Zwischen Pointe und Politik: Ingmar Stadelmann über Humor als Werkzeug zur Realitätsbewältigung

Ingmar Stadelmann ist bekannt als Außenreporter für die „heute-show“, Stand-up-Comedian, Moderator und Podcaster. „Kommt ihr klar?“ ist sein sechstes Soloprogramm, welches mehrmals in Hamburg zu sehen war. Im September kommt sein neues Programm „Stadelmann liest Höcke“ nach Hamburg. Ein Gespräch über Realitätsflucht, Humor und die Grenzen der Satire
Ingmar Stadelmann in Denkerpose (Hendrik Gergen)
Ingmar Stadelmann (© Hendrik Gergen)

SZENE HAMBURG: Ingmar, im Pressetext zu deinem aktuellen Programm heißt es „Wir sind zurück aus unserer kollektiven Realitätsflucht und müssen jetzt lernen mit der neuen Realität umzugehen. Mit Humor.“. Was bringt dich zu der Annahme, dass sich unsere Gesellschaft in einer kollektiven Realitätsflucht befunden hat und warum ist diese deiner Meinung nach vorbei?

Ingmar Stadelmann: Die „Kommt ihr klar“-Tour ist im Jahr 2022 gestartet, das heißt der Pressetext ist während der Corona-Zeit entstanden. Nach der Pandemie war unsere kollektive Realität eine andere als davor, mit der wir uns zurechtfinden mussten. Lustigerweise passt der Pressetext auf unsere heutige Situation wieder genauso wie vor drei Jahren, nur aus anderen Gründen. Die Parallele ist, dass wir sowohl von etwas wie der Corona-Pandemie als auch von dem aktuellen weltlichen politischen Geschehen dachten, so etwas könne uns nicht passieren. Wir haben uns in Sicherheit vor Krieg im Westen gewähnt, dachten Amerika würde uns immer beschützen und unterstützen und dass wir ein dauerhaft attraktiver Wirtschaftspartner in der Welt sein würden. Diese Blase der Sicherheit ist geplatzt und wir müssen uns jetzt mit dieser neuen Realität auseinandersetzen. Die Antwort – das die Illusion und die neue Realität verbindende Element – kann meiner Meinung nach nur Humor sein.

Das Komödiantische und das Philosophische haben viel gemeinsam

Ingmar Stadelmann 

In deinem aktuellen Solo-Programm „Kommt ihr klar?“ fragst du, ab wann Dauerempörung eigentlich langweilig wird. Was ist deine eigene Antwort darauf und wie sollte man deiner Meinung nach stattdessen auf das Weltgeschehen reagieren?

(lacht) Meine bisherige Erfahrung ist, dass den Leuten ihre Dauerempörung noch nicht langweilig geworden ist. Das Großartige an der dauerhaften Empörung ist ja, dass sich der Gegenstand, auf den sie sich bezieht, so schnell ändern kann, ohne dass sie abebben muss. Was ich aber als hilfreiches Tool festmachen kann, ist eine zeitlich begrenzte „Insel der Ignoranz“, etwa von wenigen Tagen oder auch nur Stunden, um seinen eigenen Kopf mal zu resetten. In der Geschwindigkeit, in der aktuell erschütternde News auf uns einprasseln, kommen unsere Gehirne gar nicht mehr hinterher. So eine kleine Auszeit gibt einem die Möglichkeit, sich in dieser Flut wieder auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren zu können und so den Fokus nicht zu verlieren.

Humor ist ein verbindendes Element für die unterschiedlichsten Menschen

Denkst du, Humor ist für uns Menschen die einzige Möglichkeit, mit einer aus den Fugen geratenen Welt umgehen zu können?

Nein, das nicht. Aber in den Zeiten, in denen wir uns bewegen, sind meiner Beobachtung nach zwei Dinge konstant im Trend. Philosophie und Humor, beziehungsweise Philosophen und Comedians. Die einen ergründen und die anderen führen ins Absurde. Das Komödiantische und das Philosophische haben viel gemeinsam. Beide schaffen eine Distanz und beide ordnen ein. Das Schöne am Humor ist, dass es ein verbindendes Element für die unterschiedlichsten Menschen ist.

Ist Humor „nur“ ein Werkzeug, das im Nachhinein zur individuellen und kollektiven Bewältigung genutzt wird oder ist er ein aktives zu jeder Zeit am Diskurs beteiligter und ihn beeinflussender Bestandteil?

Definitiv beeinflusst Humor den Diskurs mit. Bestimmte Gags können auf der Bühne zum Beispiel sehr entlarvend sein. Man kann über etwas lachen und im Nachgang reflektieren, dass diese Absurdität, die da aufgezeigt wurde, nicht erfunden ist. Das kann zum Beispiel Diskurse anstoßen oder weiterbringen. Viele sagen aber, die Pointe sei nicht mehr das Entscheidende, sondern die Botschaft. Mit dieser Aussage tue ich mich aber ein bisschen schwer. Comedy sollte schon witzig sein.

Plakat zu Ingmar Stadelmanns neuem Programm „Stadelmann liest Höcke“ (©Andreas O.Loff/Sven Kuhr)
Ingmar Stadelmanns neues Programm „Stadelmann liest Höcke“ (©Andreas O.Loff/Sven Kuhr)

Die Leute interessieren sich für Höcke, weil sie sich fragen »kann ich den Nazi erkennen?«

Ingmar Stadelmann 

Höcke im Spiegel der Satire – Stadelmanns Diskurs zum Rechtsruck

In deinem neuen Programm, ab September 2025, „Stadelmann liest Höcke – Ein satirischer Diskurs vor der Machtergreifung“ setzt du dich mit der politischen Person Björn Uwe Höckes auseinander. Wie bist du ausgerechnet auf Björn Höcke gekommen? Hältst du ihn für die größte personelle politische Gefahr für Deutschland?

Auf die Idee gekommen, mich mit Björn Höcke zu befassen, bin ich zur Zeit der Landtagswahl in Thüringen im vergangenen Jahr. Im Vorfeld zu der Landtagswahl gab es ein Duell auf WELT TV zwischen Mario Voigt, dem Spitzenkandidaten der CDU, und Björn Höcke. Und obwohl es ein Duell zur Regionalpolitik war, haben eine knappe Million Zuschauende eingeschaltet. Meiner Meinung nach kann der einzige Grund dafür nur sein, dass die Leute sich für das Mysterium Höcke interessier(t)en. Die haben sich gefragt „Kann ich den Nazi erkennen?“. Und wenn ich ihn nicht erkenne, beruhigt mich das, weil ich mir denke, die Presse übertreibt, oder beunruhigt mich das, weil ich für mich erkennen muss, „Ich weiß nicht mal mehr, wann jemand ein Rechtsradikaler ist und wann nicht“. Mit diesen Fragen wollte ich mich näher auseinandersetzen. Höckes Buch ist jetzt fünf Jahre alt, an viele seiner Vorstellungen in dem Buch kann man aber heute schon einen Haken machen. Höcke als Mensch selbst interessiert mich jetzt nicht sonderlich, aber Höcke ist überall. Höcke ist nicht nur im rechten Flügel, sondern auch in jedem Mitglied der sogenannten gemäßigten AfD und Höcke ist auch in JD Vance.

Mit Björn Höcke hast du dir mit einem offiziell rechtsextremen Politiker eine Figur ausgesucht, die dem Großteil der Gesellschaft eher Angst einjagt, als dass man über sie lachen kann. Wie schaffst du es, mithilfe deines satirischen Diskurses, dass eine beispiellos erschreckende Figur der deutschen Politiklandschaft humorvoll wahrgenommen werden kann?

Mein neues Programm wird kein klassisches Comedy-Format sein. Mein Ziel ist es daher gar nicht, dass Björn Höcke humorvoll wahrgenommen wird. Ich werde anhand von Auszügen aus Björn Höckes Buch aufzeigen, welche seiner Visionen fünf Jahre nach Erscheinen schon real sind und welche es bald werden könnten. Ich will Absurditäten aufzeigen und transparent machen, dass Höcke der Strippenzieher ist. Am Ende wird es eher eine Kritik an dem bisherigen dysfunktionalen Umgang des linken Lagers mit Björn Höcke und all seinen Gefolgsleuten. Grade im Osten war linke Politik in den letzten Jahrzehnten identitätsstiftend. Nach ihrem Rückzug aus dem Osten und der Ausweitung auf Gesamtdeutschland, entstand in Ostdeutschland eine Lücke, die wunderbar durch das rechte Spektrum gefüllt werden konnte – weil die Rechten schon da waren, es aber keinen mehr gab, der denen was entgegengesetzt hat. Ich höre immer wieder die Frage „Wo kommen die auf einmal alle her?“. Aber sie waren die ganze Zeit da. Das Komödiantische, wenn man so will, wird sein, aufzuzeigen, was am linken Umgang mit „den Rechtsextremen“ falsch gelaufen ist. Da kann mein Publikum auch viel mehr draus ziehen, um in den Diskurs zu gehen, als wenn ich erneut vorbete, warum Nazis blöd sind. Das weiß mein Publikum selbst.

Gab es im Vorfeld bereits Reaktionen der Alternative für Deutschland auf die öffentliche und satirische Untersuchung des Politikers?

Bisher ist es relativ ruhig. Vielleicht möchte man mir die Presse auch nicht gönnen. Für mich gäbe es ja gar keine bessere PR, als wenn es die Schlagzeile „Björn Höcke will Comedian verbieten“ gäbe.

Mehr von Ingmar Stadelmann: Ab September tourt Ingmar Stadelmann mit seinem neuen Programm „Stadelmann liest Höcke – Ein satirischer Diskurs kurz vor der Machtergreifung“ durch Deutschland. Der erste Auftritt wird am 11. September 2025 um 19.33 Uhr in Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg sein. Für sein Podcast-Projekt „Richard, wo erreich ich dich?“, in dem Stadelmann zusammen mit Andreas O. Loff die wichtigsten Aussagen von „LANZ & PRECHT“ zusammenfasst, hat er jüngst den „Goldener Blogger“-Preis erhalten. Seit Kurzem gibt es Stadelmann außerdem im Podcast „Für Mutti“ zu hören, den er startete, um seine Mutter auf dem Laufenden zu halten, statt sie regelmäßiger anzurufen. Zu sehen gibt es Stadelmann in seinem Interview-Talkformat auf YouTube „Ich hab da mal ne Frage!“ mit Gästen wie Thorsten Sträter, Bastian Pastewka oder Ilka Bessin.

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