Text:Marco Arellano Gomes
Zugegeben: Leicht zu erreichen ist das neue Montblanc Haus nicht. Kein Vergleich zum einstigen Unternehmenssitz mitten in der Schanze (bis 1989), wo noch heute denkmalgeschützte Embleme an den Eingängen der Volkshochschule prangen. Stattdessen: Hamburg-Stellingen, knapp 1000 Meter vom Volksparkstadion entfernt. Hier, direkt vor dem Hauptsitz und der eigenen Manufaktur, ließ das Hamburger Unternehmen nun also das Montblanc Haus bauen, eine Institution, die sich der Schreibkunst widmet. So viel vorweg: Die Reise lohnt sich.
„Wir hoffen, dass das Montblanc Haus in der Stadt Hamburg, die untrennbar mit der Geschichte und Identität von Montblanc verknüpft ist, zu einem bedeutenden Wahrzeichen wird, das sowohl Einheimische als auch Gäste aus aller Welt begeistert“, sagt Montblanc-CEO Nicolas Baretzki. Welch Geist hier weht, wird schnell klar: Das Montblanc Haus widmet sich der Kunst des Schreibens.
Das vom Madrider Architekturbüro Nieto Sobejano Arquitectos entworfene Gebäude ist in schlichtem Schwarz-Weiß gehalten und bietet auf drei Etagen mit insgesamt 3600 Quadratmetern und einer Länge von knapp 100 Metern jede Menge zum Entdecken. Das Gebäudekonzept ist eine Hommage an die Produktverpackung der Schreibgeräte. Außen schwarz, innen weiß, erinnert es an eben jene Schatullen, in denen die wertvollen Schreibgeräte verkauft werden. Die Silhouette an der Außenwand zeichnet das Mont Blanc-Gebirge ab, nach dem das Unternehmen benannt ist. Abends leuchtet es in hellen Streifen. Entstanden ist eine Mischung aus Ausstellung, Markenwelt und Bildungseinrichtung. Ein glanzvolles Aushängeschild, direkt vor dem eigenen Industriegelände. Kosten: 30 Millionen Euro.
Inspiration zum Schreiben
Auf drei Ebenen wird die Unternehmensgeschichte, die Herstellung der Schreibgeräte, aber auch bildungsrelevantes Wissen nahegebracht. Unzählige Füllfederhalter werden ausgestellt – von den allerersten Modellen über ihr „Meisterstück“ bis hin zu limitierten Spezialeditionen. Exponate, Videos und Multimedia-Projektionen lassen die Besucher in die Welt der Schreibkunst eintauchen. Ziel ist es, die Menschen zu inspirieren und wieder zu Stift und Papier greifen zu lassen. Kurz: „A place built to inspire writing“. Am Ende des Ganges wird noch gebaut. „Dort wird eine Boutique stehen, in der die Montblanc-Produkte erworben werden können“, erklärt Jana Oberländer, die für die Besucherführungen zuständig ist. Diese könne ebenso wie das Café am anderen Ende unabhängig von der Ausstellung besucht werden.
In der knapp 16 Meter hohen Empfangshalle hängt ein Kunstwerk von der Decke. Es stammt von der Pariser Künstlerin Marianne Guély, besteht aus Papier und zeigt einzelne Buchstaben, die das zentrale Element des Hauses widerspiegeln: das Schreiben. Nach einigen Treppenstufen geht es rechts herum in den ersten Raum, der sich der Geschichte des Unternehmens widmet. Eine aufwendige 360-Grad-Videoinstallation lässt einen direkt in die Welt von Montblanc eintauchen. Schriftzeichen, Striche und Formen fliegen knappe zwei Minuten lang bei experimenteller, rhythmischer Musik um einen herum. Eine männliche Stimme spricht, erzählt vom Schreiben, Denken, Fühlen. Formvollendete Montblanc-Schreibgeräte schwirren im Großformat an einem vorbei. „Ich schreibe Reden, um dich zu bewegen, Songs, um dich zu berühren, Witze, damit du lachst. Und du liest, was ich lernte, du weißt, was ich wusste, siehst, was ich dachte … Wir inspirieren einander, wir schreiben einander“, sagt die Stimme.
Ein Hamburger Unternehmen
Inspirierend ist auch der erste Raum, der die Geschichte des Unternehmens illustriert. Von den Anfängen in Hamburg 1906 durch den aus den USA zurückkehrenden Geschäftsmann August Eberstein bis zum weltweiten Durchbruch. Zu Beginn waren die Schreibgeräte noch schwarz-rot. Die charakterliche schwarz-weiße Optik kam erst mit der zweiten Kollektion 1910. Auch der Name Montblanc kam erst dann auf, ebenso wie das Emblem (1913), das die sechs Gletscherzonen auf dem gleichnamigen Berg wiedergibt und inzwischen einen hohen Wiedererkennungswert genießt.
„Der Legende nach entstand der Name in einer langen Kartennacht“, erzählt Oberländer. „Das neue Design erinnerte einen der Beteiligten an den Gipfel des höchsten europäischen Berges. Er verband den Gipfel Europas mit dem Gipfel der Schreibkunst.“ Das zog! Der Name etablierte sich, das Unternehmen wurde zunehmend erfolgreicher. Fotos in der Ausstellung von berühmten Vertragsunterzeichnungen zeugen davon, wie weit der Erfolg von Montblanc reicht: Zu sehen sind unter anderem die US-Präsidenten John F. Kennedy und Barack Obama, die Queen, der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Autokraten bleiben ausgespart.
Seit 1998 ist Montblanc Teil der Richemont-Gruppe. Das Sortiment umfasst mittlerweile alle möglichen Luxusaccessoires – von der Ledertasche über Armbanduhren bis hin zu Schmuck. Doch das wichtigste Geschäftsfeld ist mit einem Anteil von 50 Prozent des Umsatzes noch immer das der Schreibgeräte. 950 Mitarbeiter sind am Hamburger Standort tätig. Das wissen nicht alle Hamburger: „Viele vermuten, dass Montblanc ein französisches oder ein Schweizer Unternehmen ist“, erzählt Jana Oberländer. Das Montblanc Haus könnte dafür sorgen, dass es allen bewusst wird.
Perfektion braucht Zeit
Besonders begehrt ist das seit 1924 produzierte ikonische „Meisterstück“ – das Flaggschiff unter den Füllfederhaltern. Ein in jeder Hinsicht perfektes Schreibgerät. Das Design ist zeitlos und minimalistisch. Der Begriff wird weltweit in der deutschen Form gebraucht: Ein „Meisterstück“ ist ein „Meisterstück“ – ob in London, Paris, New York, Tokio oder Shanghai. Überall wird die damit verbundene Perfektion geschätzt.
Wie sehr der Wille zur Perfektion reicht, zeigt der zweite Bereich der Ausstellung, der sich der Handwerkskunst der Herstellung widmet: „Diese beginnt bereits bei der Werkzeugfertigung“, erzählt Oberländer. Diese seien so speziell, dass Montblanc sie selbst herstellt und wartet. Nur so könne die erforderliche Präzision erzielt werden. Auch die Materialien der Schreibgeräte sind von höchster Qualität: Für die Feder wird 18-karätiges Gold verwendet – nicht nur weil es schick und luxuriös ist, sondern weil es ein flexibles und weiches Material ist, nicht rostet und die Tinte gut leitet.
Die zwölf Hauptschritte der Fertigung werden detailliert gezeigt und beschrieben: Die Feder wird ausgestampft, geprägt, geformt, geschnitten, poliert und kontrolliert. Zudem wird eine kleine 1,2 Millimeter große Kugel aus Iridium an der Spitze der Feder eingeschweißt. Iridium ist eines der härtesten Metalle weltweit – seltener und teurer als Gold. Durch den Aufsatz wird gewährleistet, dass sich die Feder nicht abnutzt. Die Mitarbeiter werden monatelang geschult und trainiert. Perfektion braucht Zeit. Acht Federstärken gibt es – abgestimmt auf jeden Geschmack. Wir haben „für jede Handschrift die passende Feder“, sagt Oberländer.
Liebe zur Schrift
Schreiben kann die Welt verändern. Das will das Montblanc Haus zum Ausdruck bringen. Und so findet sich darin auch allerhand Geschriebenes. Insbesondere im dritten Teil der Tour hängen Schriftstücke von Voltaire, Ernest Hemingway, Albert Einstein, Frida Kahlo, den Beatles und Karl Lagerfeld an einer Wand. Auch Besucher können ihre eigene Handschrift in einem digitalen Gästebuch hinterlassen. Zudem gibt es die Möglichkeit, einen der Stifte zu testen, indem eine mit Montblanc-Motiven versehene Postkarte beschriftet und in einen in der Wand eingelassenen Schlitz gesteckt wird. Porto geht aufs Haus. „Durch die Digitalisierung ist es natürlich so, dass das handgeschriebene Wort in vielen Bereichen leider zunehmend von der Bildfläche verschwindet.
Wir wollen mit diesem Haus der Handschrift eine Ode setzen“, erklärt Oberländer und weist auf die geplanten Workshops hin, die in einem eigens hierzu geschaffenen Schreibatelier stattfinden sollen. Gelehrt wird dort die Kunst der Kalligraphie sowie kreatives Schreiben. Auch Kurse für Kinder (auch benachteiligte) und junge Erwachsene sind vorgesehen.
Dieses Haus – so viel wird bei der exklusiven Vorabbesichtigung klar, ist eine Liebeserklärung ans Schreiben und eine respektvolle Verneigung vor den Denkern, Träumern und Schöpfern. Neben der Dauerausstellung soll es temporäre Exponate sowie Werksbesichtigungen geben. Am 10. Mai wird das Haus feierlich eröffnet. Ab 16. Mai ist die Ausstellung für Besucher von montags bis freitags von 9 und 18 Uhr zugänglich. 2023 soll dies auch am Wochenende möglich sein. Der Eintrittspreis liegt bei 14 Euro. Unbedingt notieren, am besten mit Stift auf Papier.