„Kangal“: Das Buch, dass zu Anna Yeliz Schentke kam

Mit dem Debütroman gleich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises zu landen, das muss man erst mal schaffen – so geschehen im Falle der heute 33-jährigen Autorin Anna Yeliz Schentke. Ihr Roman „Kangal“ sorgte nach Veröffentlichung für ordentlich Aufsehen und kommt nun als Taschenbuch heraus. Im Gespräch verrät Anna Yeliz Schentke, wie sie überraschend Schriftstellerin wurde
„Ich denke lange nach, brüte“: Anna Yeliz Schentke (©Robert Schittko) 

SZENE HAMBURG: Anna, vor zwei Jahren erschien dein gefeierter Debütroman „Kangal“, den es nun auch als Taschenbuch gibt. Wie bist du seinerzeit zum Schreiben gekommen?

Anna Yeliz Schentke: Ich bin jetzt 33, habe mich mit 29 Jahren spontan für einen Kurs zum kreativen Schreiben an der Uni angemeldet und dort auch meinen ersten literarischen Text geschrieben. Leiter des Kurses war der Autor Lennardt Loß, der mich ermutigte, meinen Text bei einer Schreibwerkstatt einzureichen. Im gleichen Jahr war ich dann bei der Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung eingeladen und habe dort weiter an dem Text gearbeitet.

Wie kam dir dann die konkrete Idee, mal wirklich ein Buch zu schreiben?

Ich hatte Glück, dass das Buch zu mir kam. Über ein paar Ecken kam der erste Text zum Fischer Verlag und landete auf dem Schreibtisch meiner jetzigen Lektorin, die mich dann – für mich überraschend – anrief.

Eine der faszinierendsten Eigenschaften von Literatur: Dass sie selbstständig sein kann

Anna Yeliz Schentke 

Für all diejenigen, die „Kangal“ womöglich noch nicht gelesen haben: Worum geht es darin?

Es geht darum, wie sich das Leben verschieben kann, wenn man in einem Land mit einem repressivem Staat wohnt. Wie die politische Situation in jeden Bereich des Lebens einsickert, auch in intime Beziehungen, Freundschaft, Familie.

Also ein Thema, das derzeit ja aktueller ist denn je. Wie bist du seinerzeit auf die Idee dazu gekommen?

Ich würde nicht von Eingebung sprechen wollen, aber thematisch hat mich das sehr beschäftigt. Und natürlich lebt jedes Schreiben auch von Gesprächen und Diskussionen – sowohl mit sich selbst als auch mit anderen.

„Kangal“ auf der Longlist Deutschen Buchpreis 2022 

Kangal erschien erstmals 2022 im S. Fischer Verlag (©S. Fischer Verlag)

Du hast eben deine Teilnahme an der Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung erwähnt. Wie muss man sich konkret vorstellen?

Man trifft sich, in meinem Fall, mit neun anderen Personen, die einen kurzen Text verfasst haben und spricht in sehr konzentrierter Weise über mehrere Tage gemeinsam mit den Leiterinnen und Leitern der Werkstatt darüber. Bei mir waren das Judith Kuckart und Joachim Helfer.

War diese intensive Arbeit an und Diskussion über literarische Texte für dich als, damals noch angehende, Autorin hilfreich?

Es hat in gewisser Weise den Grundstein dafür gelegt, dass ich weitergeschrieben habe. Dadurch, dass ich vorher nicht geschrieben habe, war es eine enorm ermutigende Erfahrung, für einen Text eingeladen zu werden. Die Jury kannte mich nicht, es ging in erster Linie ums Wort. Mir wurde also klar, dass es auch für mich möglich sein könnte, nur durch das Schreiben in irgendeine Art und Weise in Kommunikation zu treten. Ich finde, das ist eine der faszinierendsten Eigenschaften von Literatur: Dass sie selbstständig sein kann.

Wie lange hast du damals konkret an „Kangal“ gesessen, von der ersten Idee bis zur Abgabe?

„Kangal“ ist Ergebnis des ersten Texts, den ich 2019 verfasst habe. An dem Roman habe ich etwa ein Jahr lang gearbeitet.

Wie hast du dich damals finanziert?

Ich habe an der Uni gearbeitet und noch studiert.

Das Buch hat dann auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 gestanden. Wie war das, als du davon erfahren hast?

Ich habe nicht damit gerechnet, war sehr aufgeregt und habe mich gefreut. Es war eine der wenigen Möglichkeiten, mal mit anderen Autor:innen in Kontakt zu kommen. Als der Roman erschienen ist, fiel noch viel durch die Pandemie aus. Ich war mit „Kangal“ dementsprechend auch nicht auf der Leipziger Buchmesse. Umso spannender war es dann für mich, dass „Kangal“ auf der Longlist stand.

Hat dieser Umstand – also: dass du auf der Longlist standest – auf dich als Autorin einen Einfluss gehabt?

Das finde ich schwierig zu beantworten. In erster Linie hat es für mehr Aufmerksamkeit gesorgt, sodass ich noch eine Vielzahl an Lesungen bis ins Jahr 2023 hatte.

Freundschaft hat viele Facetten 

Wenn jemand eine Idee für einen Roman hat und versuchen möchte, ihn zu schreiben und zu veröffentlichen: Welche Tipps würdest du mit deiner Erfahrung mit „Kangal“ geben?

Ich bin insofern keine gute Ratgeberin, als dass ich mir nie überlegen musste, wie ich es zur Publikation schaffen könnte. Prinzipiell würde ich vielleicht sagen: Einfach immer schreiben und sich für Schreibwerkstätten bewerben. Dort dann über den Text sprechen, dann weiter schreiben.

Wie hältst du das während des Schreibprozesses: Liest du dann keine anderen Bücher, um dich nicht beeinflussen zu lassen, oder liest du dann gerade besonders viel, um dir Inspiration zu holen?

Ich habe bei „Kangal“ tatsächlich darauf geachtet, keine anderen Bücher zu lesen. Heute kommt es mir ein bisschen albern vor – wir sind ja immer beeinflusst von den Gesprächen, die wir führen; von den Erlebnissen, die wir machen; von den Büchern, die wir lesen.

Schreiben ist immer eine Auseinandersetzung

Anna Yeliz Schentke

In „Kangal“ geht es unter anderem um Freundschaft – etwas, das sich häufig nur schwer beschreiben lässt, weil Freundschaft generell sehr vielfältig und eben auch sehr individuell ist. Wie gehst du es an, wenn du über so einen abstrakten Begriff schreibst, um ihn wirklich „fassen“ zu können?

Es ging mir beim Schreiben nicht in erster Linie um Freundschaft, sondern um konkrete Beziehungen und Leben, die durch den repressiven Staat zerrieben werden. Durch Angst, durch Willkür, durch Verrat. Freundschaften spielen dabei auch eine Rolle, aber auch andere Formen des Miteinanders.

Auch der Umstand, dass wir derzeit in sehr unsicheren Zeiten leben, hat Einzug in deinen Roman gefunden. Nun, zwei Jahre später, sieht es fast noch schlimmer aus. Hättest du „Kangal“ heute anders geschrieben?

Ich hätte „Kangal“ immer irgendwie anders geschrieben. Auch zwei Wochen nach Veröffentlichung. Bestimmt hätte ich nach der Wahl einen anderen Roman geschrieben – grundsätzlich ist die Stimmung in „Kangal“ aber noch genauso aktuell.

Machst du dir im Alltag viele Notizen?

Nein. Aber ich denke lange nach, brüte. Dann schreibe ich.

Auseinandersetzung oder Therapie?

Als du seinerzeit die Rezensionen über „Kangal“ gelesen oder mit anderen Menschen darüber gesprochen hast, kam es da vor, dass du neue Dinge am Buch entdeckt hast, die dir nicht bewusst waren?

Ja, immer. Meistens finde ich das ganz großartig. Einen Raum eröffnet zu haben, ohne das geplant zu haben. Der eigene Text wird mir fremd, was vielleicht das größte Glück ist: Selbst einen Abstand zum Geschriebenen finden zu können.

Entdeckst du dich beim Schreiben auch manchmal selbst neu? Weil du dich zum Beispiel mit Themen auseinandersetzt, mit denen du dich vorher noch nie (oder zumindest nicht so intensiv) beschäftigt hast?

Ja, das kommt häufig vor. Vor allem auch bei Themen, bei denen ich dachte, dass ich mich bereits viel auseinandergesetzt habe. Schreiben funktioniert ja anders als recherchieren und anlesen. Und Figuren können auch ihre eigenen Züge bekommen – sie können unsympathisch sein, dumm, unsensibel, wütend und müssen trotzdem mit gleicher Ernsthaftigkeit geschrieben werden. Es fühlt sich dann an wie ein Kennenlernen im Schreiben, dass zur großen Herausforderung werden kann. Konfrontativ, schmerzhaft, aber auch lustig.

Hat Schreiben für dich etwas Therapeutisches?

Der Begriff des Therapeutischen im Zusammenhang mit dem Schreiben finde ich schwierig. Schreiben ist, zumindest für mich, immer eine Auseinandersetzung. Eine Auseinandersetzung hat aber per se noch nichts Therapeutisches.

Arbeitest du bereits an einem neuen Buch?

Darüber kann ich leider noch nichts verraten.

Anna Yeliz Schentke: „Kangal“, S. Fischer, 208 Seiten, 13 Euro

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 04/2024 erschienen.

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