Hourvash Pourkian: „Wir müssen das Potenzial der Frauen nutzen“

Hamburgerin des Monats Hourvash Pourkian kämpft seit 25 Jahren für Freiheitsrechte, Chancengleichheit und interkulturellen Austausch. Ihr vielfach ausgezeichneter Verein „Kulturbrücke Hamburg e. V.“  feierte im November 20-jähriges Jubiläum. Die Frauenrechtsaktivistin erhielt vom Bundespräsidenten den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland
„Wenn wir Frauen an einem Strang ziehen, könnten wir viel mehr erreichen“: Hourvash Pourkian (©Markus Gölzer)

SZENE HAMBURG: Frau Pourkian, Gratulation zu Jubiläum und Verdienstorden. Warum braucht die Gesellschaft private Initiativen wie „Kulturbrücke Hamburg e. V.“?

Hourvash Pourkian: NGOs sind sehr wichtig. Alle denken, wir müssten in die Politik gehen, um uns für Politik oder Gesetze einzusetzen, aber NGOs haben genauso Macht und Einfluss. Wir sind die Zivilgesellschaft. Politiker sind für uns da, das sind Volksvertreter. Die müssen auf uns hören. So ist das Hamburg Welcome Center, angedockt bei der Handelskammer, als Anlaufstelle für die berufliche Integration von Zuwanderern entstanden. Wir haben gesagt: Wenn Ausländer oder Migranten nach Deutschland kommen – an wen sollen sie sich denn wenden?

Wenn Menschen sich kennenlernen, haben sie weniger Vorurteile

Hourvash Pourkian

Was ist Ihr aktuelles Projekt?

Wir haben immer viele Projekte. Eines ist die „Switch App 2.0“ mit der wir Kinderkulturaustausch digitalisieren wollen, „Switch App 2.0“ ist die Fortführung unseres erfolgreichen Projekts „Kinderweltreise“: Vier Familien treffen sich. Eine Familie stellt ihre Kultur vor, ist an einem Tag Gastgeberland und an drei Tagen Gast. Dieses Projekt wird als App programmiert, das heißt, eine israelische Familie kann sich mit einer deutschen treffen. Das kann in Deutschland oder Israel sein. Sie kochen, machen Spiele, alles online. Meine Idee war: Wir müssen den Zugang zu Kindern weltweit ermöglichen. Die Universität für angewandte Wissenschaften hat diese App entwickelt, wir haben den Start-Social-Preis gewonnen. Das ist eine unglaubliche Herzensangelegenheit. Ich bin der Meinung: Wenn Menschen sich kennenlernen, haben sie weniger Vorurteile. Vor allem, was fremd ist, hat man Angst. Ich bin so glücklich: 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Hamburg haben Migrationshintergrund. Die kommen zusammen und werden später weniger Vorurteile haben als wir Erwachsenen.

Freiheitsrechte, Chancengleichheit und interkultureller Austausch

„Kulturbrücke Hamburg e. V.“ unterstützt die Frauenbewegung im Iran. Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Hourvash Pourkian ist seit 25 Jahren Aktivistin (©Markus Gölzer)

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich dieses Regime nicht langfristig an der Macht halten wird. Ein Drittel der Frauen im Iran tragen kein Kopftuch und riskieren ihr Leben. Jeden Tag wird es mehr, der Frauenprotest ist unglaublich groß. Wenn Deutschland und EU die Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen würde, hätte das Volk natürlich mehr Erfolg. Wir sagen ständig, wir stehen an der Seite des iranischen Volkes, aber an der Seite zu stehen reicht nicht. Die bekannte Journalistin Masih Alinejad aus New York war letzte Woche in Berlin, ich habe sie begleitet. Wir haben bei einem parlamentarischen Frühstück mit Politikerinnen und Politikern von SPD, Grünen, FDP und CDU viel diskutiert über das Thema. Frau Alinejad hat sich mit der Menschenrechtsbeauftragten Luise Amtsberg getroffen – und dann den Raum verlassen. Der Grund: Frau Amtsberg wollte nicht, dass das Treffen öffentlich wird. Frau Alinejad hat akzeptiert, dass keine Presse dabei sein soll. Aber sie hatte zwei iranische Demonstrantinnen dabei, die angeschossen worden waren. Sie wollte zeigen: „Schau mal, wie das Regime mit unseren Frauen umgeht.“ Sie meinte dann: „Ich werde dieses Treffen veröffentlichen in den sozialen Medien.“ Mehr nicht. Die Menschenrechtsbeauftragte hat es abgelehnt. Die Begründung: „Sie gefährden die Verhandlungen mit dem iranischen Regime.“ Sie glauben gar nicht, was das für eine Presseecho in Deutschland und Iran gab!

Gibt’s auch Erfolge?

Was wir als Erfolg sehen, ist, dass die Münchner Sicherheitskonferenz dieses Jahr weder Russland noch Iran eingeladen hat. Dafür Frau Alinejad, den Kronprinz Rheza Pahlavi und die iranisch-britische Schauspielerin Nazanin Boniadi – Mitglieder der demokratischen Opposition. Ich war auch da und bin mit allen dreien ins Gespräch gekommen. Das hatten wir Herrn Dr. Heusgen, dem Vorsitzenden der Sicherheitskonferenz, zu verdanken. Wir haben zum 100-jährigen Jubiläum des Internationalen Frauentags die Initiative „International Woman in Power“ für Frauenrechte, Menschenrechte, Mädchenrechte gegründet. Ich habe Mitstreiterinnen in Deutschland, Kanada, Amerika, Afghanistan, Pakistan. Wir sind ein sehr, sehr großes Bündnis. Ich arbeite eng mit der Initiative Säkularer Islam zusammen. Die Initiative ist 2019 gegründet worden und lehnt ein totalitäres Religionsverständnis ab. Ich bin Gründungsmitglied, die Publizistin und Frauenrechtlerin Frau Dr. Necla Kelek ist die Vorstandsvorsitzende. Wir haben gemeinsam viel gegen das Islamische Zentrum in Hamburg (IZH), der „Blauen Moschee“, demonstriert. Im November wurden in sieben Bundesländern Razzien gegen das IZH durchgeführte. Wir fordern, dass das IZH als Außenposten des Mullah-Regimes geschlossen wird.

Der Blick in die Zukunft

Wie stehen die Chancen, dass das geschlossen wird?

Gut, wenn Frau Faeser die Schließung unterschreibt. Ich habe kürzlich Andy Grothe gefragt, wie lange sie brauchen, um die ganzen Dokumente auszuwerten von der Razzia. Er hat gesagt, sechs bis acht Wochen. In der Zwischenzeit haben sie auch 400.000 Euro in der „Blauen Moschee“ gefunden. Wenn nichts dabei rauskommt, werde ich diese Razzia als Fake bezeichnen. Ich weiß, dass Überweisungen stattgefunden haben von Teheran nach Hamburg, dann von hier nach Jemen und Libanon. Ebenfalls kontrolliert werden müssen die iranischen Banken in Deutschland. Bank Melli, Bank Saderat – über die finden Geldtransfers zur Terrororganisation Hamas statt.

Wie reagieren Sie auf den zunehmenden Antisemitismus?

Wir haben letztes Jahr eine große Demonstration vor der „Blauen Moschee“ zum Al-Quds-Tag gemacht, weil wir dagegen sind, dass in Berlin am Al-Quds-Tag demonstriert wird. Das ist gegen Israel, also für Antisemitismus, und wir wissen, dass der Iran die Israel-Weltkarte vernichten will. Bei jeder Demonstration vor der „Blauen Moschee“ stellen wir die Flagge Israels auf. Auch am 3. Oktober zum Tag der Offenen Moschee. Da kam einer aus der Moschee raus und wollte die Flagge wegnehmen. Es kam zur Konfrontation. Gott sei Dank waren viele Polizisten da. Wir haben den Mann rausgeschmissen aus unserer Demo. Am 3. Oktober – vier Tage vor dem Angriff der Hamas auf Israel! Ich bin für Israel, Persien hat eine lange Tradition der Freundschaft zu Juden. Antisemiten in Deutschland sind Nazis und manche Araber. Wir können nicht alle in einen Topf stecken. Das lehne ich ab.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

Ich zerbreche mir seit Jahren meinen Kopf: Wie können wir Migrantinnen, Deutsche und überhaupt Frauen mobilisieren, sich zu verbünden? Wenn wir Frauen an einem Strang ziehen, dann könnten wir viel mehr erreichen, als es heute der Fall ist. Wir haben die meisten Felder den Männern überlassen und sehen, was es für schreckliche Kriege in der Welt gibt. Ich habe mit meinen Partnerinnen gesprochen: Wir werden demnächst eine Frauenpartei gründen. Von Frauen, für Frauen. In Deutschland erst mal, und das soll als Vorbildfunktion dienen für afghanische und iranische Frauen. Dieses Regime wird auf alle Fälle fallen. Und wenn dieses Regime fällt, dann werden auch Frauen in Afghanistan befreit, und wir werden mehr Frieden im Nahen und Mittleren Osten haben. Schauen Sie sich an, wie die Frauen im Iran und in Afghanistan in den 70er-Jahren ausgesehen haben: Miniröcke, offene Haare, moderne, gebildete Frauen. Und wie sie heute aussehen. Wenn ich mich mit deutschen Freunden unterhalte, sagen die, das ist eure Tradition. Und ich sage: Wie bitte, welche Tradition?! Hier ist die Tradition Freiheit – drüben, dass die alle Kopftücher tragen, kein Stimmrecht haben, keinen Zugang zur Bildung, keinen Zugang zum Beruf? Auch Männer leiden unter dem Patriarchat. Alles bleibt an ihnen hängen. Ihre Suizidrate ist dermaßen gestiegen in Afghanistan. Wir müssen das Potenzial der Frauen nutzen.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/2024 erschienen.

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