SZENE HAMBURG: Nicolaas Schmidt, Gratulation zum Deutschen Kurzfilmpreis. Der dritte Hauptdarsteller von „First Time“ ist die U3. Warum?
Nicolaas Schmidt: Ich hatte damals viel Zeit im Haus verbracht. Abends, wenn die Sonne mein Fenster erreichte, kam so ein Drang: Ich muss noch raus! Die letzten Sonnenstrahlen! Wo ich wohnte, gab es außer dem Parkdeck der „Hamburger Meile“ keine größere Freifläche, wo so spät noch wärmende Strahlen den Boden erreichten. Da blieb nur die U3. Die fährt oft hoch und im Kreis. Man hat immer irgendwo einen Moment, in dem die Sonne auch zum Sunset ins Gesicht strahlt. Der Ausgangspunkt zum Film war, die Goldene Stunde zu dokumentieren. Auf diesen Rundfahrten kam mir die Idee zu der Geschichte, die entsteht, indem man – hoffentlich – das präsente Hafenpanorama wiedererkennt, das die Protagonisten zweimal durchfahren. Der Zuschauer bemerkt die Kreisfahrt, die keinen Sinn ergibt, wenn man sich fortbewegen will. Mindestens einer von beiden will nicht aussteigen– warum?
Bei aller Kürze hat der Film etwas Meditatives.
Das liegt wohl an der Redundanz des Musiksamples im ersten Track. Durch Wiederholungen, Loops hatte ich bereits in früheren Kurzfilm-Experimenten eine Inhaltslosigkeit hinbekommen, die Abdriften oder Meditieren ermöglicht, aber zunächst den Zuschauenden fordert – man muss sich darauf einlassen können. Ein guter Slowloop schafft das. Dieser Spagat ist das Interessante für mich am Kurzfilm. Narrative Sachen finde schwierig im klassischen Kurzfilm bis 15 Minuten Dauer, da bleibt kaum Zeit, Inhaltslosigkeiten oder Banalitäten einzusetzen. „First Time“ geht über 49 Minuten. Da konnte ich ein wenig narrativ arbeiten und dennoch mit diesen Mittel spielen.
„Mich interessieren Sachen, die man nicht einordnen kann“
Das Intro mit dem Coke-Clip aus den Achtzigern, der mit Robin Becks „First Time“ die Jugend feiert, fand ich etwas lang.
Ich wollte neben einem Werbeclip als Vorfilm, dass man schon eine erste Hürde nimmt für das, was danach kommt. Mit der Musik und der ultrakitschigen Werbeästhetik funktioniert das super. Die Bilder ähneln sich alle auch so schön. Wenn man es schafft, die Werbung durchzugucken, schafft man auch den Film. Und es gibt diesen krassen Kontrast – Coke Commercial vs. the real thing.
Deine Filme wie das bereits 2017 erschienene Sequel von „First Time“, „Final Stage“, spielen oft in Übergangssituationen: in der S-Bahn, am Bahnhof, auf den Korridoren einer Mall. Oder auch im Herbst, nach Trennungen oder in der Pubertät.
Mich interessieren vor allem Graubereiche, Ambivalenz, die man nicht so einfach einordnen kann. Deshalb auch keine Junge-Mädchen-Konstellation. Wenn es Zuschauende schaffen, sich darauf einzulassen, finde ich es richtig, auch ein Angebot zu machen, ins Grübeln kommen – rein optional. Filme können super inspirierend sein. Ich denke, das ist etwas Schönes. Doch mittlerweile gibt’s ja kaum noch Momente, wo man die Muße und die Zeit dafür hat. Kino hat da mega Potenzial. Dochbei vielen Filmen muss man 100 Prozent dabei sein, um den Handlungsstrang oder etliche davon zu kapieren. Oder es gibt so viel Action, dass man gar nicht abtauchen kann. Dann ist der Film vorbei, und zack, ist man wieder im echten Leben. Was bleibt da hängen?
Eine Liebesgeschichte? Villeicht
Bei „First Time“ bleibt die Frage hängen, ob es eine Liebesgeschichte ist. Vielleicht.
Deshalb möchte ich diese Frage besser nicht beantworten. Ja, vielleicht ist das nur eine weitere Liebesgeschichte.
Oder einfach eine konzeptionelle Videoarbeit oder ein Experimentalfilm? Tragödie? Oder gar Komödie? Mir wurde schon gesagt, dass es komische Momente gibt. Oder Kapitalismuskritik? Im Abteil hängt ein ein Poster von „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“, einer Platte von „Ja Panik“.
Dieses Plakat ist das Filmposter eines früheren Kurzfilms meines guten Freundes Ray Juster und mir. Wir haben echte Werbung damit überklebt. Bei der Montage des Films fanden meine Dramaturgin Anne Döring und ich den Spruch schwierig, weil zu eindeutig.
Der Film scheint ohne Schnitt durchgefilmt zu sein.
Nicht jede U3 fährt unterbrechungsfrei im Kreis. Manchmal muss man in Barmbek umsteigen. Ich hatte mir daher eine Schnittmöglichkeit offen gehalten. Wir sind aber durchgefahren im Kreis.
Freiraum für Zufälle
Waren die anderen Fahrgäste auch Schauspieler?
Es gibt die beiden Schauspieler und etliche Statisten. Die haben wir auch gebraucht, um das Wagenabteil abzublocken vor den echten Passanten. Das war auch das Spannende, zu probieren: Klappt es oder kommen Leute rein. Da entstehen echte Momente, die hätte man sich nicht besser ausdenken können. Das finde ich interessant: Was passiert, mit dem entsprechenden Risiko. Die erste der drei Fahrten war zur Probe. Die zweite war gut, aber es war etwas zu früh. Da wollte die Sonne noch nicht so (lacht). Die dritte Fahrt hat geklappt, mit sehr viel Glück natürlich. Aber wenn alles exakt vorbereitet, alle möglichen Problemstellen gecheckt sind und das meiste feststeht, kann man so ein Risiko eingehen. Wir wussten genau, welches Abteil wir benutzen, wo die Bahn hält, wie viel Zeit zwischen den Stationen ist, wann was passiert – da kann man auch Freiraum für Zufälle lassen.
Was gab es für Zufälle?
In der U-Bahn-Station St. Pauli hält der Zug vor einem Kiosk. Der füllt exakt das Fenster aus. Der genaue Standpunkt des Abteils beim Halten war in der Dopplung dann wohl Glück. Das Interessante ist auch der dokumentarische Aspekt: Diesen Kiosk gibt’s mittlerweile nicht mehr. Die Werbeposter auf den Bahnsteigen sind natürlich auch Zeitdokumente. In einem anderen Moment steht ein Passant ziemlich im Hintergrund am Gleis. Wie künstlich platziert und sehr einsam dabei. Wäre das inszeniert, hätte man es eventuell platt gefunden. Ebenfalls ganz toll: In der Station Hamburger Straße ist eine Bank zentriert im Fenster-Bild, auf der zwei erwachsene Männer nebeneinandersitzen – wunderbar korrespondierend zu den beiden Jungs in der Bahn. Aber: nicht geplant. Da gab es viele Sachen.
Zu sehen – hoffentlich bald
Auch die Musik spielt eine wichtige Rolle.
Ja, den ersten Instrumental-Track „Delta Roth“ in einem Album meines früheren HFBK-Kommilitonen Iason Joumkos zu entdecken, war wichtig für den Film. Er hat den Song dafür noch verlängert und für den zweiten Teil des Films darauf einen weiteren Track „Omega Roth“ komponiert.
Aktuell stehen in Hamburg keine Festivals an, auf denen „First Time“ gezeigt werden könnte. Kann man ihn wenigstens schon im Netz sehen?
Leider nein. Es geht darum, den Film komplett unterbrechungsfrei schauen zu können, nicht aufzugeben und bestenfalls abzutauchen. Ich möchte möglichst vielen Menschen die Chance dazu geben. Wie gesagt, man muss sich erst mal darauf einlassen und dazu braucht es Kino – den Raum, die anderen Zuschauer, die Dunkelheit, die Soundanlage. Ich hoffe sehr, es wird sich hier ein Festival in 2022 finden, denn wegen Corona gab es nicht mal eine kleine Teampremiere in Hamburg.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Januar 2022. Das Magazin ist seit dem 22. Dezember 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!