Demos gegen Rechtsextremismus: „Die Proteste sind nur der Anfang“

Ende Januar 2024 demonstrierten in Deutschland über eine Million Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie, allein in Hamburg waren es bis zu 100.000. Was der Protest zeigt und was daraus entstehen kann
Protest am 19. Januar 2024 in Hamburg
Am 19. Januar 2024 demonstrierten bis zu 100.000 Menschen in Hamburg gegen Rechtsextremismus (©Marie Oetgen)

Ende November 2023 treffen sich in einem Hotel nahe in Potsdam Mitglieder des Vereins Werteunion und Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) unter anderem mit Neonazis. Das Ziel: Einen „Geheimplan gegen Deutschland“ besprechen. So betitelt das Recherchenetzwerk Correctiv seinen Artikel, der das bis dahin geheime Treffen öffentlich werden lässt. Dass es solche Treffen gibt und dass die AfD mit den dort formulierten Gedanken sympathisiert, war bekannt. Jedoch gibt es jetzt erstmalig einen Nachweis. „Diese Recherche traf dazu auf eine sehr verbreitete Stimmung. Auf ein Gefühl, das sich aus Resignation, Hilflosigkeit und einem ganz großen Unbehagen zusammensetzte: Dass man gar nicht mehr weiß, was man gegen den fast unheimlichen Aufstieg der AfD tun soll“, sagt Dr. Nils Schuhmacher von der Universität Hamburg. „Sie war wie ein letzter Tropfen in ein volles Fass und hat bei vielen ein ‚Jetzt muss etwas Passieren-Gefühl‘ erzeugt.“

Die Reaktion: Demos gegen Rechtsextremismus

Dr. Nils Schuhmacher ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg und forscht unter anderem zu Kulturen und Bewegungen der extremen Rechten, politischem Protest und sozialen Bewegungen.

Und es passierte etwas. Was mit kleineren Demonstrationen vor den Landeszentralen der AfD begann, weitete sich zu bundesweiten Protesten aus. Allein am ersten Wochenende um den 19. Januar demonstrierten über eine Million Menschen in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus – bei der Demonstration in Hamburg waren es zwischen 80.000 und 100.000 Menschen. „Was wir erleben, ist eine beispiellose Mobilisierung in der Größe wie auch in der Breite“, sagt Nils Schuhmacher. Und in der Tat gab es zwar mit den Lichterketten-Demonstrationen Anfang der 1990er-Jahre und dem sogenannten Aufstand der Anständigen Anfang der 2000er-Jahre große Demonstrationen im ganzen Land, „aber die waren insgesamt nicht so breit und nicht so groß. Und sie hatten mit Protest gegen rechte Gewalt auch eine andere Stoßrichtung“, sagt Schuhmacher.

Breit und groß bedeutet, dass nicht nur in den großen Städten demonstriert wird, sondern auch in kleineren Orten. Darunter Cottbus, wo die AfD stark ist. 2022 scheiterte hier der AfD-Bürgermeisterkandidat in der Stichwahl am SPD-Kandidaten und bei der Demonstration im Januar gingen über 3000 Menschen auf die Straße. Dazu kommt, dass die Demonstrationen von einem sehr breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen werden. Neben antifaschistischen Gruppen und Organisationen wie den „Omas gegen Rechts“ und „Fridays for Future“ sind bei den Demonstrationen neben Gewerkschaften und Kirchen auch Vertreter aus anderen politischen Richtungen wie den Freien Wählern anzutreffen.

Der Protest geht nicht nur gegen die AfD

Protest am 19. Januar 2024 in Hamburg
Der deutschlandweite Protest richtete sich besonders gegen die AfD, aber nicht nur (©Katharina Stertzenbach)

Kurz vor den ersten Demonstrationen gab es Debatten um ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD. Es war zum Zeitpunkt, als die Partei in bundesweiten Umfragen zum Teil über 20 Prozent Zustimmung erhielt. Dazu schaffte sie es, in politischen Debatten Akzente zu setzten und andere Parteien übernahmen zum Teil ihre Erzählungen. Die AfD schien auf dem Weg ihrer politischen Normalisierung. Dazu wurde „in der öffentlichen Debatte, in den Medien und vonseiten der politischen Parteien bis vor Kurzem immer sehr vorsichtig bei der Beschreibung der AfD vorgegangen. Das hat sich jetzt geändert“, sagt Schuhmacher.

So sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher bei seiner Rede auf der Hamburger Demonstration am 19. Januar: „Die Botschaft an die AfD und ihre rechten Netzwerke ist: Wir sind die Mehrheit und wir sind stark, weil wir geschlossen sind und weil wir entschlossen sind, unser Land und unsere Demokratie nach 1945 nicht ein zweites Mal zerstören zu lassen.“ Ähnlich äußerte sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff in Hannover, der die AfD als akute Gefahr bezeichnete.

Die Leute sind wieder handlungsfähig geworden und haben sich zu Wort gemeldet

Dr. Nils Schuhmacher

Doch auch wenn der Ton gegen die AfD schärfer wird, sind es die beschriebene vormalige Vorsicht und die übernommenen Erzählungen der AfD, gegen die sich ein Teil der Kritik bei den Demonstrationen richtet. „Im Kern ist es eine Kritik an der AfD, aber es ist ebenfalls eine Kritik an Rassismus und eine Kritik an bestimmten politischen Entwicklungen, an denen die anderen Parteien auch beteiligt sind“, sagt Schuhmacher. Darum spricht er auch von einer „zivilgesellschaftlichen Mobilisierung“, bei der die Parteien sich „mit einer gewissen Demut“ beteiligen sollten, denn sie seien bei den Protesten „zwar beteiligt, aber sehr viel weniger zentral in ihrer Bedeutung, als sie das zum Teil suggerieren“.

Was bewirken die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus?

„Wir erleben eine beispiellose Mobilisierung“, sagt Dr. Nils Schuhmacher von der Universität Hamburg (©Nils Schuhmacher)

Der Protest, der aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden ist, ist groß und hat viele überrascht. Doch was hat er bewirkt? „Der Protest hat eine Dynamisierung in Gang gesetzt und dazu geführt, dass dieser Mantel der Resignation und Niedergeschlagenheit zumindest kurzfristig abgeworfen worden ist. Denn die Leute sind wieder handlungsfähig geworden und haben sich zu Wort gemeldet“, sagt Schuhmacher. Dass sich die Mobilisierung und die damit wiedergewonnene Handlungsfähigkeit in Umfragen und Wahlergebnissen zeigt, hält er jedoch für unwahrscheinlich. Die ersten Umfragen bestätigen das und zeigen bei der AfD einen Verlust von maximal 1,5 Prozentpunkten.

Bis zu den nächsten Wahlen am 6. Juni vergehen noch über 100 Tage. Dann wählt Hamburg auf Bezirksebene, genauso wie sieben weitere Bundesländer. Dabei gilt für die Hansestadt, dass „die AfD hier ohnehin eine relativ schwache Partei ist“, sagt Schuhmacher. Er kann sich vorstellen, dass es „für die AfD in Hamburg nun noch schwieriger wird, sich im öffentlichen Raum und im politischen Wettbewerb als normale politische Partei darzustellen“ und dass sie „massiven Gegenwind bekommen wird“. Zudem findet am 6. Juni die Europawahl statt, hier glaubt Schuhmacher, „dass die AfD stark abschneiden wird, weil sich die Wählerschaft von den Protesten unbeeindruckt zeigt“.

Die realen Auseinandersetzungen finden in der Zivilgesellschaft und in unserem Alltag statt

Dr. Nils Schuhmacher

Den Laden zusammenhalten

Doch trotz der gleichbleibenden Umfrageergebnisse und einer vermutlich unbeeindruckten Wählerschaft sieht der Sozialforscher eine Unsicherheit in der Partei, da sie nicht einhellig auf die aktuelle Situation reagiert. „Das weist darauf hin, dass die AfD selbst auch noch nicht genau weiß, wie man mit dem aktuellen Bild umgehen soll.“ Sie sei davon ausgegangen, „Mehrheiten in der Bevölkerung für sich gewonnen zu haben und dass man im Grunde auf die Regierungsübernahme zusteuert. Das geht jetzt scheinbar nicht auf und man muss sich erst mal sortieren und dann wird nach einem bekannten Muster reagiert: Man behauptet zum Beispiel, dass das alles gar nicht stimmt oder dass die antifaschistischen Demonstranten in Wirklichkeit die Faschisten seien.“

Diese Muster führen laut Schuhmacher dazu, dass die Partei die Menschen, die ihren Erzählungen ohnehin schon Glauben schenken, an sich binden kann, „dass man den Laden quasi zusammenhält“. Einen Zugewinn für die AfD erwartet der Wissenschaftler mit dieser Taktik allerdings nicht. Darüber hinaus ist es laut Schuhmacher zu früh für Prognosen: „Inwieweit aus der aktuellen Mobilisierung etwas Weitergehendes entsteht, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.“ 

Wichtig ist: Was passiert nach dem Protest gegen Rechtsextremismus

Nachdem Protest gegen Rechtsextremismus und die AfD zählt Zivilcourage im Alltag (©Marie Oetgen)

Aktuell (Stand 25. Januar 2024) ist für den 28. Januar in Hamburg schon die nächste Demonstration angekündigt und für den 3. Februar ruft eine Fangruppierung des FC St. Pauli zur Demonstration auf. Für Schuhmacher ist es jedoch entscheidend, was nach den Protesten passieren wird: „Die Frage ist, was die Menschen mit der Erfahrung aus den Protesten machen, dass sie nicht allein sind und dass es viele gibt, die bereit sind, gegen eine bestimmte politische Entwicklung aufzustehen.“ Für ihn sind „die Proteste nur der Anfang. Die realen Auseinandersetzungen um die Fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und was eigentlich Demokratie ist, die werden nicht in den Mobilisierungen stattfinden, sondern in der Zivilgesellschaft und in unserem Alltag.“

Im Alltag sind laut Schuhmacher die Auseinandersetzung mit rassistischen Haltungen, rechtsextremen Orientierungen und Akteuren, aber auch Vorstellungen von gesellschaftlicher Gerechtigkeit entscheidend. „Es gilt gemeinsam sprechfähig zu werden und zu definieren, wo Grenzen zu setzen sind. Die meisten von uns bewegen sich in Kontexten, in denen sie auf Haltungen treffen, die nicht tolerierbar erscheinen. Da gilt es dann Position zu beziehen.“ Das könnte laut Schuhmacher eine starke Polarisierung zur Folge haben, die aber auch „hilft, die Auseinandersetzung mit Parteien wie der AfD in die Mitte der gesellschaftlichen Debatten zu tragen“. So könne die Debatte auch Thema in den Wahlkämpfen werden. Doch wie sich das, was ist und was kommt auf Wahlentscheidungen auswirkt, ist zum aktuellen Zeitpunkt völlig offen.

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf