Theater- und Tanzperformance, Konzert und Show, Party und Puppenspiel – nach zwei schwierigen Corona-Jahren startet das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel vom 10. bis 28. August wieder voll durch. Und das Publikum zieht mit – da ist sich der künstlerische Leiter András Siebold sicher
Interview: Sören Ingwersen
SZENE HAMBURG: András, im Gegensatz zu vielen anderen Festivals hat das Internationale Sommerfestival auch in den letzten beiden Corona-Jahren stattgefunden. Wie nachhaltig sind die Erfahrungen dieser Zeit? Wirken sie organisatorisch und künstlerisch auch ins aktuelle Festival hinein?
András Siebold: Unser Credo der vergangenen zwei Jahre war: Wir finden für alles eine Lösung, auch wenn erst mal alles dagegen spricht. Das war zwar eine organisatorische und logistische Herausforderung, aber zeigte vor allem auch eine Perspektive für die vielen freischaffenden Künstler:innen. Denn so ein Festival in der Pandemie hat immer auch Signalwirkung: Schaut, geht doch. Das kommende Festival haben wir jetzt mit gelassenem Optimismus geplant, entsprechend umfangreich ist das Programm.
„Das Festival hat wieder Vor-Pandemie-Niveau“
Gibt es Neuerungen betreffend der inhaltlichen Schwerpunkte oder der Struktur des Festivals?
Das Festival hat wieder Vor-Pandemie-Niveau und ist eine Mischung aus internationalen Uraufführungen und Gastspielen, Konzerten, Ausstellungen,Stadtbespielungen und dem Festival-Avant-Garten, Hamburgs Perle der kostenlosen Kunstfreizeitparks. Inhaltlich gibt es Themenstränge zu Schwarzer Popkultur, Care-Praktiken oder Musicals – und viele Querverbindungen zwischen den Produktionen, die wir im Vorwort des Programmhefts beschreiben, etwa die Farbe Blau.
Zur Festivaleröffnung feiert ihr die Weltpremiere von Oona Dohertys „Navy Blue“. Darin geht es um die (Künstler-)Krise und deren Überwindung. Nehmt ihr die gegenwärtige globale Situation als Krise wahr, und wie reagiert ihr mit dem Festival darauf?
Das Festival hat sich schon immer auf Gegenwartsdiskurse bezogen. Oona Doherty zum Beispiel, hat eine sehr eigene Tanz-Sprache entwickelt, in der zwar die Tanzgeschichte bis zum Ballett erkennbar ist, die sich aber auch mit Fragen über Identität, Geschlecht und Klasse auseinandersetzt: In ihrer letzten Arbeit, die wir 2020 gezeigt haben, verbindet sie ihren Tanz mit männlichen Selbstbehauptungsposen der Arbeiterklasse.
Diese Gesten zeigt sie in ihrer ganzen Brüchigkeit liebevoll und mit vollem physischen Einsatz und lenkt damit den Fokus auf einen abgehängten Teil der Gesellschaft. Und genau da setzt auch „Navy Blue“ an. Der Kampf des entrechteten Körpers ist bei Doherty fast physisch erfahrbar, verstärkt auch durch den englischen Supermusiker Jamie xx, der die Musikfür „Navy Blue“komponiert.
Zwei Festival-Arbeiten beschäftigen sich mit Andy Warhol. Was fasziniert Gegenwartkünstler wie Gus Van Sant oder Raja Feather Kelly an diesem Pionier der Pop-Art?
Ich glaube, es ist die radikale Neugier und das pionierhafte Neu-Denken der Gegenwart, für die Warhol steht. Er hat viele Internet-Phänomene beschrieben, lange bevor es Social Media gab: Vervielfältigung von Bildern, Selbstdarstellung, den Umgang mit Fame und Marktmechanismen.
Und er hatte einen interdisziplinären Kunst-Ansatz, den sowohl der Kino-Großmeister Gus Van Sant verfolgen, der bei uns jetzt ein bildgewaltiges Musical über Warhol inszeniert, als auch der New Yorker Choreograf Raja Feather Kelly, der sich als schwarzer, queerer Künstlerin das Erbe Warhols einschreibtund Popkultur quasi-religiös auffasst.
Die Stadt bespielen
Im letzten Jahr hat die Gruppe Ligna den leer stehenden Kaufhof bespielt. In diesem Jahr feiert ihr im leer stehenden Karstadt-Sports-Gebäude die Eröffnung des „Deutschen Museums für Schwarze Unterhaltung und Black Musik“ mit einem vielfältigen Live-Programm und erobert damit erneut den urbanen Raum. Welche Veranstaltungen sind dort im Einzelnen geplant? Und wird das Museum auch über das Festival hinaus bestehen bleiben?
Wir haben mit dem Festival immer auch die Stadt bespielt und uns in gesellschaftliche Diskurse eingemischt. Das DMSUBM ist eine Übernahme des Erdgeschosses des leer stehenden Kaufhauses mit einer Ausstellung, die den Anteil und die Biografien schwarzer Menschen an der jüngeren deutschen Popkultur einerseits und die Zuschreibungen, denen sie in einer hauptsächlich weißen Medienlandschaft ausgesetzt waren, andererseits sichtbar macht.
Es ist also quasi auch eine notwendige Korrektur einer bestimmten Geschichtsschreibung und Branche, die auf weiße Menschen fokussiert ist. Das Museum ist täglich zu Museumszeiten geöffnet, und abends gibt es an einzelnen Tagen ein Rahmenprogramm, das vom Hamburger Kollektiv formation**now kuratiert wird.Unter anderem berichten da Stars von früher, wie Nana Darkman, von ihren Erfahrungen und treten zum Beispiel in Form von Museumsführungen in Austausch mit dem Archiv.Das Museum ist erst mal – auch aus Kostengründen – nur für die Festivaldauer geplant, aber wer weiß: Vielleicht ist das der erste Schritt für ein dauerhaftes Museum der Stadt.
„Wir alle sind Teil einer Weltgesellschaft“
Kampnagel steht für kulturelle Diversität. Wie bewertest du die gegenwärtigen Tendenzen der Deglobalisierung und die Rückbesinnung auf lokale/nationale Werte im Hinblick auf den kulturellen Austausch?
Ich habe eher das Gefühl, als würden wir mit jedem Krieg, mit jeder anti-demokratischen Initiative der rechten Parteien, daran erinnert, wie sehr wir Teil einer Weltgesellschaft sind. Und wie wichtig und positiv ein Austausch mit Menschen über Grenzen hinweg ist, kann man beim Sommerfestival sehr gut erleben.
Das diesjährige Sommerfestival-Programm ist eines der umfangreichsten. Glaubst du, dass die Menschen in Sachen Kultur großen Nachholbedarf haben? Oder muss man sie derzeit mit üppigem Live-Angebot erst wieder mühsam vom Sofa locken?
Also die Vorstellung, den ganzen Tag bei schönem Wetter auf dem Sofa zu sitzen, ist doch furchtbar. Und das Festival präsentiert ja Avantgarde mit Erlebnisfaktor, für Theaterschlaf gibt es bessere Alternativen in Hamburg, das ist hier eher etwas zum Aufwachen und Wachbleiben – oder einfach zum Dasein im großen Festival-Garten unter Birkenbäumen, kostenlose Ausstellungen, Performances und Konzerte im Garten inklusive.
Gab es überraschend positive oder negative Erfahrungen bei der diesjährigen Festivalplanung?
Stand jetzt, Anfang Juli, gab es weder Absagen noch größere Änderungen. Nur steigende Preise sind wie überall ein Problem, Transporte von Australien zum Beispiel, haben sich seit März zum Teil verdreifacht. Wir können das nur kompensieren mit Einsparungen im Budget, denn Tickets sind nach wie vor günstig hier.
Ansonsten ist die Stimmung gut, der Vorverkauf liegt etwa beim Niveau vor der Pandemie, der Erste Bürgermeister hat sich auch gerade zur Festivaleröffnung angekündigt, und außerdem ist der Festival-Avant-Garten wieder für alle offen,Hamburgs nicester Kunstvergnügungspark mit Gastronomie und kostenlosen Lesungen von Buchpreisträger:innen und Konzerten unter Birkenbäumen sowie Performances und Ausstellungen auf dem gesamten Gelände.
Kampnagel Internationales Sommerfestival 2022: 10. bis 28. August