Jan Delay: „Alles was ich bin, bin ich wegen dieser Stadt“

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Foto: Thomas Leidig

„Earth, Wind & Feiern“ ist der Titel des neuen Albums von Jan Delay – und der hält, was er verspricht. Die Songs behandeln teils ernste Themen, machen aber jederzeit Spaß. Ein Gespräch über den textlichen Umgang mit der Klimakatastrophe, Rassismus und Faschismus sowie Hamburg als ewige Liebe des Künstlers

Interview: Erik Brandt-Höge

SZENE HAMBURG: Jan, HipHop, Disco, Trap, Afrobeat, Dub – alles drauf auf deinem neuen Album. Hast du dir vorgenommen, möglichst viele Genres in den Songs unterzubringen, oder ist das einfach so passiert?

Jan: Als ich mit meinem musikalischen Partner und Produzenten Tropf zum ersten Mal über neue Songs gesprochen habe, meinte er: „Wenn wir ein neues Jan Delay-Album machen, dann halten wir uns nicht an ein Genre, auch nicht an eine Parole – wir machen nur, was uns Spaß macht!“ Das war auch mein Wunsch. Außerdem war mir wichtig: Fokus immer auf gute Laune! Ich wollte eine positive Platte machen, also das Gegenteil von meiner zuletzt erschienenen Platte.

Keinen Mittelfinger, kein „Leckt mich alle am Arsch, ihr seid alle scheiße!“ Was natürlich nicht bedeutet, dass man nicht auch mal ernste Themen anschneiden darf …

… was du jetzt ja auch mit Zeilen wie „Es sind finstere Zeiten“ tust. Wobei du damit nicht die Corona-Krise meinst, denn die Songs sind bereits vor der Pandemie entstanden.

Genau. Wovor ich damals Angst hatte und heute noch habe: die Klimakatastrophe und der Rechtsruck. Ich wollte diese Themen auf der Platte haben – aber mit positiven Gedanken besetzt.

Inwiefern?

Insofern, als dass, wenn man über so etwas redet, jemandem auch ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Man kann auch Songs zu solchen Themen machen, zu denen man tanzen und feiern kann. Songs, die Kraft geben. Denn: Feiern bedeutet ja nicht immer nur, dass man am nächsten Tag einen Kater hat, sondern auch, dass man aus der Feier neue Energie geschöpft hat. So geht es mir zumindest. Und wer es will, der kann es mit diesem Album genauso machen.

Man muss übrigens auch sagen, dass dieses die erste zeitgemäße Jan Delay-Platte ist. So was gab es ja bisher noch nicht. Selbst, als ich damals die Reggae-Platte gemacht habe („Searching For The Jan Soul Rebels“, 2001; Anm. d. Red.), war es keine Dancehall-Platte, sondern eine Roots-Reggae-Platte.

„Earth, Wind & Feiern“ hingegen sollte so werden, dass ich sie heute jederzeit auflegen kann. So, dass die Songs im Club nicht abkacken, wenn sie zwischen Cardi B und Major Lazer laufen.

Boogie und Disco im Hier und Jetzt

Wie seid ihr vorgegangen, um das zu schaffen?

Wie Mark Ronson oder Bruno Mars: Wir haben alte Musikrichtungen, zum Beispiel Boogie oder Disco, ins Hier und Jetzt geholt. Wir hatten Sessions, in denen wir die Rhythmen fertig gemacht haben – und danach haben wir einfach die Drums rausgeschmissen und nachprogrammiert (lacht). So haben wir beides in die Songs bekommen: Den Vibe der Band und den Rumms der digitalen Technik.

Textlich machst du in Songs wie „Gestern“ klare Ansagen zur musikalischen Ausrichtung, wenn du etwa singst: „Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“ …

… stimmt! Wobei ich das auch mit einem zwinkernden Auge singe. Ich liebe die Musik, die ich früher gemacht habe, schließlich auch. Ich komme ja von da. Es gibt nur oft so ein paar Nasen, die sagen: „Mach doch mal wie früher! Mach doch noch mal Reggae, das war so geil!“ Aber ich habe das ja schon gemacht, warum sollte ich das noch mal machen? Wäre doch bescheuert!

Übrigens habe ich den „Nichts ist so kalt wie …“ Satz gemopst – von Sven Regener. Ich habe ihn mal in einer Talkshow gesehen, und da hat er den gesagt. Hat mich total weggeballert, der war zu gut! Deswegen habe ich den Satz im Song benutzt.

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Du hast vorhin erwähnt, es sollte keinen Mittelfinger auf der Platte geben. Ein bisschen anti bist du aber schon, zum Beispiel im Song „Spaß“, wenn es heißt: „Sie hatten alle noch nie Spaß, und darum sind sie voller Hass. Sie wissen gar nicht, wie das geht, wie man liebt und wie man lebt.“

Hier geht es um die Ursprünge des besorgten Bürgers. Der Begriff „besorgter Bürger“ beschreibt die Anfänge des Rechtsrucks, der AfD und dieses ganzen Krams. Da muss man dann auch mal anti sein. Bei Umweltzerstörung, Rassismus und Faschismus bin ich immer anti. Trotzdem geht der Song auf eine unterhaltsame Weise mit all dem um. Er soll kein Referat sein, sondern rütteln, bewegen, Emotionen auslösen.

Wie ist es eigentlich, wenn du dich textlich mit den genannten Themen, bei denen du anti bist, beschäftigst: Regst du dich dann noch mehr darüber auf oder ist das Schreiben ein Stück weit ein Ventil und beruhigt dich?

Gute Frage (überlegt lange). Es ist eine Art Beschäftigungstherapie. Die Frage ist letztlich: Wohin mit meiner Wut? Schlage ich in einen Sandsack? Oder schreibe ich etwas dazu auf? Jeweils ist die Lage danach kein bisschen besser – aber vielleicht geht es mir ein bisschen besser, weil ich Dampf abgelassen habe. Es gibt auch Momente, wenn ich zum Beispiel einen Brief oder eine Mail von Leuten bekomme, die „danke“ sagen für etwas, das ich in einem Song transportiert habe, weil es ihnen geholfen hat. Da denke ich dann: Krass! Geil!

Man bekommt die Wirkung von den eigenen Texten ja oft gar nicht mit. Aber die Chance auf eine solche Wirkung besteht, wenn man etwas rausbringt, und das ist sehr viel wert.

„Hamburg, die pompöse Kulturstadt! Am Arsch!“

Als „Advanced Chemistry“ erschien, sagtest du uns im Interview, dass wenn Deutschland im Ganzen ein bisschen mehr wie Hamburg wäre, es in der Gesellschaft auch weniger Angst vor Fremden gäbe …

… ja, das denke ich immer noch.

Du hast es begründet mit der Offenheit Hamburgs, die der Hafen den Leuten nahelegen würde. Denkst du, dass Hamburg auch in der jetzigen Corona-Krise ein Stück weit Vorreiter war und ist für das gesamte Land, etwa, was die Politik angeht?

Nein, leider nicht. Was ich wirklich als Schlag ins Gesicht empfand, war, als erst nach einem gefühlten halben Corona-Jahr die ersten Hilfspakete von je 2.500 Euro eintrudelten – und in der Pleitestadt Berlin die selbstständigen Kreativen 5.000 Euro bekamen. Da war ich richtig sauer. Hamburg, die pompöse Kulturstadt! Am Arsch! Hamburg hat sich da während der Pandemie kein bisschen mit Ruhm bekleckert.

Auf kleine Liebeserklärungen an Hamburg verzichtest du allerdings auch auf „Earth, Wind & Feiern“ nicht.

Wenn ich über Hamburg meckere, dann wie eben in einer speziellen Sache. Da haben die Leute, die in Hamburg das Sagen haben, Scheiße gebaut. Aber das tut meiner Liebe zu Hamburg keinen Abbruch. Alles, was ich bin, bin ich wegen dieser Stadt. Die Musik, die ich mache, mache ich wegen dieser Stadt. Meine Offenheit, meine Toleranz – die habe ich von Hamburg. Wenn es Hamburg nicht geben würde, würde es auch diese Platte nicht geben.

Ich gehe den Leuten anderswo in Deutschland auch schon auf den Sack mit meiner Hamburg-Liebe (lacht). Die wird nie aufhören.

Wo in Hamburg würdest du denn am liebsten eine Release-Party für das neue Album machen?

Im Fernsehturm, für ein paar seelige Wenige. Danach würde ich auch gerne mit der Platte im Millerntor-Stadion spielen. Aber das haben wir mit den Beginnern schon drei Jahre hintereinander versucht, zusammen mit dem Verein und dem Präsidenten. Wir wollten es alle unbedingt. Aber der Bezirksamtsleiter hat es wegen einer DB-Beschränkung nicht zugelassen. 91 DB ist die Grenze. Zum Vergleich: Wenn St. Pauli ein Tor schießt und der Blur-Song ertönt, sind das 105 DB.

Also nicht im Millerntor-Stadion. Aber sehr gerne auf der Trabrennbahn. Dort herrscht eine tolle Atmosphäre und man kann so laut sein, wie es Spaß macht.

„Earth, Wind & Feiern“ ist am 21.5. auf Vertigo Berlin/ Universal erschienen


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juni 2021. Das Magazin ist seit dem 29. Mai 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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