Ulrich Bähnk im Interview: „Früher dachte ich, beim Spielen muss man schwitzen“

Ulrich Bähnk verkörpert oft den spröden Draufgänger-Typ. Jetzt spielt er den unfreiwilligen Auschwitz-Besucher Serge in einer Inszenierung nach Yasmina Rezas gleichnamigem Roman
Bewies schon in „Laurel & Hardy“ an den Hamburger Kammerspielen, dass er auch lustig sein kann: Ulrich Bähnk ( ©Tim Koller)

SZENE HAMBURG: Ulrich, du hast 2018 den bärbeißigen „Seewolf“ am Ohnsorg-Theater gespielt, warst im letzten Jahr als desillusionierter, übergriffiger Sergeant Johnson in „Diese Geschichte von Ihnen“ am Ernst Deutsch Theater zu sehen und spielst jetzt am Altonaer Theater die Titelfigur aus Yasmina Rezas Roman „Serge“, die von einer Rezensentin als „Kotzbrocken“ identifiziert wurde. Warum finden sich so viele gebrochene, unsympathische Figuren in deinem Repertoire?

Ulrich Bähnk: Gebrochene Figuren liegen mir, weil ich beides in mir habe: Auf der einen Seite diese große Energie und Kraft, auf der anderen Seite bin ich aber auch ein relativ sensibler Mensch mit seinen Ängsten. Dadurch entstehen solche Persönlichkeiten wie in „Der Seewolf“, der ja teilweise so hart war, dass die Leute aus der Vorstellung rausgegangen sind. Für mich war das eine einsame Seele, mit der ich mich gut identifizieren konnte. Genauso wie der Polizist. Der ist eine arme Sau, weiß nicht, wohin mit seinen Ängsten und Sorgen und lebt das in Gewalt aus. Aber ob Serge ein Kotzbrocken ist, das möchte ich bezweifeln. Er ist so liebenswert mit seinem Nihilismus, mit seiner Menschenverachtung und eigentlich ein absoluter Loser. Er behauptet, alles im Griff zu haben, dabei stehen seine beiden Geschwister viel mehr im Leben als er.

In „Serge“ besuchen die Geschwister Serge, Jean und Nana mit ihrem familiären Anhang nach dem Tod der Mutter gemeinsam das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz …

Die Suche nach den eigenen Vorfahren in Auschwitz ist auf den ersten Blick kein sehr erbauliches Thema. Aber die Auseinandersetzung zwischen den Geschwistern ist wirklich sehr humorvoll.

Das Thema Holocaust in Verbindung mit Humor ist eine Gratwanderung. Auch der Roman „Serge“ wurde kontrovers diskutiert …

Yasmina Reza verbindet diese beiden Seiten einfach wunderbar miteinander. Diese Familie hat auf ihr Jüdischsein bisher keinen großen Wert gelegt. Als die Mutter stirbt, ist es eigentlich eine Schnapsidee der Enkelin, mal nach den familiären Wurzeln zu graben. Die Reise nach Auschwitz findet ohne große Erwartungen statt, und Serge ärgert sich über den Reisegruppen-Tourismus, den er dort beobachtet. Vor über 40 Jahren war ich selber einmal dort. Da war das noch ein bisschen anders, und wir wurden als Deutsche auch nicht so toll behandelt.

Im Buch fallen Äußerungen wie „Dieser Fetischismus der Erinnerung ist bloßer Schein“ …

Serges Kritik lautet in etwa: Wenn ich an die Verstorbenen denken möchte, muss ich nicht in ein hochpoliertes, mit Currywurstbude ausgestattetes Auschwitz fahren. Diese Meinung kann ich ein bisschen nachvollziehen. Aber letzten Endes geht es in „Serge“ auch weniger ums Jüdischsein, sondern um die Verbundenheit der Geschwister, die sich auf dieser Reise erst näher kennenlernen.

Rampensau Ulrich Bähnk kehrt für „Serge“ zurück zum Theater 

Du warst von 1988 bis 1993 Ensemblemitglied am Deutschen Schauspielhaus. Seitdem arbeitest du freiberuflich. Ging diese Entscheidung damals von dir selbst aus?

Sowohl als auch. Ich habe ja an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater studiert und dann gleich am Schauspielhaus angefangen. Als Intendant Frank Baumbauer uns junge Schauspieler auch mal in die große weite Welt entlassen wollte, fanden wir das natürlich doof, trotzdem hat er richtig gehandelt. Zwei-, dreimal habe ich noch bei Gerda Gmelin im Theater im Zimmer gespielt und den Boy-Gobert-Preis gewonnen, dann kamen die ersten TV-Angebote. Damals war das Privatfernsehen ja noch relativ neu, und es wurde produziert ohne Ende, sodass das Drehen schnell einen großen Platz in meinem Leben einnahm.

Aber in den letzten Jahren sind die Produktionszahlen im Film- und Fernsehbereich drastisch zurückgegangen …

Das stimmt. Außerdem hat die Konkurrenz extrem zugenommen durch das inzwischen europaweite E-Casting. Als ich anfing, hatten wir noch ein geteiltes Deutschland. Dann kam die Wiedervereinigung, und es wurde geschimpft, dass die Ostdeutschen uns die Preise kaputt machen. Diese Ängste kann man heute gar nicht mehr nachvollziehen.

Hast du die Arbeit fürs Fernsehen damals gezielt gesucht?

Vielleicht sollte ich das hier nicht so laut sagen, aber ich bin eine Rampensau. Früher dachte ich, beim Spielen muss man schwitzen. Aber natürlich versteckt man hinter den großen Gesten auch etwas: die wahren Gefühle. Heinz Schubert, damals mein Lehrer an der Hochschule, sagte immer: Es bringt nichts, wenn du traurig bist, und man es nur bis in die dritte Reihe sieht. Dein Ausdruck muss bis in den zweiten Rang gehen. Beim Film ist das natürlich anders. Aber inzwischen habe ich mich auch mit der Kamera angefreundet.

Feierabendwein und Unterricht

ich bin eine Rampensau

Ulrich Bähnk

Handelt es sich bei deinem ehemaligen Lehrer Heinz Schubert um den Hauptdarsteller in der Mutter aller deutschen Comedy-Serien „Ein Herz und eine Seele“?

Das Ekel Alfred, ja. Nach den Proben habe ich mich immer am Schauspielhaus mit ihm getroffen. Da hatte er schon seinen Feierabendwein vor sich stehen und hat mich unterrichtet.

Privat war er sicherlich umgänglicher als in seiner berühmten TV-Rolle …

Na ja, man durfte ihm nicht zu nahekommen. Umarmen und so – das mochte er überhaupt nicht. Aber ansonsten war er ein ganz feiner Mensch und toller Schauspieler, der auch ein bisschen darunter litt, dass er erst, nachdem die Serie schon lange abgedreht war und er mit der Figur des Alfreds gar nichts mehr am Hut hatte, durch sie berühmt wurde.

Immer wieder schräge Figuren spielt Ulrich Bähnk

Hattest du wegen deiner vielen Serienauftritte jemals Angst, zu sehr auf eine Rolle festgelegt zu werden?

Damals beim „Rettungsflieger“ schon. Da habe ich ja sieben Jahre mitgespielt, bevor ich ausgestiegen bin. Aber abgesehen davon bin ich eigentlich nie in eine Schublade hineingerutscht, weil ich eben immer sehr schräge Figuren gespielt habe.

Du wurdest als Theaterschauspieler nicht nur mit dem Boy-Gobert-Preis und dem Rolf-Mares-Preis gekürt, sondern warst 2018 auch an einer TV-Produktion beteiligt, die mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet wurde …

Die Serie „Jennifer – Sehnsucht nach was Besseres“ mit Olli Dietrich über eine Gruppe norddeutscher Typen auf dem Dorf. Ich spiele da Manni, den Besitzer einer Dorfdisko. Da haben wir drei Staffeln lang wirklich wunderbar rumgespackt, weil von fünf Entscheidern beim NDR drei immer begeistert waren, während die anderen beiden es ganz abscheulich fanden. Als einer von den dreien wegging, wurde die Serie leider eingestellt.

Sollte das Fernsehen mehr wagen?

Ja, aber dazu braucht man jemanden, der dahintersteht und den Mut hat, mal zwei Jahre lang etwas durchzuziehen, auch wenn es nicht gleich funktioniert. „Der Tatortreiniger“ war so eine Produktion: zuerst ein richtiger Quotenflop, heute absoluter Kult.

Die Premiere von „Serge“ im Altonaer Theater findet am 25.5.2024 statt. Weitere Termine danach

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/2024 erschienen.

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