Fußballer sind echte Kerle. Muskulös. Hart im Nehmen. Homosexualität ist in dieser Branche ein Tabuthema wie in kaum einer anderen, auch wenn sich einige wenige Vereine wie der 1. FC St. Pauli klar für eine offene Geisteshaltung aussprechen. Welche Seelenqualen das für einen schwulen Spieler bedeutet, zeigt Marcel Gislers Drama „Mario“. Wir haben mit dem Regisseur gesprochen
Zuerst sieht Mario (Max Hubacher) den Neuen in der Mannschaft nur als Konkurrenten. Auch Leon (Aaron Altaras) ist Stürmer, und nur einer von ihnen beiden – wenn überhaupt – wird den begehrten Profivertrag für die kommende Saison erhalten, auf den alle Spieler der U21-Mannschaft des Berner Clubs YB Young Boys schon ihr ganzes Leben lang hingearbeitet haben. Entsprechend erbittert ist der Konkurrenzkampf unter den jungen Männern.
Doch spätestens, als Mario sich mit Leon eine Spielerwohnung teilen muss, verändern sich seine Gefühle. Aus Misstrauen und Ablehnung wird Freundschaft, schließlich aus Freundschaft Liebe. Eine unmögliche Liebe, die sie öffentlich nicht zeigen dürfen – Sponsoren, Fans, sie alle würden das Paar verurteilen.
Ihr Marktwert? Im Keller. Die Karriere vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. „Es gibt Sachen, die gehen einfach nicht!“, faucht Marios Berater ihn an, als die Beziehung schließlich doch auffliegt. Homosexualität ist dabei aus seiner Sicht in einer Liga mit Drogen oder Sex mit Minderjährigen zu sehen. Das Versteckspiel, der innere Kampf gegen die eigenen Gefühle, die Sticheleien der Mannschaftskollegen werden immer unerträglicher, bis Mario und Leon daran zu zerbrechen drohen und eine Entscheidung fällen müssen.
Die Geschichte, die Regisseur Marcel Gisler selber mitgeschrieben hat und in der auch der 1. FC St. Pauli eine Rolle spielt, scheint zu Beginn sehr absehbar. Doch einige überraschende Twists, eine feinfühlige Kamera und vor allem die tolle Schauspielleistung Max Hubachers, der scheinbar mühelos die komplette emotionale Bandbreite von glücklicher Verliebtheit bis hin zu abgrundtiefer Verzweiflung abrufen kann, lassen den Zuschauer intensiv an der zermürbenden Seelenqual des Protagonisten teilhaben. Während Homosexualität in unserer heutigen Gesellschaft weitgehend akzeptiert ist, hinkt die Fußballwelt hier noch weit hinterher. Gut, dass Marcel Gisler das einmal auf so beeindruckende Weise auf die Leinwand holt.
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Regisseur Marcel Gisler im Interview
SZENE HAMBURG: Marcel Gisler, wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Marcel Gisler: Die Idee stammt von einem meiner Co-Autoren. Als er damit ankam, war ich überzeugt, dass es schon einen Film über eine schwule Liebe im Profifußball geben müsste, weil das Thema seit Jahren in den Medien sehr präsent war. Tatsächlich gab es aber noch keinen langen Spielfilm. Das war sicher einer der Gründe, warum wir ihn machen wollten. Und obwohl angeblich in Deutschland zwei andere Projekte mit dem gleichen Thema in Entwicklung waren, ist „Mario“ offenbar nun doch der erste Langspielfilm im deutschsprachigen Raum, der versucht, diese Problematik realistisch abzubilden.
„Es herrscht eine Mauer des Schweigens“
Auf mich wirkt er tatsächlich sehr authentisch. Wie haben Sie recherchiert? Haben Sie mit betroffenen Spielern gesprochen?
Nein, da herrscht ja eine große Mauer des Schweigens. Man kann nicht mit aktiv spielenden schwulen Profifußballern sprechen, weil die sich aus mir inzwischen nachvollziehbaren Gründen ja nicht zu erkennen geben.
Ich konnte aber mit Markus Urban reden, der ein angehender, sehr vielversprechender junger Fußballer war, der die Karriere dann aber abgebrochen und sich später geoutet hat. Er hat mir wertvolle Inputs für die Geschichte gegeben und mir von dem immensen Druck erzählt, der ohnehin schon, auch unabhängig von der sexuellen Orientierung, auf Topspielern lastet. Und welch große zusätzliche Belastung dieses ständige Versteckspiel für einen schwulen Spieler bedeutet.
Haben Sie versucht, mit Thomas Hitzlsperger zu reden? Er ist ja bislang der einzige Topspieler, der sich geoutet hat.
Wir haben natürlich versucht, einen Termin bei ihm zu bekommen, aber das hat leider nicht geklappt, sein Kalender ist wohl immer sehr voll. Wäre aber toll, wenn er sich öffentlich zum Film äußern oder sich auf einer der Premieren zeigen würde.
Sein Outing wurde ja von vielen Seiten sehr positiv aufgenommen. Ich hatte erwartet, dass das vielleicht zu einer größeren Akzeptanz von schwulen Spielern führen würde…
Ja, sein Outing war 2014, da waren wir gerade mitten in der Drehbuch-Phase und ich befürchtete, dass weitere Outings folgen werden und das Thema keinerlei Relevanz mehr hätte. Aber da hat sich nichts getan. Es gab eine Phase, in der der DFB etwas aktiver war in dieser Richtung, aber das ist relativ schnell wieder abgeflaut.
Der FC St. Pauli kommt im Film gut weg. Im Gegensatz zu dem Berner Club YB, wo die „Film“-Funktionäre enormen Druck auf Mario ausüben. Waren die gleich bereit, da mitzumachen und ihren Namen herzugeben?
Ja, erstaunlicherweise schon. Ich denke, die treibende Kraft war da der ehemalige Sportchef Fredy Bickel. Es gab keinerlei Einwände oder Zensur, weder beim Drehbuch noch beim fertigen Film. Ich durfte auch die U21 eine Weile begleiten, um unabhängig vom Schwulenthema die Fußballwelt hinter den Kulissen realistisch beschreiben zu können, da hatte ich kaum Ahnung.
Wieso, sind Sie denn kein Fußballfan?
Nein, eigentlich nicht. Ich verfolge die großen Turniere, die WM, die EM. Mein Motiv, den Film zu machen, lag eher in der Kombination und Reibung der beiden Themen Profisport und Homosexualität.
„Der Konkurrenzkampf in der U21 ist enorm“
Sehr erschreckend fand ich die feindselige Reaktion der Mitspieler. Ich hätte gedacht, in so einer Mannschaft geht es loyaler zu.
Gerade in der U21 ist der Konkurrenzkampf enorm, weil meist nur ein, zwei Spieler pro Jahrgang den Profivertrag bekommen, wenn überhaupt. Da hängen so viele Wünsche, Träume und jahrelanges Hinarbeiten dran, von den Spielern wie auch deren Familien und Beratern. Da gibt es dann schon den einen oder anderen Spieler, der die vermeintliche Schwäche eines Konkurrenten dazu benutzt, um die eigene Position zu verbessern und den Gegner psychologisch zu destabilisieren. Mit Homophobie hat das dann meist eher weniger zu tun.
Sie haben gerade schon die Familien erwähnt. Eine verstörende Figur ist Marios Vater, der seinen eigenen Ehrgeiz und seine eigenen Träume auf den Sohn projiziert. Ist der Film auch ein Wink an Helikoptereltern?
Nicht allgemein, nein. Aber das mit den überehrgeizigen Eltern habe ich beobachtet während meiner Recherche. Hätten wir die Zeit gehabt, ihn noch ein bisschen aufzufüttern, hätte ich das gemacht (lacht).
Wie ist es denn eigentlich in der Filmbranche? Ich hätte gefühlsmäßig gesagt, dass Homosexualität da überhaupt kein Problem ist. Aber tatsächlich fallen mir spontan nicht allzu viele Schauspieler oder Regisseure in der ersten Riege ein, die sich freiwillig geoutet haben.
Da kann man durchaus eine Parallele zum Profifußball ziehen: Um je mehr Geld es geht, desto zurückhaltender sind die Filmschaffenden. Gucken Sie mal nach Hollywood, da gibt es kaum jemanden, der offen schwul ist. Bei Kevin Spacey gab es zwar schon länger Gerüchte, aber erst durch die Belästigungen kam es wirklich ans Licht.
„Schwule Schauspieler tun sich schwer, sich zu outen“
Wobei da doch die Belästigungen das Problem waren, nicht die Tatsache, dass er schwul ist …
Ja, natürlich, aber freiwillig hätte er sich wohl kaum geoutet, und es war sehr ungeschickt von ihm, es just in dem Moment zu tun. Je höher der Marktwert, der Brand eines Schauspielers ist, desto weniger wird derjenige es wagen, sich zu outen. Männer, die oft den heterosexuellen Liebhaber spielen, werden sich hüten, diese Projektionsfläche zu zerstören. Ich weiß aus dem deutschen Filmmilieu, dass schwule Schauspieler sich häufig sehr schwer tun, auch gegenüber der Crew und Kollegen.
Haben Sie eigentlich vor den Young Boys andere Vereine gefragt, die nicht beim Film mitmachen wollten?
Nein, wir haben uns vorher beim Präsidenten der Swiss Football League erkundigt, welche Vereine seiner Meinung nach aufgrund ihrer Clubkultur infrage kommen. Er hat unter anderem Bern als sehr offenen Verein genannt, und weil das finanzierungstechnisch auch gut passte, haben wir da zuerst angefragt. Überraschenderweise stimmte YB sofort zu. Dabei hatten wir befürchtet, einen Fantasie-Club erfinden zu müssen.
Haben Sie von anderen Fußballclubs schon Reaktionen auf den Film bekommen?
Bislang war das Feedback aus Fußballkreisen sehr spärlich, obwohl der Film bereits in mehreren Ländern im Kino lief. In der Schweiz kamen einige Funktionäre zu den Premieren in den jeweiligen Städten, aber von Spielern, auch von heterosexuellen, habe ich überhaupt nichts gehört, auch nicht, ob da intern irgendwie darüber geredet wird. Nur aus Deutschland habe ich inzwischen von einigen Insidern gehört, dass der Film innerhalb der Fußballszene sehr wohl bemerkt wird, allerdings in manchen Fällen nicht unbedingt auf positive Resonanz stößt. In Fußball-Deutschland hat man nach der Özil-Story und der verpatzten WM andere Probleme, da stößt es wohl manchen auf, dass mit dem Film nun noch ein weiteres Thema aufpoppt.
Mir wurde aber auch gesagt, dass schwule Spieler sich wahrgenommen und gut dargestellt fühlen durch den Film.
Und gab es Reaktionen vonseiten der Fußballfans, gerade von den Young Boys?
Ja, von den ganz liberalen Fans, die haben mir geschrieben, dass sie es großartig finden. Aber das waren nur wenige.
Keine Hass-Mails?
Nein. Gar nicht.
3 Fragen an Andreas Rettig, Geschäftsführer des FC St. Pauli
SZENE HAMBURG: Herr Rettig, ist der Film realistisch?
Andreas Rettig: Die Auszüge aus dem Film, die ich bislang gesehen habe, schienen für mich realistisch zu sein, allerdings kann ich das abschließend nicht beurteilen, da ich nicht in der Position des Spielers bin, der vor der Frage steht, ob er seine Homosexualität öffentlich machen will oder nicht.
Wäre es beim FC St. Pauli anders, wenn sich ein Spieler outen würde? Falls ja, warum?
Wir als Verein setzen uns stark für den Kampf gegen Homophobie ein. „Nur die Liebe zählt“ ist ein Slogan, der über einem Bild sich küssender Männer steht, das man auf unserer Gegengerade sehen kann. Die Regenbogenfahne weht auf unserem Stadiondach. Und das tun wir aus Überzeugung. Als Fußballverein kann und sollte man ein möglichst offenes und unterstützendes Umfeld als Voraussetzung für ein Outing schaffen. Aber ob sich ein Spieler outet, kann er nur allein für sich entscheiden. Die Outing-Frage bezieht sich ja schließlich nicht nur auf seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz.
Warum ist Homosexualität im Männerfußball überhaupt so ein Tabuthema?
Während Homosexualität in der Gesetzgebung mehr und mehr Anerkennung gefunden hat, braucht die Gesellschaft in vielen Teilen – auch im Fußball – länger. Es gibt in den Stadien homophobe Kurvengesänge und aufgrund des herrschenden Klimas weisen Berater Spieler darauf hin, welche, auch negative, Folgen ein Outing auf ihre Karriere haben kann. Zudem spielen in den Mannschaften Spieler aus verschiedensten Ländern, mit verschiedensten Glaubensansichten, mit verschiedensten Sozialisierungen zum Thema Homosexualität, was innerhalb der Mannschaften den Umgang mit Homosexualität nicht vereinfacht. Wie viel Kraft braucht da ein Spieler, sein Outing durchzuziehen? Zudem käme die Frage auf: Was bedeutet es, der erste Aktive zu sein, der sich outet? Es ist ganz wichtig, dass Thomas Hitzlsperger über seine Sexualität spricht. Aber selbst er hat das Thema über sechs Jahre mit sich herum- getragen und sich erst nach Karriereende geoutet. Er wird seine Gründe dafür gehabt haben. Bei diesem Thema hat der Fußball noch erheblichen Nachholbedarf.
Deutlich gesagt: Ein Kommentar von Maike Schade aus dem Filmressort
Um es mal mit den Worten des Filmfest-Chefs Albert Wiederspiel auszudrücken: „Wenn ich sehe, welche Filme in Berlin zu sehen sind, die hier nie herauskommen, dann blutet mir das Herz.“ Tatsächlich tauchen viele kleine, aber feine Indie- oder Arthouse-Filme oder auch Dokumentationen nicht in den Programmen der Hamburger Kinos auf. Stattdessen jedes Jahr in den Top-Listen: Remakes und dritte, vierte, fünfte Teile eines Kassenschlagers mit Riesen-Merchandising.
Als bei der Redaktionskonferenz für diese Ausgabe der SZENE die Themen besprochen wurde, waren wir uns aber sicher, dass „Mario“ irgendwo anlaufen würde – schließlich wurde das Drama teilweise in Hamburg gedreht, auch der 1. FC St. Pauli spielt eine Rolle. Falsch gelegen: „Mario“ startet voraussichtlich nicht in Hamburg (Stand Redaktionsschluss). Wer diesen wichtigen, berührenden Film sehen möchte, konnte es wahrscheinlich nur auf dem Filmfest Hamburg oder bei den Lesbisch-Schwulen Filmtagen. Traurig, aber wahr.
Mario: Regie: Marcel Gisler. Mit Max Hubacher, Aaron Altaras, Jessy Moravec. Ab 18.10. (Bundesstart)
Alle Texte und Interview: Maike Schade
Beitragsfoto: Pro Fun Media
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2018. Das Magazin ist seit dem 29. September 2018 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!