Heaven Can Wait Chor: „Eine einzige Freude“

Sie sind 70 Jahre und älter, singen Lieder von Künstlern, zu deren Fans vor allem ihre Enkel zählen: die Mitglieder des Heaven Can Wait Chor. Ein Gespräch über dessen Erfolgsgeschichte mit Chorleiter Jan-Christof Scheibe
Heaven Can Wait Chor
„Super zu sehen, dass das Konzept aufgeht“: Heaven Can Wait Chor um Leiter Jan-Christof Scheibe (in blau) (©G2 Baraniak)

SZENE HAMBURG: Jan-Christof, der Heaven Can Wait Chor singt Songs von unter anderem Deichkind, Jan Delay und Sarah Connor. Welche Auswahlkriterien gibt es bei den Stücken? Ist grundsätzlich erst mal jede – in Anführungszeichen – junge Musik erlaubt?

Jan-Christof Scheibe: Jung ist tatsächlich erst mal Definitionssache. Wenn ich meine zwölfjährige Tochter frage, würde sie sagen: „Sarah Connor? Alter Hut! Jan Delay? Opa!“ Von daher schaffen wir es sicher nicht ständig, am Zahn der Zeit zu sein und die erfolgreichsten zehn Songs des jeweiligen Jahres parat zu haben. Was uns wichtig ist, ist dass wir Hits singen. Es gibt viele Eintagsfliegen. Ob eine Nummer wirklich ein Hit ist, erweist sich erst über den Verlauf von einigen Jahren. Und dann ist es entscheidend, ob die Hits auch live funktionieren. Plus: Kriegen meine Senioren die Songs auch über die Rampe? Entsteht ein Mehrwert dadurch, dass sie die Songs singen?

Kommen von den Chormitgliedern Song-Vorschläge?

Wir haben es mittlerweile geschafft, dass die Mitglieder die Musik, die sie singen, auch wirklich toll finden. Aber es ist nicht so, dass das ihren generellen Musikgeschmack ändert und sie plötzlich N-Joy-Radio hören. Ab und zu bekomme ich Sachen vorgeschlagen, dann allerdings eher ruhige Songs, zum Beispiel von Max Giesinger, die live den Fisch nicht so richtig vom Teller ziehen – ohne sagen zu wollen, dass Max Giesinger live nicht gut ist. Wir brauchen aber Songs, die entweder total abgehen oder sofort stark emotionalisieren.

Dieser Chor widerlegt sämtliche Klischees

Jan-Christof Scheibe

Der Heaven Can Wait Chor löst Emotionen aus

Apropos Mitglieder: „Wir suchen Verstärkung“, heißt es aktuell auf eurer Homepage. Neu-Mitglieder sollen mindestens 70-Jährige mit Affinität für die angesprochene „junge Musik“ und einem gewissen Maß an eigener Musikalität sein. Zudem, heißt es auf der Seite, sollten sie eine soziale Stütze sein können für ältere Mitglieder. Das ist sicherlich nicht bloß körperlich gemeint.

Nein, nicht nur. Ein Chor ist ein soziales Gebilde auch dahingehend, dass es zwischenmenschlich passen muss. Jeder hat seine Aufgabe, ein bisschen wie im Bienenschwarm. Das reicht vom Organisieren der Hotels bis zur Hilfe beim Anziehen derer, die das vielleicht nicht mehr so gut hinbekommen wie früher. Und wenn es um körperliche Hilfe geht, muss man natürlich erst mal auf der zwischenmenschlichen Ebene gemerkt haben, dass jemand anderes Unterstützung braucht.

Das ist wie auf Klassenfahrt gehen

Jan-Christof Scheibe

Generationenübergreifendes Arbeiten hat sich auf vielen Ebenen bewehrt. Generationenübergreifendes Spaßhaben wie bei euch ist logischerweise genauso positiv zu bewerten. Was ist für dich das Schönste daran?

Der ganze Apparat ist eine einzige Freude. Dieser Chor widerlegt sämtliche Klischees, die älteren Menschen angehaftet werden, zum Beispiel, dass sie viel meckern, rückwärtsgewandt sind, nicht selten übellaunig. Das gilt für unsere Mitglieder nämlich überhaupt nicht. Jedes einzelne Mitglied möchte man sofort als Omi beziehungsweise Opi adoptieren. Und dann ist es natürlich super zu sehen, dass das Konzept aufgeht: Lieder werden lebendiger, wenn sie Leute singen, die älter sind.

Das Publikum kennt die Songs, aber hat sie so, wie der Chor sie singt, eben noch nie gehört. Unsere Sängerinnen und Sänger zeigen Emotionen und lösen dadurch welche im Publikum aus. Man muss ja auch sagen: Junge Menschen sind heutzutage oft schon durchtherapiert, haben keine Probleme damit, über Gefühle, ja eigentlich über alles zu sprechen. Bei älteren Menschen ist das anders. Wenn unsere Mitglieder sich beim Singen öffnen und merken, dass das etwas beim Publikum bewirkt, dann bewirkt das bei ihnen auch einiges.

Der Heaven Can Wait Chor: Eine eingeschworene Gemeinschaft

Es gibt bereits einen Kinodokumentarfilm über den Chor: „Heaven Can Wait – Wir leben jetzt!“ Darin sagt eine Chorsängerin, sie wäre als 17-Jährige einsamer gewesen als heute. Eines der größten Komplimente auch für dich als Leiter?

Es war schon schön, das zu hören. Die Mitglieder haben eine wirklich eingeschworene Gemeinschaft gebildet. Wenn ich mit ihnen unterwegs bin, dann ist das wie auf Klassenfahrt gehen.

Hinter dem Chor steht ein Verein, dessen Hauptaufgabe es ist, Spenden zu sammeln, damit der Chor Bestand hat …

… was gar nicht so einfach ist. Die staatlichen Institutionen sind meist eher darauf aus, Kinder und Jugendliche zu fördern, was ja auch richtig ist. Aber wir haben in unserer Gesellschaft immer mehr ältere Menschen. Und bevor diese sich mit Themen wie Pflegeheimen beschäftigen, haben sie noch Projekte, die auch unterstützt werden sollten. Dass das so ist, ist leider noch nicht überall angekommen.

Der Heaven Can Wait Chor, am 5. September 2024 um 19.30 Uhr beim Stadtpark Open Air

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.

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