Fettes Brot: Erfolgreich mit Haltung

Jetzt ist Fettes Brot Geschichte. Am 2. September 2023 spielte eine der erfolgreichsten deutschsprachigen HipHop-Bands ihr letztes Konzert. Wir blicken zurück auf 30 Jahre Fettes Brot
Bald History: Fettes Brot ©Jens Herrndorff

Was haben Sie heute vor 30 Jahren gemacht? Im Fall des Autors ist es unklar, er brabbelte wahrscheinlich irgendwo als Vierjähriger durch die Gegend. Ganz anders war das bei Martin Vandreier, Boris Lauterbach und Björn Warns, besser bekannt als Dokter Renz, König Boris und Björn Beton (vormals Schiffmeister). Sie haben sich vor 30 Jahren zu dem zusammengeschlossen, was heute eine der erfolgreichsten HipHop-Bands Deutschlands ist: Fettes Brot.

Die Anfänge

Das Plakat zum „Endzeit ’93“-Konzert am 21. August 1993 (©Archiv Fettes Brot Schallplatten)
Das Plakat zum „Endzeit ’93“-Konzert am 21. August 1993 (©Archiv Fettes Brot Schallplatten)

Doch die Geschichte von Fettes Brot beginnt nicht mit der Ursprungsformation. Schon zuvor war Dokter Renz mit Tobias Schmidt alias Tobi Tobsen (heute ein Teil von Moonbootica) in Halstenbek bei Hamburg als „Poets Of Peeze“ unterwegs. Sie rappen in englischer Sprache, ganz anders als die Fantastischen Vier, die gerade mit ihrem Deutschrap („Die da!?!“) auf Platz zwei der Charts liegen. Mit der Zeit kommen Boris und Björn dazu, „Poets Of Peeze“ löste sich auf und Fettes Brot wurde geboren.

Die ersten Songs der Band gibt es 1993 auf dem Sampler „Endzeit 93“ zu hören. Kurze Zeit später lernen die drei Jens Herrndorf kennen, der bis heute ihr Manager und Geschäftsführer ihres Labels, der „Fettes Brot Schallplatten GmbH“, ist. Er bringt sie mit André Luth zusammen. Gemeinsam mit Luth produzieren Fettes Brot 1994 ihre erste EP „Mitschnacker“ und veröffentlichen sie bei Luths Label „Yo Mama“. Noch im gleichen Jahr folgt mit „Definition Von Fett“ die zweite EP.

Kurz vor der Veröffentlichung von „Mitschnacker“ tauchen sie auch erstmals bei SZENE HAMBURG auf. Unter der Überschrift „Der wahre Untergrund“ sagen sie im April 1994, dass sie „Erwachsen werden, auf vielen Jams auftreten und sich auf keinen Fall von der Szene entfernen“ wollen.

Fettes Brot (l.) in der SZENE HAMBURG im April 1994 (©Archiv SZENE HAMBURG)
Fettes Brot (l.) in der SZENE HAMBURG im April 1994 (©Archiv SZENE HAMBURG)

Nordisch by Nature & Jein

Schnell hat sich Fettes Brot in der norddeutschen HipHop-Szene einen Namen gemacht, doch wirklich kommerziell erfolgreich sind sie noch nicht. Das ändert sich ein Jahr später mit ihrem Album „Auf einem Auge blöd“, das auch zum Großteil von André Luth produziert wurde. Der Track, der für den Erfolg sorgt, ist auch gleichzeitig die Single zum Album: „Nordisch by Nature“ – inspiriert von HipHop-Klassikern wie „Rapper’s Delight“ – schafft es auf Platz 17 der Charts und das Album auf Platz 29.

Dieser Chart-Erfolg wird in der damaligen HipHop-Szene kritisch beäugt und Fettes Brot wollen auch nicht als „Plattdeutsch-Rappende Witzfiguren mit Diskomusik“ abgestempelt werden, wie es König Boris in einem Interview mit SRW 3 formuliert. Deswegen nimmt die Band die Single kurzerhand vom Markt und veröffentlicht in den Zeitschriften „Musikmarkt“ und „Musikwoche“ eine Todesanzeige mit den Worten: „,Nordisch by Nature‘ muss sterben, damit Fettes Brot leben kann“, um „den Siegeszug in den deutschen Single-Charts zu stoppen“.

Ein Jahr später – nur unterbrochen von ihrem Release von Songs zur eigenen Fanzeitschrift „Forellentee – das gewollte Magazin“ – legt die Band mit „Außen Top Hits, innen Geschmack“ ihr zweites Album vor. Darauf ist mit „Jein“ eine noch erfolgreichere Single und Fettes Brot sind endgültig angekommen. „,Jein‘ hat uns davor bewahrt, dass wir ein One-Hit-Wonder werden könnten“, sagt Dokter Renz im Gespräch mit SWR 3.

Die Jahrtausendwende: Es wird ruhiger

Fettes Brot 1996: Dokter Renz, König Boris und Schiffmeister (von links) (©Christian Roth/Fettes Brot Schallplatten)
Fettes Brot 1996: Dokter Renz, König Boris und Schiffmeister (von links) (©Christian Roth/Fettes Brot Schallplatten)

Ende der 1990er-Jahre produzieren Fettes Brot auf der Kompilation „Alles für die Cuts“ und dem Album „Fettes Brot lässt grüßen“ (1998, Platz 9 in den Charts) – mit der Single-Auskopplung „Viele Wege führen nach Rom“ – keinen großen Hit mehr. Und trotzdem bezeichnet Michael Hess Fettes Brot in der SZENE HAMBURG als „Nachsitzer der Saison“ und man solle die Band „darum, aber nicht nur deshalb vor Fischmob und Fünf Sterne Deluxe einordnen“.

Kurz nach dem Album beginnt die Band damit, sich auch anderen Projekten zu widmen. So sind sie Teil der „Die drei ???“-Hörspiele und leihen den Folgen „Stimmen aus dem Nichts“ und „Im Bann des Voodoo“ ihre Stimmen. Außerdem nehmen sie mit dem Meister des Big-Band-Sound James Last den Song „Ruf mich an“ auf. Ansonsten wird es ruhiger um Boris, Björn und Dokter Renz. Fettes Brot veröffentlichten in dieser Zeit lediglich mit „Fettes Brot für die Welt“ eine Kompilation mit der Single-Auskopplung „Da draußen“.

Anfang der 2000er: Fettes Brot zeigen Haltung

Im Jahr 2000 ist „Anton aus Tirol“ das erfolgreichste Lied in den deutschen Charts und der HipHop ist hierzulande nicht von viel Haltung, sondern eher von zum Teil homophoben Texten geprägt. Zu dieser Zeit arbeiten Fettes Brot an ihrem dritten eigenen Album und präsentieren im August die erste Single. „Schwule Mädchen“ ist ein Song, mit dem die Band klar die eigene Haltung deutlich macht. „Wir haben durchaus politische Elemente in unseren Texten, aber vielleicht subtiler wie bei anderen Leuten, eher durch eine bestimmte Haltung, die wir in einem Song vermitteln, ohne konkret anzusprechen, was wir wollen“, sagen Fettes Brot und veröffentlichen auf dem gleichen Album mit „Motherfucker“ eine „gekonnte Satire, die nicht ohne Trauer auf den Zustand von HipHop in Deutschland anspielt“, wie es Joachim Gauger von laut.de formuliert.

2002 folgt mit „Amnesie“ die erste quasi Greatest-Hits-Platte der Band, auf der sie sich mit dem Untertitel „Gegen das Vergessen“ und der Single „Welthit“ ironisch mit dem Musikbusiness auseinandersetzen („Vorbei ist die Goldgräberstimmung in der Musikindustrie / Und nun heult jeder rum, es ginge so mies wie noch nie“).

Ein jahr später folgt die Kollaboration mit Bela B von Die Ärzte für den Song „Tanzverbot (Schill to Hell)“. Der Song richtet dabei sich klar gegen den damaligen Hamburger Innensenator Ronald Schill von der rechtskonservativen Partei Rechtsstaatlicher Offensive.

Nummer 1 (in Österreich) und das eigene Label

Fettes Brot auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2005 (©Joanna Berendsohn/Fettes Brot Schallplatten)
Fettes Brot auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2005 (©Joanna Berendsohn/Fettes Brot Schallplatten)

2004 ist es dann wieder ruhiger bei Fettes Brot, doch nur im Vordergrund. Denn die Band ist nicht untätig. Im Hintergrund gründen sie im Juni 2004 ihr eigenes Label, die „Fettes Brot Schallplatten GmbH“. Und das ist der Auftakt zur kommerziell wohl erfolgreichsten Zeit der drei. Im Februar 2005 feiern sie mit ihrem Auftritt beim „Bundesvision Song Contest“ ein scheinbares Comeback und der Song des Abends ist bis heute kommerziell der bisher erfolgreichste der Band. Mit „Emanuela“ klettern Fettes Brot auf Platz drei der deutschen Charts und in Österreich sogar auf Platz eins. Das dazugehörige Album „Am Wasser gebaut“ ist nicht nur das erste auf dem eigenen Label erschienene, sondern auch das bis dato kommerziell erfolgreichste.

Auch auf „Am Wasser gebaut“ bleiben Fettes Brot dem Zeigen der eigenen Haltung treu. So thematisiert beispielsweise der Song „An Tagen wie diesen“ den medialen Umgang mit Gewalt (An so ’nem normalen Samstag / Passiert auf bestialische Art ein ganz brutaler Anschlag / Bei dem sechs Leute starben, die Verletzten schreien Namen / Diese entsetzlichen Taten lassen mich jetzt nicht mehr schlafen / Und ich seh’s noch genau, das Bild im TV). Mit dem Erfolg kommen auch die Auszeichnungen: Fettes Brot gewinnen 2005 zum zweiten Mal die 1LIVE Krone und räumen beim Comet sogar doppelt ab. Das Jahr gipfelt für die Band in ihrem bisher größten Konzert. Der Abend vor mehr als 10.000 Menschen in der Color Line Arena (heute Barclays Arena) wird zudem live beim Musiksender MTV übertragen.

Die erste offizielle Pause

Es folgen 2008 mit dem Album „Strom und Drang“ – mit Singles wie „Bettina, zieh dir bitte etwas an“ und „Erdbeben“ – und 2010 den Live-Alben „Fettes“ und „Brot“ drei weitere kommerziell erfolgreiche Alben. Doch 2010 ist erst mal Pause. Fettes Brot wollen sich auf eigene Projekte konzentrieren. „Wir haben nie gesagt, dass wir uns als Band auflösen, sondern auf unbestimmte Zeit nicht zusammen auftreten und keine Platte machen werden“, sagt König Boris im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Eben jener Boris ist dann für kurze Zeit mit seinem Projekt „Boris tanzt“ unterwegs, während Björn beispielsweise als DJ arbeitet.

Das (zweite) Comeback

Fettes Brot nach ihrem ersten offiziellen Comeback im Jahr 2013: Björn Beton, Dokter Renz und König Boris (von links) (©Jens Herrndorff/Fettes Brot Schallplatten)
Fettes Brot nach ihrem ersten offiziellen Comeback im Jahr 2013: Björn Beton, Dokter Renz und König Boris (von links) (©Jens Herrndorff/Fettes Brot Schallplatten)

Nachdem ihr Comeback 2008 kein offizielles war, sind Fettes Brot als „Schwule Mädchen Soundsystem“ und damit auch als Support für „Boris tanzt“ Ende 2012 zurück. 2013 folgen dann Auftritte bei Rock am Ring und Rock im Park und am 1. November 2013 erscheint das mittlerweile siebte Studioalbum der Band: „3 is ne Party“. Das basslastige Album macht seinem Namen alle Ehre als „potenziellen Party-Dauerbrenner“, wie es David Maurer von laut.de bezeichnet.

Zwei Jahre später folgt mit „Teenager vom Mars“ das nächste Album, welches von der Kritik zum Teil als „Schaffenstiefpunkt“ der Band bezeichnet wird. Und 2017 veröffentlichen sie mit „Gebäck in the Days“ ihr drittes Live-Album und 2019 erscheint „Lovestory“, auf dem, mit „Du driftest nach rechts“ wieder die politische Seite von Fettes Brot zu hören ist. Trotz der erneut sichtbaren Haltung auf „Lovestory“ ist die band mit allen drei Alben kommerziell nicht mehr so erfolgreich wie in der Zeit vor ihrer Pause.

Doch auch ohne maximalen Erfolg machen Fettes Brot von sich Reden. Sie setzen sich aktiv für den Erhalt des „Bernie 117“ in der Hamburger Bernstorffstraße ein, wo sie auch ein Tonstudio betreiben. Warum? Darüber haben sie damals auch mit SZENE HAMBURG gesprochen. Bald darauf soll es auch wieder auf Tour gehen, doch dann kommt Corona.

Das (letzte) Comeback: Brote weinen nicht

Die Band plant für 2020/21 eine ausgedehnte Tour, doch wie überall müssen die Termine verlegt werden und es wird wieder einmal stiller um Boris, Björn und Dokter Renz. Sie widmen sich erneut eigenen Projekten. So geht beispielsweise Björn Warns (aka Björn Beton) seiner zweiten Leidenschaft, dem Film nach: 2021 erscheint sein erster Kurzfilm „Cold Solutions“ und 2022 mit „Akteneinsicht“ sein zweiter.

Die ersten Hinweise auf ein Comeback der Band gibt es im August 2022 via Instagram. Es gibt Bilder aus dem Studio: „Es stimmt also… nach fast 3 Jahren Keuschheit wird’s spontan wieder dreckig“, schreibt Björn Beton auf Instagram. Und wie spontan es werden sollte … Nur vier Tage später spielen Fettes Brot ein fünfstündiges Überraschungskonzert, umsonst und draußen, an drei Locations im Hamburger Hafen.

Doch wiederum fünf Tage später der Knall: Fettes Brot lösen sich auf: Am 31. August 2022 verkündet die Band das Ende von Fettes Brot. Zum Abschluss geht es aber 2023 noch einmal auf große Abschiedstournee. Vom 5. April bis 2. September gibt es Konzerte in Deutschland, Österreich und der Schweiz und das große Finale mit zwei Abenden auf der Hamburger Trabrennbahn. Damit endet die Geschichte von Fettes Brot etwas mehr als 30 Jahre nach dem ersten Auftritt der Band, am 20. März 1993 in Elmshorn im Haus der Jugend am Krückaupark.

Mit „Hitstory“ ist zur Abschiedstour auch das letzte Best of-Album von Fettes Brot bei der „Fettes Brot Schallplatten GmbH“ erschienen.

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