Stephanie Lottermoser ist Wahlhamburgerin – ein Gespräch über ihr neues Album „In-Dependence“ und den Spagat zwischen Singen und Saxofonspielen
Interview: Erik Brandt-Höge
SZENE HAMBURG: Stephanie, auf deinem neuen Album „In-Dependence“ ist der Titel Programm, es geht um das große Thema Unabhängigkeit. Die strebst du als Musikerin auch weiterhin in einer von Männern dominierten Branche an. Denkst du, es wird in den kommenden Jahren endlich bahnbrechende Veränderungen diesbezüglich geben?
Stephanie Lottermoser: Völlige Unabhängigkeit kann es ja gar nicht geben. Wir sind immer abhängig von verschiedenen Systemen, Beziehungen, Strukturen sowie inneren und äußeren Faktoren und Einflüssen. Die Unabhängigkeit, die ich anstrebe, ist eine, in der ich so frei wie möglich meine Musik weiterentwickeln, schreiben, veröffentlichen und auf die Bühne bringen kann. Auch hier bin ich von einem überwiegend männlichen System und männlichen Entscheidern umgeben, seien es Plattenfirmen, Veranstalter:innen oder Mitmusiker:innen. Bahnbrechende Veränderungen, denke ich, wird es erst geben, wenn alle Frauen überall auf der Welt ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben führen können.
Meine größte Erwartung an mich selbst: authentisch sein
Was wäre auf dem Weg dorthin das Wichtigste, was passieren müsste?
Bildung, Aufklärung, Kommunikation, Bereitschaft zur Veränderung und zum gesellschaftlichen Wandel, ein Infrage-Stellen traditioneller Werte- und Gesellschaftsmuster und vor allem eine Zusammenarbeit und ein gemeinsamer Diskurs von Frauen und Männern, von weiblich und männlich gelesenen Personen.
Im Vorfeld der Veröffentlichung von „In-Dependence“ hast du auch vom Ziel gesprochen, dich frei zu sagen von dem, wie andere deine Musik haben wollen. Ist es für dich eine große Herausforderung, dich wegzudenken von Erwartungen an deine Kunst?
Ich weiß nicht, ob man sich als musikschaffender Mensch überhaupt ganz davon frei sagen kann oder ob das erstrebenswert ist. Manchmal höre ich sehr viel Musik, phasenweise auch gar nicht. Sehr oft frage ich mich, wo die Melodien in meinem Kopf eigentlich herkommen, manchmal sind ganze Songs einfach so da, wie ein kleines Wunder. Und die größten Erwartungen an meine Kunst habe sowieso ich selbst. Wenn ich nach einem Konzert mit mir unzufrieden bin, kann mich auch ein Raum voller applaudierender Menschen nicht vom Gegenteil überzeugen. Meine größte Erwartung an mich selbst ist, authentisch zu sein mit dem, was ich spielen und aussagen möchte, und auch das findet ja immer im Spannungsfeld statt zwischen allem, was man schon erlebt und gehört hat und dem, was aktuell auf einen einprasselt.
Vom Wiedergeben und Improvisieren
Einmal mehr bist du jetzt als Saxofonistin wie als Sängerin zu hören. Wobei Unabhängigkeit vermutlich viel leichter in der Improvisation am Saxofon als mit einem Text, den es zu singen gibt, entsteht, richtig?
Es gibt viele Kollegen und Kolleginnen, die ganz fantastisch als Sänger:innen improvisieren und ohne Text eher klangmalerisch arbeiten. Das war nie so recht mein persönlicher Zugang. Ich liebe nicht nur Musik, sondern auch Sprache sehr, beides sind große Kunstformen. Insofern stimmt das – ich improvisiere auf dem Saxofon, und wenn ich singe, gebe ich Texte wieder, die ich vorher so geschrieben habe. Allerdings geht es in den Texten dann eben teilweise thematisch um das Thema Unabhängigkeit. Ich brauche diese Kombination aus Experimenten und klaren Aussagen für meine Musik.
Aufgenommen wurde das Album im Quartett. Ging es in der Produktion vor allem um deine musikalische Unabhängigkeit oder sollten alle Beteiligten gleich viele Freiheiten haben?
Ich wähle meine Mitmusiker:innen immer danach aus, mit wem ich mich auf der Bühne am freisten und gleichzeitig am sichersten fühle. Freiheit bedeutet ja nicht das Ausbleiben von jeglicher Struktur, sondern vielmehr eine Struktur, die einem erlaubt, völlig davon wegzugehen, weil sie trotzdem da sein wird. Vertrauen, aufeinander hören, Offenheit und natürlich Zuneigung spielen da auch eine große Rolle. Im Studio sieht das so aus, dass ich die Songs mitbringe und natürlich eine Vorstellung davon habe, wie sie klingen könnten. In der Umsetzung versuche ich, so offen wie möglich für Änderungen und Verbesserungen zu sein, die oftmals erst auftauchen, wenn alle gemeinsam daran arbeiten.
„In-Dependence“ ist am 18. November 2022 bei Leopard erschienen
Live gibt es Stephanie Lottermoser am 24. November um 20 Uhr im Knust zu sehen (Tickets ab 20 Euro)