt und seine hohe Stimme über das Blohm+Voss-Gelände schallt, hat der Moment etwas Trauriges. Es wirkt wie ein Abschied vom alten Elbjazz. Avidan spielt großartig, der musikalische Tausendsassa steigert sich bis zu seinem „Reckoning Song“ und wird am Ende völlig zu Recht umjubelt verabschiedet.
Das Elbjazz 2024 versteckt seine Perlen
Der Abschied vom alten Elbjazz ist leise. Denn Jazz gibt es zwar vereinzelt noch, er wird aber an den Rand gedrängt. So spielte das Pablo Held Trio, sicherlich auch passend, in der St. Katharinen Kirche. Doch eine Stimme wie die von Nnavy hätte statt in die Kirche auch sehr gut auf die Bühne am Helgen gepasst. Und die Energie einer Judith Hill hätte, statt einer wenig Neues zeigenden NDR Big Band, auch auf der Hauptbühne platziert werden können. Doch statt diese vermeidlichen Entdeckungen prominenter zu präsentieren, konkurrierten sie im Timetable mit St. Paul and The Broken Bones (überzeugend) und The Streets (mitreißend).
Waren Neuentdeckungen bis dato eine Stärke des Elbjazz – 2022 begeisterte der bis dahin wenig bekannte Matthew Whitaker das Publikum und 2023 riss Derya Yıldırım mit der Grup Şimşek die Zuschauenden in ihren Bann –, verschwanden die Perlen 2024 hinter den großen Namen.
Doch es gab sie trotzdem. So lud sich das Festival eine Band ein, die wie wohl kaum eine zweite zur musikalischen Vielfalt des Elbjazz passt. Die sieben Österreicher von Shake Stew bekamen den Slot am Freitagabend, parallel zu The Jungle. Ihr musikalisches Programm habe „ziemlich unterschiedliche Facetten“, sagt Bandleader Lukas Kranzelbinder im Gespräch mit SZENE HAMBURG. Schließlich spielte die Band schon in der Elbphilharmonie, brachte das Knust zum Tanzen und war im Rolf Liebermann Studio des NDR zu Gast.
Kranzelbinder beschreibt die Musik der 2016 im Rahmen des Jazzfestival Saalfelden gegründeten Band als „sehr Melodie-bezogen. Wir können die Setlist so gestalten, dass wir ein Zwei-Stunden-Tanzparty-Konzert spielen, aber auch so, dass wir in der Elbphilharmonie ein zwei Stunden total intimes Sitzkonzert geben.“ Damit passen Shake Stew genau in den Wandel, den das Elbjazz gerade vollzieht. Denn mit ihrer Musik haben sie das Potenzial auch größere Massen zu begeistern, wie es 2023 der Headliner Meute geschafft hat. Sie prominenter zu platzieren, hätte die Veränderung für alte Jazzfans vielleicht weniger schmerzhaft gemacht, zeigt aber den Wunsch des Festivals, die Masse mehr zufriedenzustellen, als sie zu überraschen.
Hamburg deckt von Hochkulturhäusern bis zu Clubs sehr viel ab.
Lukas Kranzelbinder
Braucht der Hamburger Jazz das Elbjazz noch?
Zwar bietet das Elbjazz mit der HfMT Young Talents Bühne, dem Jazz Truck vom Jazz Büro und der Haspa Musik Stiftung dem lokalen Jazz eine Bühne und präsentiert alle zwei Jahre den Hamburger Jazzpreis. Doch braucht die Jazzszene der Stadt das Festival noch? Lukas Kranzelbinder glaubt, „dass jedes Festival, das es gibt, etwas Positives ist“. Dabei ist für ihn das „Elbjazz einer der Aspekte von Hamburg“, es sei aber „wichtig, dass es nicht der einzige ist“. Kranzelbinder vergleicht die Stadt an der Elbe mit der Kulturmetropole Wien: „Hamburg ist von den Konzertorten her sehr vielseitig. Wie Wien deckt die Stadt von Hochkulturhäusern bis zu Clubs sehr viel ab.“
Vielleicht sollte man gerade vor diesem Hintergrund den Wandel des Elbjazz akzeptieren, denn die populärere Ausrichtung verspricht mehr kommerziellen Erfolg. Und die Jazzszene? Sie sollte sich vielleicht ein Beispiel an Köln und Berlin nehmen, die mit ihren Jazzfestivals Erfolge feiern. Und wenn man an Orte wie den Brückenstern, die Halle424, das Birdland und die JazzHall denkt, ist das Potenzial für Hamburg allemal gegeben.
Bearbeitet von: Sirany Schümann.