„Die Verantwortung, worauf ich im Netz anspringe, liegt bei mir“

Francoise Hüsges, Intendantin monsun.theater Hamburg
Leitet seit 2015 das monsun.theater: Regisseurin und Bühnenbildnerin Françoise Hüsges (©G2 Baraniak)

Der ursprünglich auf sechs Monate geplante Umbau des ältesten Off-Theaters Hamburgs, dem monsun.theater in der Friedensallee, dauert nun schon länger als zweieinhalb Jahre. Im Februar 2022 eröffnete es seine Interimsspielstätte in der Gaußstraße, wo Intendantin Françoise Hüsges jetzt mit „Das Bellen der Hunde“ dem Einfluss digitaler Algorithmen auf die freie Demokratie nachspürt

Interview: Sören Ingwersen

SZENE HAMBURG: Françoise, wie geht es euch an eurer neuen Spielstätte?

Françoise Hüsges: Sehr gut. Allerdings muss ich jetzt zwei Mieten zahlen, obwohl die Räume in der Friedensallee nicht genutzt werden können. Das ist eine große Belastung. Dazu kommen die möglicherweise hohen Nebenkosten in der Gaußstraße. Da müssen wir uns schon überlegen, wie oft wir bei den Proben den Starkstrom für die Strahler einschalten.

Das klingt nach einer etwas angespannten Arbeitssituation.

Zum Glück gibt es inzwischen eine Unterstützung durch die Stadt, trotzdem planen wir, durch eine komplette Umstellung auf LED den Stromverbrauch um zwei Drittel zu senken und damit klimaneutral zu werden.

Weniger Besucher:innen? Auch schon vor Corona!

Eineinhalb Jahrewar das monsun.theater obdachlos. Wie habt ihr diese Zeit überstanden?

Mein größtes Anliegen war, das die Künstler:innen weiter arbeiten können. Als ein provisorischer Spielbetrieb auf der Baustelle nicht mehr realisiert werden konnte, habe ich unsere Produktion „Bruchlinien“ für eine Aufführung in meiner Wohnung neu konzipiert, wo wir auch geprobt haben. Es gab zwei analoge Publikumsplätze, alle anderen Zuschauer:innen wurden digital zugeschaltet. Das passte in der Corona-Zeit ganz gut.

„Kultur kann man nicht abschaffen.“
Françoise Hüsges

Wie kommt ihr mit dem allgemeinen Publikumsschwund zurecht?

Den gab es auch schon vor Corona. Aber er hatte einen anderen Grund: ein zu großes Angebot verbunden mit Interesselosigkeit. Die aktuellen Gründe liegen eher in der großen Belastung durch die Kriegsherde, die jetzt überall aufpoppen. Das muss man erst einmal aushalten.

„Im Theater geht es immer um einzelne Menschen“

Womöglich werden wir erst in den nächsten Jahren merken, was Corona und der Krieg alles kaputt gemacht haben, wenn auch die Fördertöpfe kleiner werden …

Kultur kann man nicht abschaffen. Sie ist lebenswichtig und wird definitiv überleben. Aber die Leute brauchen immer etwas, in dem sie sich verlieren können und dürfen. Etwas worüber sie nachdenken können, sich freuen können und wobei sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen können.

Wohlfühltheater zur Ablenkung?

Nein, wir dürfen auch in die Tiefe gehen. Auch ernste Themen können wahnsinnig schön sein, zum Träumen einladen und positive Sichtweisen eröffnen. Kurz vor Kriegsbeginn hatte Ines Geipels „Umkämpfte Zone“ bei uns Premiere. Das war nicht ohne. Trotzdem war das Publikum sehr dankbar, dass es bei uns einen Raum für seine eigenen Gedanken hatte. Denn letztendlich geht es im Theater immer um einzelne Menschen – genau wie in unserem nächsten Stück.

„Diese Verantwortung liegt bei mir“

Das Bellen der Hunde; von Michael Alexander Müller; monsun.theater
Können nicht mehr miteinander reden: Paul (Sven Fricke, l.) und Vater Heinz (Michael Bideller) in „Das Bellen der Hunde“ (©G2 Baraniak)

Die Uraufführung von Michael Alexander Müllers „Das Bellen der Hunde“, mit dem du als Regisseurin und Bühnenbildnerin schon mehrere Stücke realisiert hast.

Es erzählt eine universelle Geschichte zwischen Vater und Sohn, die nicht mehr miteinander sprechen können. Der Vater ist im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen und wurde von seiner Lehrerin gepeinigt und geprügelt. Für ihn hat es Demokratie und Meinungsfreiheit niemals gegeben. Heute, mit 87 Jahren, driftet er in die rechte Gesinnung ab – obwohl er immer Mitte-Links gewählt hat – und spaltet dadurch die ganze Familie. Für den Sohn ist das schwer erträglich. Er arbeitet für die öffentlich-rechtlichen Medien, ist weltweit unterwegs und hat schon in vielen Kulturen die Demokratie scheitern sehen.

Im Stück geht es aber auch um digitale Medien und künstliche Intelligenz …

Wir betrachten das Ganze im Zusammenhang mit dem Internet, weil es nach unseren Recherchen einen großen Anteil an dieser gesellschaftlichen Entwicklung hat. Algorithmen wie der Wahl-O-Mat analysieren unsere Meinungen und Interessen und sprechen Empfehlungen aus, auf die wir selbst vielleicht nie gekommen wären.

Das heißt, der Algorithmus greift sich einen Aspekt meiner Persönlichkeit heraus und verstärkt ihn?

Genau. Man sagt zwar oft: Das Netz ist schuld. Dahinter steckt aber immer die Programmierung eines Menschen. Außerdem kann ich mich ja selbst entscheiden, welche Informationen von mir ich ins Netz hineingebe und worauf ich anspringe. Diese Verantwortung liegt bei mir. So entscheidet sich der Sohn im Stück für die Nutzung einer künstlichen Intelligenz, um wieder mit dem Vater ins Gespräch zu kommen.

Wie das?

Es gibt Apps – sogenannte personal emotional dialog systems –, die einem ermöglichen, mit Verstorbenen zu sprechen. Du nimmst deine Stimme auf, und nach deinem Tod können die Hinterbliebenen weiterhin mit dir reden.

Streaming? Wenn es passt, dann ja.

Klingt verrückt. Aber in vielen eurer Produktionen sind die neuen Medien ja auch Teil der theatralischen Präsentationsform …

In der Corona-Zeit haben wir diesen Zweig weiter ausgebaut und eine digitale Übersetzung von Theater geschaffen, die das Publikum in gleicher Weise involviert wie im Theatersaal. Wenn man mit einer entsprechenden Dramaturgie die Leute emotional und intensiv an Stoffe heranführt, haben sie fast das Gefühl, mit anderen Menschen gemeinsam einen Theaterabend zu erleben.

Werdet ihr die Streaming-Schiene weiterverfolgen?

Wenn es thematisch passt, auf jeden Fall. Toll ist, dass dann auch Leute dabei sind, die aus welchen Gründen auch immer, nicht ins Theater kommen wollen oder können. Wir hatten Publikum aus Neuseeland, das sich morgens beim Frühstück unsere „Bruchlinien“ angeguckt hat, und einen Studienkreis aus Bayreuth haben wir hinter das Sofa projiziert, als wir das Stück in meinem Wohnzimmer aufgeführt haben. Das war total irre.

„Probleme mit der Unzulänglichkeit von Leuten, die eigentlich ihren Job machen sollten.“
Françoise Hüsges

Mit dem Mixed-Abled-Festival „Aussicht“ habt ihr die aktuelle Spielzeit eröffnet. Nutzt ihr auch im inklusiven Bereich die Möglichkeiten des Digitalen?

Am Ende des Festivals haben wir im Rahmen der Theaternacht sechs Produktionen gezeigt und mitgestreamt. Da gab es ganze Wohngruppen, die nicht hätten kommen können, sich das aber am Bildschirm angucken konnten.

Viele Barrieren und wenig Bewegung

Wann geht es wieder zurück in die Friedensallee?

Dazu kann ich leider wenig sagen. In der Gaußstraße läuft der Mietvertrag nach zwei Jahren aus, dann kann ich ihn wohl noch um ein Jahr verlängern, bis das Gebäude laut jetzigem Plan wohl abgerissen wird. Aber der Umbau in die Friedensallee wird sich wahrscheinlich noch länger hinziehen. Eigentlich wollten wir uns mit der Sanierung weiterentwickeln und Barrieren abbauen, stattdessen sind vielen Barrieren aufgebaut worden.

Probleme mit der Baubehörde?

Probleme mit der Unzulänglichkeit von Leuten, die eigentlich ihren Job machen sollten.

Ging der Impuls für die baulichen Veränderungen vom Eigentümer aus?

Nein, von mir. Aber der Eigentümer war einverstanden. Inzwischen sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Ich würde jedem anraten, der eine städtisch geförderte Baumaßnahme vornehmen möchte, einen bautechnischen und juristischen Projektplaner zu Rate zu ziehen, der alle Beteiligten mit ins Boot holt. Solche Menschen werden leider nur bei größeren Projekten eingesetzt. Wir mit unserer öffentlichen Förderung von 820.000 Euro sind ja eine eher kleine Hausnummer. Mit einem Bausachverständigen, den ich erst ein Jahr später bekommen habe, als es schon ein riesiges Chaos gab, hätten wir uns einigen Ärger sparen können.

„Das Bellen der Hunde“ am 15. Dezember (Uraufführung) im monsun.theater (aktuell in der Gaußstraße), weiter Vorstellungen: 16. & 17. Dezember und 11. bis 14. Januar 2023
Tickets gibt’s für 13 bis 25 Euro (digital 8 bis 18 Euro)

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