Nike Versace hat gerade wieder einen Test auf dem Ruderergometer hinter sich gebracht. 2000 Meter Trockenrudern in maximaler Geschwindigkeit. Ein Laktattest bei ihrem geliebten Verein, der Ruder-Gesellschaft (RG) Hansa, minutenlang durchgezogen mit voller Power ohne Pause, um über die Bestimmung des Laktatwertes im Blut im Rahmen der Leistungsdiagnostik die optimale Trainingssteuerung zu erreichen. „Um sich in solche Schmerzbereiche abzuschießen, muss man ein bisschen verrückt sein“, sagt Versace. Aber es existiere da ein alter, weiser Spruch, so Versace: „Im Winter werden die Ruderer gemacht.“
Ihr Ziel ist ein neuer Ergo-Bestwert, um zum Saisonstart Mitte/Ende März wieder in Topform zu sein. 2023 war das bei der großen, kräftigen Versace der Fall. Sie holte kurz nach ihrem 18. Geburtstag mit dem deutschen U-19-Juniorinnen-Achter am 5. August die Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft in Paris. In einem epischen Zieleinlauf lagen die Boote aus Großbritannien (Gold), Deutschland (Silber), Rumänien (Bronze) und den USA (vierter Platz) nur 0,24 Sekunden auseinander. „Es gibt nichts Schöneres, als total erschöpft mit dem Ruderboot im Ziel zu liegen. Mir wurde fast schwarz vor Augen und mir brannte jeder Muskel. Ich war einfach nur stolz auf unsere megatolle Mannschaft – und nach dem zweiten Platz umso mehr“, sagt Versace.
Es gibt nichts Schöneres, als total erschöpft mit dem Ruderboot im Ziel zu liegen
Nike Versace
„Alina ist die Allerbeste“
Die Verkündung der Silbermedaille ließ dabei etwas auf sich warten. Zur Auswertung der Bootsabstände unter einer Viertelsekunde wurde ein Zielfoto der Bugspitzen benötigt. Auf diesem Foto sitzt Versace dem Wort „Finish“ ganz nahe. Ihre Position als Riemenfrau – mit einem großen Ruder statt wie sechs ihrer Mitstreiterinnen mit zwei etwas kleineren Rudern (Skulls) – ist ganz vorne im Boot. Am weitesten von Versace entfernt sitzt ihre beste Freundin und langjährige Partnerin im Zweier-Ruderboot, Schlagfrau Alina Krüger von der Rudervereinigung Kappeln. Versace hat Krüger, mit der sie sich gemeinsam in Hamburg für den deutschen U-19-Juniorinnen-Achter qualifizierte, in ihrem Handy unter „Alina ist die Allerbeste“ abgespeichert.
Krüger (18) spricht ihrerseits in einem warmen Ton von Versace. „Ich bin glücklich, in Nike nicht nur die beste Ruderpartnerin gefunden zu haben, sondern eine Freundin fürs Leben. Sie ist ein total liebevoller, offener, kommunikativer und unterstützender Mensch und immer für ihre Mitmenschen da. Sportlich haben wir uns in der vergangenen Saison gemeinsam durch so viele Höhen und Tiefen bis zur Silbermedaille in Paris gekämpft, dass ich diese Zeit niemals vergessen werde“, sagt Krüger.
Nike Versace: 2023 beste Nachwuchssportlerin Hamburgs
Ebenfalls für immer in Erinnerung bleiben wird diese Zeit Nils Meyer (33). Der Hamburger Landestrainer betreute als Coach den bundesdeutschen U-19-Juniorinnen-Achter. „Nike ist eine Top-Nachwuchsathletin. Sie ist physisch eine der stärksten Ruderathletinnen in Deutschland. Sie ist sehr fleißig und durchsetzungsstark. Einer Profikarriere von Nike steht nicht viel im Wege. Als Mensch kann sie sich gut ins Team einordnen. Sie ist sehr aufgeweckt und lebensfroh, trägt ihr Herz auf der Zunge“, sagt Meyer.
Sport und Politik gehören für mich durchaus zusammen
Nike Versace
Er selbst bekam das zu spüren, als Versace in der Vorbereitungszeit auf die Weltmeisterschaft im Trainingslager in Berlin-Grunewald den Coach öfter aufforderte, dem Team verbal eine deutliche Ansage zu machen. „Scheiß uns mal zusammen“, lautete Versaces Forderung. Meyer lacht bei der Erinnerung daran. „Bei einem Mädchen-Achter kannst du das, was Nike sich gewünscht hat, in der Regel maximal einmal machen. Ich habe tatsächlich nach dem richtigen Moment dafür gesucht. Aber dann waren sie alle zusammen als Team viel zu gut, als dass das noch nötig gewesen wäre.“
Nike Versace: eine Sportlerin mit Haltung
Auch bei anderen Themen sagt Versace, die 2023 als beste Nachwuchssportlerin Hamburgs geehrt wurde, was sie denkt. Ihr Ehrgeiz ist spürbar, wirkt aber nicht unangenehm. Gerne lacht sie. Oder redet mit den Händen. So auch, als sie Flugbewegungen zur Beschreibung ihrer Sportart nachahmt. „Rudern ist wie Fliegen. Wenn das Boot im Fluss ist und die Mannschaft harmoniert, fühlst du dich, als schwebtest du über das Wasser. Voll mit Adrenalin und Dopamin, das ist ein irres Gefühl.“
Bei den jüngsten Demonstrationen gegen die Deportationsfantasien der Rechtsextremisten war Versace mit dem Team Hamburg, welches Leistungssport in unserer Stadt und somit auch Versace fördert, selbstverständlich dabei. „Ich finde, Sportler sollen sich politisch gerne äußern, wenn sie das möchten. Sport und Politik gehören für mich durchaus zusammen“, sagt sie. Während sie diese Worte spricht, liegt ihr Handy auf dem Rücken. Regenbogenfarben strahlen dem geneigten Betrachter entgegen. Und der Spruch „Lebe so, dass die AfD was dagegen hätte“.
Würde ich das Training nicht auch lieben, würde ich das alles nicht machen.“
Nike Versace
Konfrontiert mit der Frage nach den finanziellen Kürzungen, die der Deutsche Olympische Sportbund beim Riemenrudern vornehmen will, ist ihre Haltung ebenso klar. „Wird dort gekürzt, finde ich das nicht richtig“, sagt sie. Sie ist sehr dankbar für die Sportförderung, die sie erhält, wünscht sich aber allgemein eine stärkere Beachtung und Förderung kleinerer Sportarten wie eben dem Rudersport.
Doch ebenso klar ist: Versace, deren Urgroßvater nach eigenen Angaben ein Cousin des italienischen Modeschöpfers Gianni Versace ist, will nicht als politische Sportlerin verstanden werden. Sie sagt ihre Meinung, doch ihr Fokus liegt voll auf dem Rudersport.
Das große Ziel: Olympia
Diesen übt sie nun erst einmal wieder bei ihrem Verein RG Hansa an der Schönen Aussicht 39 im Stadtteil Uhlenhorst mit ihrem überaus geschätzten Heimtrainer Stephan Froelke aus. „Wir haben hier tatsächlich die schönste Aussicht“, sagt Versace schmunzelnd. „Jeden Abend der Sonnenuntergang, eine super Trainingsgruppe, die letzten fünf Jahre die Norddeutschen Vereinsmeisterschaften gewonnen, ein bodenständiger, familiärer Club mit wenig Stress in der Vereinspolitik, der schon seit langer Zeit Frauen aufnimmt“, zählt sie die Vorzüge des 620 Mitglieder starken Vereins auf.
Hier will sie nun den Anschluss an ihre neue Altersklasse finden, die U 23. Dort wird sie zunächst einmal ein Küken sein, verglichen mit der Erfahrung der anderen Sportlerinnen. „Erst einmal geht es mir nun um meine persönliche Entwicklung, bevor ich mich mit neuen WM-Nominierungen beschäftige“, sagt Versace. „Aber die Silbermedaille mit dem Achter soll trotzdem nur mein Startpunkt sein.“ Olympia ist eines ihrer großen Ziele. Und, jeden Tag, alles aus sich herauszuholen. „Doch es geht nicht nur darum. Würde ich das Training nicht auch lieben“, sagt Versace, „würde ich das alles nicht machen.“
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 03/2024 erschienen.