Protest in Hamburg – Die Merkel-muss-weg-Demos

Polizei-Demonstranten

SZENE HAMBURG vor Ort! Von Rechtspopulisten hinter bürgerlichen Fassaden und einer immer stärkeren Gegenbewegung – zu Besuch bei der Initiatorin Uta Ogilvie im Landkreis Harburg, bei der Merkel-muss-weg-Demo am Gänsemarkt und beim Bündnis gegen Rechts.

Zu Besuch bei der Initiatorin

Die zertrümmerte Fensterscheibe ist provisorisch mit einem Holzbrett vernagelt. Sonst ist alles makellos an diesem ersten warmen Frühlingstag im Landkreis Harburg: die sauberen Gehwege, die aufblühenden Vorgärten, die braven Familienhäuser. „Ziemlich spießig“, sagt Uta Ogilvie und lacht, als ich zur Begrüßung anmerke, wie idyllisch die Gegend ist. Sie habe vorher in der Stadt gewohnt, sei dann aber der Kinder wegen aufs Land gezogen. Für die Umgewöhnung habe sie viel Zeit gebraucht.

Fensterscheide-der-Initiatorin
Nach der zweiten Demo klirrten Scheiben. Foto: Ulrich Thiele

Das kaputte Fenster im ers­ten Stock ihres Wohnhauses ist das Resultat einer Fehde zwischen der Antifa und ihr, der zierlichen Hausfrau, die gerne pinke Kleidung trägt – ihre Lieblingsfarbe, wie sie sagt, die den Nebeneffekt habe, dass sie „Gender-Fanatiker so schön auf die Palme bringt“. Was ist passiert?

Ogilvie hat sich im kalten Januar – laut Angaben spontan – alleine mit einem pinken „Merkel muss weg“-Schild auf den Jungfernstieg gestellt. Als sie ein Selfie von sich vor Ort bei ­Facebook postete, ging dieses viral. Die Resonanz war groß, nur eine Woche später schlossen sich 60 Menschen an, Tendenz steigend. Auch die linke Szene wurde auf die Demonstranten aufmerksam. Sie befürchteten einen westlichen Pegida-Ableger. Zudem hieß es, Teile der Türsteherszene seien an der Organisation beteiligt. Ogilvie bestreitet das. Sie stehe ganz alleine hinter den Demos.

Der ehemalige Türsteher Thomas Gardlo, dem eine Vergangenheit in der rechtsextremen Szene nachgesagt wird, habe ihr direkt nach ihrem ersten Abend seinen Schutz angeboten. Den nahm sie dankend an. Zu der Zeit erhielt Ogilvie schon die ers­ten Drohnachrichten. In der Nacht von Sonntag auf Montag vor der dritten Kundgebung dann die Geschichte mit dem Fenster. In der Nacht hatte, so berichtet Ogilvie, ihr Mann einen lauten Knall gehört. Erst am nächsten Morgen stellten sie fest, dass die Reifen ihres Autos aufgeschlitzt waren, die Hauswand mit dem Schriftzug „Heute knallts“ beschmiert und ein Glas mit Farbe durch die Scheibe ins Kinderzimmer geworfen worden war.

Trotz des Einschüchterungsversuchs ging sie am Abend erneut zur Demo, diesmal mit ihrem Vater. Am Jungfernstieg ­hätte ihr eine Horde junge Männer das Schild brutal entrissen und versucht, die beiden zu attackieren – „eine Frau und einen Senioren, das muss man sich mal vorstellen!“. Die Polizei sei jedoch eingeschritten. Danach gab Ogilvie die Leitung der Demo ab und zog sich zurück. Seitdem laufen die Montags­demos ohne sie – und sind stark umstritten.

Kritiker sehen darin eine Versammlung rechtsradikalen Gedankenguts. Laut Verfassungsschutz sind unter den Demonstranten sogenannte Reichsbürger, die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen. Insgesamt soll es in Hamburg rund 120 Reichsbürger geben. Außerdem sollen der frühere Hamburger NPD-Chef Torben Klebe und Mitglieder der „Blood & Honour“-Gruppierung gesichtet worden sein. Wer ist diese Frau, der Kritiker Rechtspopulismus, Rassismus oder Faschismus hinter bürgerlicher Fassade vorwerfen? Und warum fährt Deutschland mit Merkel „vor die Wand“, wie sie sagt?

Wer ist diese Frau, der Kritiker Rechtspopulismus, Rassismus oder Faschismus hinter bürgerlicher Fassade vorwerfen?

„Früher habe ich Merkel sogar sehr gemocht“, erinnert sich Ogilvie. Sie zählt sich zu jenem Kreis ehemaliger CDU-Wähler, die der Kanzlerin einen Linksruck vorwerfen und in der Union keine Heimat mehr für Konservative und Wirtschaftsliberale sehen. „Der Lieblingsspruch in unserer Familie lautet: Wer nach allen Seiten hin offen ist, kann nicht ganz dicht sein“, sagt Ogilvie zur Flüchtlingskrise. Für sie sei die zeitweise unkontrollierte Grenz­öffnung eine Zumutung für den demokratischen Zusammenhalt. Als weltoffen sieht sie sich trotzdem. Sie habe unter anderem Sinologie studiert und viel Zeit im Ausland verbracht. Deshalb wisse sie aber auch, was Heimweh und Verwurzelung bedeuten. Sie sei konvertierte Buddhistin und schätze das Judentum sehr, sagt sie. Dank zweier jüdischer Ex-Freunde habe sie sich intensiv mit der jüdischen Kultur befasst. Ihre Nachbarschaft sei multikulturell – Afrikaner, Türken und Deutsche würden hier freundschaftlich miteinander leben.

Ogilvie hat Interviews für Zeitungen gegeben, von denen manche als rechtspopulistisch oder sogar als rechtsextrem gelten. „Politically Incorrect“ etwa oder das Magazin „Compact“, das letztes Jahr in der Ausgabe „NSU: Die Geheimakten“ unverblümt Freiheit für das NSU-Mitglied Beate Zschäpe gefordert hat. „Ich rede ohne Ausnahme mit jedem, der auf mich zukommt“, entgegnet sie. Mit dem Hamburger Abendblatt und der ZEIT habe sie auch schon geredet.

Ihr wird auch vorgeworfen, dass sie auf Einladung der Hamburger AfD-Fraktion im Rathaus vor 250 Zuhörern über ihre Kritik an Merkel geredet hat. Die Leute von der AfD seien ganz reizend zu ihr gewesen, sagt sie. Sie hätte aber eher mit einer Einladung der FDP gerechnet, weil sie so wirtschaftsliberale Ansichten vertritt. Es ärgert sie, dass man versucht, sie über ihre Gesprächspartner zu denunzieren.

Ogilvie spricht ruhig und gelassen. Aber sie wird gerne polemisch. Zum Beispiel, wenn sie Hamburg als „Zeckenhochburg“ bezeichnet und von den Medien, die ihr wohlgesinnt sind, als „Wahrheitspresse“ spricht. Und sie schießt weit übers Ziel hinaus, wenn sie sagt, sie wisse nun, wie sich die Juden 1933 gefühlt haben müssen. Wenig geschmackssicher sind aber auch die Nachrichten, die sie noch immer tagtäglich von Unbekannten erhält. Sie kramt ihr Handy hervor und zeigt mir eine WhatsApp: „Ey Ute? Wählst du AfD? Du bist ja eigentlich ganz geil und ich würde dich gerne ficken, aber ich ficke keine AfD-Schlampen.“

Der Angriff auf ihr Haus war nicht der einzige physische Übergriff von mutmaßlich Linksextremen. Zu Auseinandersetzungen kam es immer wieder, besonders schlimm aber am 19. März, als nach einer Demo ein 37 Jahre alter Mann krankenhausreif geprügelt wurde. Zwei Männer hatten dem Merkel-Gegner am U-Bahnhof Stephanplatz aufgelauert, sich laut Zeugenberichten ihre Kapuzen übergezogen und auf den Mann eingeschlagen und -getreten. Einer der Täter trat dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht, wodurch dieser bewusstlos liegen blieb. Nach einem weiteren Tritt auf den schon Bewusstlosen flüchteten die Täter.

Als einen Tag später die ­Linke-Politikerin Christiane Schneider via Twitter der Antifa für ihren Einsatz dankte, kochte die Empörung in den sozialen Netzwerken – die Antifa wurde als „SS-Schlägertruppe“ der „Diktatorin Merkel“ angeprangert. Neben den Linken rufen auch die SPD und die Grünen zur Unterstützung der Gegendemos auf. Die CDU will der kleinen Veranstaltung nicht so viel Aufmerksamkeit schenken.

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