SZENE HAMBURG: Lennart, was machst du genau bei deinen Stopps auf der LITERADTOUR?
Lennart Schaefer: Das kommt darauf an, wo ich Halt mache. In den Buchhandlungen führe ich meistens Interviews und schneide im Anschluss YouTube- und Instagram-Reels für meine Social-Media-Kanäle. In einigen Buchhandlungen erzähle ich auch von meiner Tour und stelle Bücher vor. In Verlagen treffe ich des Öfteren Autorinnen und Autoren zum Gespräch. Wenn ich Schulen besuche, erarbeite ich mit den Kindern im Gespräch, wie Bücher entstehen. Im Allgemeinen lässt sich aber sagen, dass ich die Orte, die ich besuche, porträtiere.
Wie bist du zu der Idee der LITERADTOUR gekommen?
Da kamen viele Parameter zusammen. Mit 17 hatte ich bereits einen Blog über Jugendbücher. Für diesen bin ich damals nach Berlin gefahren und habe dort eine Woche lang Verlage und Buchhandlungen interviewt. Schon da entstand in mir der Wunsch, Ähnliches für ganz Deutschland realisieren zu können. Nach dem Abitur habe ich eine Fahrradreise durch Europa gemacht, was meine Liebe zum Fahrradfahren nur noch vertieft hat. Anschließend habe ich in der Buchbranche gearbeitet und dort vermehrt mitbekommen, dass das Buch an sich ein schlechtes Image ohne Zukunft hat. Das hat mich in meinem Vorhaben nochmals bestärkt. Ich möchte irgendwas tun, um diesen doch spürbaren Rückgang an Lesenden aufzuhalten, wieder mehr Motivation zum Lesen zu geben und aber auch zu zeigen, dass es dem Buch gar nicht so schlecht geht. Wenn man sich das Kinosterben oder Musikerinnen und Musiker anschaut, die nur noch über Events Geld verdienen, aber nicht mehr von ihrer Musik leben können, wird deutlich, dass das Buch das einzige Medium ist, das die Digitalisierung erfolgreich überstanden hat.
Warum machst du deine Reise auf dem Fahrrad?
Vor allem ist es ein durch die Bewegung ein super Ausgleich zur Kopfarbeit. Und ich habe auf dem Fahrrad das perfekte Tempo um viel in kurzer Zeit zu bereisen, dazwischen aber auch die Zeit, zu sortieren und wahrzunehmen. Zudem nutze ich die Fahrtstrecken auch gerne selbst zum Hören von Hörbüchern.
Das Buch ist das einzige Medium, das die Digitalisierung erfolgreich überstanden hat.
Lennart Schaefer
Was sind deine größten Herausforderungen auf der Tour?
(Lacht) Vor allem die Wege. Entweder man fährt auf einer Bundesstraße auf der man permanent Gefahr läuft von einem Auto überfahren zu werden oder ziemlich schwer befahrbare Pfade in Wäldern, auf denen man nicht vorankommt – wirklich ideale Fahrradbedingungen gibt es eher selten. Ich organisiere außerdem alles um meine Tourtermine und so weiter alleine, wodurch mir oft die Zeit fehlt. Vier Stunden mehr pro Tag wären super.
Wie viele Bücher hast du in deinem Lastenfahrrad dabei?
Tatsächlich nur acht. Ein Bilderbuch, ein Jugendbuch und sechs Bücher für Erwachsene. Viele sind grade von dem riesigen Angebot, das ihnen überall begegnet, erschlagen und können sich aus der Überforderung heraus nicht festlegen. Dem will ich entgegenwirken. Für Kinder habe ich „Malte & Oßkar und das Glück, Pech zu haben“ im Gepäck – eine Geschichte über Angst und Mut, inspiriert von Malte Zierden und seiner Taube Oßkar. Für Jugendliche habe ich den Klassiker „Percy Jackson – Diebe im Olymp“ dabei. Und für Erwachsene unter anderem den Bestseller von Tahsim Durgun „Mama, bitte lern Deutsch“, in dem es um die Realitäten migrantischer Familien in Deutschland geht, oder „Zwei Menschen, die sich mal nackt gesehen haben“ von Anika Decker – eine romantische Komödie, die auch Themen wie toxische Männlichkeit oder MeToo aufgreift. Die Auswahl habe ich auf Grundlage dessen getroffen, was mir selbst gefallen hat und was ich für leicht zugänglich für alle, gleichzeitig aber qualitativ hochwertig halte. Genremäßig bin ich da breit gefächert.
Wie schaffst du es, die Menschen wieder für das Lesen zu begeistern?
Viele wollen schon von sich aus wieder mehr lesen, der letzte Impulsgeber fehlt ihnen dann aber noch. Ein Großteil berichtet, dass ihnen zum Lesen die Ruhe fehle, was ein Widerspruch ist, denn das Lesen bringt die Ruhe, nach der alle suchen ja mit sich. So gibt es beispielsweise auch Studien die zeigen, dass Lesen Stress reduziert – das vermittle ich bei meiner LITERADTOUR.
Die einen möchten Themen mit mehr Tiefe durchdringen können. Die anderen wollen genau das Gegenteil – Eskapismus und Ablenkung.
Lennart Schaefer
Gibt es Reaktionen auf deiner Reise, die dich überraschen oder berühren?
Mir passiert es oft, dass ich bei Pausen außerhalb meiner Termine angesprochen werde. Meist zuerst auf mein Lastenrad und dann kommen wir ins Gespräch zur LITERADTOUR und das Lesen. Ich glaube, dadurch, dass ich nur so kurz zum Gespräch zur Verfügung stehe, öffnen sich die Menschen viel schneller. Es entsteht ein anonymer, zeitweiliger Raum – fast wie ein Beichtstuhl. Viele berichten in diesem Szenario schnell, was sie grade im Leben beschäftigt und vom Lesen abhält. Das sind oft sehr tiefgehende Gespräche, die ich führe. Diese Offenheit und das Vertrauen überraschen mich immer wieder.
Gibt es aus deiner Sicht Genres, die besser ankommen als andere, wenn ja, welche?
Es gibt da aktuell ganz klar zwei Strömungen. Die einen interessieren sich aufgrund der derzeitigen Weltlage vermehrt für Sachbücher und möchten mehr Themen mit Tiefe durchdringen können. Die anderen wollen genau das Gegenteil – Eskapismus und Ablenkung. Laut einigen Buchhändlerinnen und Buchhändlern, mit denen ich gesprochen habe, laufen in Buchhandlungen seit einiger Zeit die leichten Romane deutlich besser.
Wirst du über dein Konzept und deine Reise selbst irgendwann ein Buch schreiben?
Ja. Ich hatte von Anfang an das Motto „Eine Reise zum Buch braucht auch ein Buch zur Reise“. Das Ganze wird aber nicht nur ein reiner Reisebericht, sondern vielmehr eine Deutschlandbetrachtung aus der Sicht des Buches und der Buchlandschaft.