Erinnerungen bei Sonnenuntergang

Video- und Soundinstallation_AnnikaKahrs-c-AannikaKahrs-klein
Der Schuppen 29 ist das letzte unsanierte Speichergebäude im früheren Freihafen – und wird mit Annika Kahrs Soundinstallation „how to live in the echo of other places“ jetzt zum Kunstort (Foto: Annika Kahrs)

Den Sommer über taucht die Video- und Soundinstallation „how to live in the echo of other places“ der Hamburger Künstlerin Annika Kahrs den Schuppen 29 auf dem Baakenhöft in Geschichten und Erinnerungen verschiedenster Menschen – entstanden im Rahmen der 8 Triennale der Photografie strahlt sie noch bis September über das Wasser hinaus bis in die Stadt hinein

Text: Sabine Danek

SZENE HAMBURG: Annika Kahrs, was erwartet einen in der Halle des ehemaligen Speichers?

Annika Kahrs: Im Inneren der Halle kann man eine immersive Soundinstallation erleben. Ich habe für diese Installation mit zehn großartigen Musiker:innen aus Hamburg kooperiert, die alle jeweils ganz unterschiedliche Stücke entwickelt haben. Aus diesen Stücken entstand quasi eine Gesamtkomposition, die nun in der Halle zu hören ist.

Elf Lautsprecher sind dort so verteilt, dass man den einzelnen Stücken im Raum nicht nur akustisch, sondern auch physisch folgen kann. Die Halle ist ja wirklich riesig und wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden sie – außer den Lautsprechern – komplett leer zu lassen. Durch den Klang wird man von einer Ecke in die andere gelockt undfolgt einem Sound-Parcours, und dabei füllt sich der Raum mit einzelnen Geschichten und Erinnerungen.

Nur Hamburger Musiker:innen und Künstler:innen

Und auch die Außenfassade wird bei der Soundinstallation bespielt, oder?

Dort sieht man einen immer wiederkehrenden projizierten Sonnenuntergang, auf dem Erinnerungen verschiedener Menschen schriftlich manifestiert werden. Mal sind es ganz beiläufige, alltägliche Momente, mal deuten sie sehr komplexe und schwierige Lebensrealitäten an. Allen Erinnerungen liegt zugrunde, dass sie im Moment eines Sonnenuntergangs stattgefunden haben, und doch spielen sie an ganz unterschiedlichen Orten. Der Text wird Wort für Wort innerhalb des projizierten Sonnenuntergangs eingeblendet. Das hat etwas sehr Meditatives. Man braucht also etwas Zeit, um die Geschichten im Kopf bildlich entstehen zu lassen. Aber es ist ja Sommer: Man kann sich also gut mit einem Getränk ans Wasser setzen und den Sonnenuntergängen samt ihren Geschichten bis spät in die Nacht zuschauen.

„Ein immer wiederkehrender projizierter Sonnenuntergang, auf dem Erinnerungen verschiedener Menschen schriftlich manifestiert werden.“

Annika Kahrs

Dazu hört man Stücke von zehn Musiker:innen, darunter Derya Yıldırım und TinTin Patrone …

Mit Musiker:innen wie Derya Yıldırım oder Freja Sandkamm habe ich bereits ein paar Mal zusammengearbeitet. Mit anderen wollte ich schon immer mal etwas zusammen machen, oder sie sind mir im Laufe der Recherche begegnet. Ferdinand Försch, Douniah, Louis d’Heudières, Tam Thi Pham, Jesseline Preach, Nika Son und Carlos Andrés Rico sind die anderen, die dabei sind. Was alle Musiker:innen und Künstler:innen eint ist, dass sie aus Hamburg kommen oder einen Bezug zu Hamburg haben – und dass sie ein wichtiger Teil der musikalischen Lebensrealität der Stadt sind. Für die Soundinstallation haben wir uns alle mit ganz unterschiedlichen Menschen über ihre akustischen Erinnerungen an bestimmte Orte ausgetauscht.

Annika_Kahrs-c-HelgeMundt-klein
Annika Kahrs, 38, hat an der HFBK Hamburg studiert, in Los Angeles, Brasilien und Thessaloniki gearbeitet und zeigt mit ihrer Multimedia Installation im ehemaligen Kakaospeicher ihr bisher größtes Projekt (Foto: Helge Mundt)
Annika Kahrs, 38, hat an der HFBK Hamburg studiert, in Los Angeles, Brasilien und Thessaloniki gearbeitet und zeigt mit ihrer Multimedia Installation im ehemaligen Kakaospeicher ihr bisher größtes Projekt (Foto: Helge Mundt)

Ein historischer Ort

Dabei ging es um Melodien oder Sounds, die einen geprägt haben, die man in sich behält und von einem Ort zu dem nächsten mitnimmt. Aus diesen Gesprächen sind einzelne Musikstücke entstanden, die diese Erinnerungen interpretieren. Es geht viel darum, wie uns die akustische Umgebung prägt, welche Rolle dabei Communitys und Familien, oder auch Migrationserfahrungen und Erlebnisse anderer Generationen spielen. Diese Auseinandersetzung ist natürlich besonders interessant an einem Ort, an dem gerade ein neuer Stadtteil entsteht. Und zwar einer, der nicht nach und nach gewachsen ist, sondern von Stadtplanern und Politikern im Ganzen gebaut wurde.

Wie kann man die Geschichte eines Ortes bewahren – kritisch sicht- und hörbar machen – wenn er so stark baulich verändert wird?

Annika Kahrs

Haben Sie sich den ehemaligen Kakaospeicher, der kolonialer Warenumschlagplatz war, für die Soundinstallation selber als Ort ausgesucht?

Vor gut zwei Jahren bin ich mit der Kuratorin Ellen Blumenstein durch die HafenCity gelaufen, um gemeinsam über ein mögliches Projekt nachzudenken. Mit dem Imagine the City entwickelt sie seit fünf Jahren Projekte in der HafenCity. Dabei zeigte sie mir auch den sogenannten Kakaospeicher auf dem Baakenhöft. Vom Ort war ich erst mal intuitiv begeistert, habe von dessen Geschichte aber nicht allzu viel gewusst. Als ehemaliger kolonialer Warenumschlagplatz ist das Baakenhöft aber historisch besonders aufgeladen. Dieser Aspekt wird in einem Stück auch explizit thematisiert, aber die Arbeit stellt den Umgang mit historischen Kontexten auch grundsätzlich infrage: Wie kann man die Geschichte eines Ortes bewahren – kritisch sicht- und hörbar machen – wenn er so stark baulich verändert wird? Es gibt ja in Hamburg viele solcher Orte, an denen man sich genau dies fragen müsste.

„Wir haben alle eine akustische Persönlichkeit“

Musik spielt eine besondere Rolle in Ihren Arbeiten. In der Hamburger Kunsthalle wurde gerade Ihre Arbeit „Infra Voice“ in der Sammlung aufgenommen, in der eine Giraffe den Klängen eines Oktobasses lauscht.

Über Musik und Sound kann ich extrem komplexe Zusammenhänge, Inhalte, Systeme und auch Emotionen beschreiben, die sehr unmittelbar den Betrachter erreichen. Musik als Kommunikationsform, als Element der Übersetzung, spielt für mich eine wichtige Rolle. Gerade über dieses Zeichensystem bestimmte Hörgewohnheiten aufzubrechen oder gegeneinander laufen zu lassen, macht Spaß. Sowieso mag ich das Arbeiten mit Musik oder mit Sound erst mal als solches sehr. Wir verbinden Geschichten, soziale Ereignisse mit dem Hören von bestimmten Geräuschen. Wir alle haben auch eine akustische Persönlichkeit, eine spezielle Art, wie wir Geräusche über unsere Handlungen produzieren und darüber Informationen herausgeben.

„How to live in the echo of other places“ von Annika Kahrs, produziert von Imagine The City, ist vom 1. Juni bis zum 4. September am Schuppen 29 auf dem Baakenhöft zu sehen.
Öffnungszeiten: Donnerstags und Freitags von 17 bis 20 Uhr und Samstags und Sonntags von 14 bis 20 Uhr.


Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf